Vom Alleinsein

Seit über einem Jahr betreue ich die Öffentlichkeitsarbeit der drei Projekte der Ozeanforschung CUSCO, EVAR und REEBUS. Seitdem ist viel passiert – Corona, Lockdown, (vorübergehende) Homeoffice-Pflicht. Doch nun ist etwas Neues geschehen, mit dem ich nicht gerechnet habe.
Ich bin allein. Allein im Büro, allein im Flur, allein in der Abteilung. Hintergrund ist, dass meine Kolleg*innen zum Großteil nach Gran Canaria gereist sind. Zum nächsten Mesokosmos-Experiment vom Projekt OceanNETs. Und auf einmal bin ich auf der Arbeit weniger unter Menschen, als ich es selbst im Lockdown gewesen bin.

Ich gönne es ihnen. Ein bisschen Sonne lässt sich jetzt aushalten. Hier in Deutschland grüßt schon der Herbst. Womit ich nicht gerechnet habe, war, wie sehr mich das Alleinsein auf der Arbeit beschäftigen würde. Die erste halbe Stunde war großartig – endlich Ruhe. Danach wurde es langweilig.
Es gibt genug zu tun. Mehr als genug, sogar. Aber irgendetwas fehlt. Ich weiß nicht, ob es die kurzen Morgengrüße sind oder die Hintergrundgeräusche auf dem Flur. Vielleicht sind es die kleinen Anekdoten der Wissenschaftler*innen oder, meinem Kollegen jederzeit Fragen stellen zu können, wenn ich nicht weiterkomme, und mit ihm gemeinsam neue Thesen zu erörtern.

Die meisten Menschen, die ich kenne, können in mehrfach besetzten Büros nicht gut arbeiten. Lärm lenkt sie ab. Mich lenkt Stille ab. Ich habe die Öffentlichkeitsarbeit gewählt, weil ich gern unter Menschen bin. Nach der Arbeit schätze ich Ruhe schon auch, aber tagsüber liebe ich es, mit Personen zu sprechen und über sie zu berichten. Was sie umtreibt. Wer sie sind. Was sie arbeiten, und wieso. Öffentlichkeitsarbeit ohne Menschen ist wie Fische ohne Wasser. Noch existent, aber nicht mehr lange gut.

Allerdings glaube ich, dass sich das Arbeiten als Wissenschaftler*in viel öfter und länger allein, vielleicht sogar einsam anfühlen kann. Das, was ich erlebe, nur für etwa zwei Monate, erfahren andere über den Großteil ihrer wissenschaftlichen Laufbahn hinweg.
In den Ozeanwissenschaften vielleicht weniger als woanders. Feldexperimente und Ausfahrten mit Schiffen schweißen zusammen. Notgedrungen ist man hier monatelang mit einem Team gemeinsam unterwegs. Aber Wissenschaft besteht sonst meist aus eigenen Versuchen, Laborarbeit und dem langwierigen Schreiben von Publikationen. Und auch die Ozeanwissenschaftler*innen sind nicht durchgehend unterwegs oder unter Menschen. Irgendwann müssen die Ergebnisse schließlich ausgewertet und veröffentlicht werden.

Alleinsein als Gewinn vs. Alleinsein als Störzeiger

Alleinsein hat nicht zwingend etwas mit der Anzahl der Personen um einen herum zu tun. In der Wissenschaft ist man schnell sich selbst überlassen. Bei der Bachelorarbeit hilft einem meist noch jemand. Wenn es gut läuft, später auch. Aber es läuft nicht immer gut. Auch die Abhängigkeitsverhältnisse, in denen man sich als junge*r Wissenschaftler*in befindet, können einem das Gefühl geben, allein zu sein. Allein mit allem. Auch mit allen Problemen.

Wer sich nach Ruhe im Büro sehnt, für den ist Alleinsein ein Benefit. Im System Wissenschaft kann das Gefühl allein zu sein der Störzeiger sein, für etwas Größeres. Für etwas Systemisches, das hakt. Und da die Struktur ausgeprägt hierarchisch ist, es auch kein Beschwerdemanagement oder Alternativen zum Wechseln gibt, kann sich, wer hier allein ist, tatsächlich nur selber helfen. Vernetzung über das Internet kann einem in solchen Situationen inzwischen zumindest moralische Unterstützung geben.

Hilf dir selbst, dann hilft dir – das neu gegründete Team

Eine der wenigen Kolleg*innen aus den Ozeanprojekten, die mit mir am GEOMAR geblieben sind, bestätigt viele meiner Eindrücke: Wissenschaft ist ein hartes Feld, das sich ziemlich einsam anfühlen kann – wobei das auf viele andere Jobs sicherlich auch zutrifft. Ihre Lösung für das Problem, als es sie selbst betraf, war, gemeinsam mit anderen Kolleg*innen, die gerade ihren Doktor machten oder sich in der Zeit nach ihrem Doktor befanden, regelmäßige Treffen zu organisieren (das Dok-Team und das Postdoc-Team). Um dem Alleinsein entgegenzuwirken. Jemanden für fachlichen und auch seelischen Austausch zu haben. Um einfach mal wertungsfrei eine gute oder schlechte Zeit in der Wissenschaft haben zu dürfen.

Ich habe nur zwei Monate zu überbrücken, bis es in der Abteilung wieder laut wird. Andere können sich das nicht aussuchen und müssen lange durch das Alleinsein durchpushen. Davor habe ich ganz schön Respekt.
Als kleine Lösung für die Momente, in denen ich gern meinen Kollegen wieder im Büro hätte, schreibe ich nun einfach irgendeine Frage, die ich ihm stellen würde, wenn er da wäre, auf einen Notizzettel und klebe diesen auf seinen Rechnerbildschirm. Mittendrauf. Damit er merkt, wie sehr ich unseren gemeinsamen Austausch vermisst habe, wenn er zurückkommt.


Autorin: Ann Kristin Montano

Ehemalige Wissenschaftlerin, die lange genug in anderen Bereichen gearbeitet hat, um Klischees über Wissenschaftler*innen aufzubauen. Arbeitet jetzt gern unter Wissenschaftler*innen, um die Klischees wieder abzubauen. Befürchtet inzwischen, dass die Rückkehr zur lauten Normalität in zwei Monaten viel schwieriger wird, als jetzt die Umstellung zur Ruhe.

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