Als Physikalischer Ozeanograph allein unter Biologen

Anton und ich bringen soeben CTD-Cast Nummer 45 an das Tageslicht. Während wir gerade wieder einmal mit viel Enthusiasmus frisch gezapfte Flaschen durchschütteln, meine ich, ein nett gemeintes, aber deutliches Kopfschütteln bei Jamileh erkennen zu können, als sie uns ein Guten Morgen zulächelt. Das denken sich hier scheinbar alle: Bereits 45 CTD-Einsätze? Und viele davon an ein- und derselben Stelle? Warum das Ganze? Wir müssten das Wasser doch kennen, sobald wir es einmal „vermessen“ haben, oder? Naja, irgendwie schon.

„Unsere“ CTD, von den Biologen bevorzugt auch „Wasserschöpfer“ genannt, wird seitlich aus dem Hangar herausgefahren, herabgelassen und misst in der Basisversion quasi kontinuierlich (mit 24 Hz) Leitfähigkeit (Salzgehalt), Temperatur und Druck (Tiefe) (Conductivity, Temperature, Depth), idealerweise hinunter bis zum Meeresboden. Darüber hinaus werden Sauerstoffgehalt und Fluoreszenz gemessen, was eine Abschätzung der biologischen Produktivität ermöglicht (siehe Blogeinträge zu „Mikrokreaturen“ von Nicole und Manfred). Als praktische Zugabe können mithilfe der 24 Niskin-Flaschen Wasserproben in verschiedenen Tiefen genommen werden (Manfred ist da nebenbei bemerkt mit Abstand unser bester Kunde).

Für Ozeanographen sind aber vor allem die kontinuierlichen Messungen von Temperatur und Salzgehalt von entscheidender Bedeutung, da wir daraus z.B. ableiten können, wie stabil das Wasser geschichtet ist oder woher Wassermassen und geostrophische Strömungen kommen. Dies sind wichtige Informationen, die Rahmenbedingungen darstellen, die das lokale Ökosystem stark beeinflussen. Um eine möglichst hohe Genauigkeit der physikalischen Messungen zu erreichen, nehme ich auch selbst Wasserproben, allerdings „nur“ zur späteren Kalibrierung der verschiedenen Sensoren und nicht zur Analyse der darin enthaltenen kuriosen Lebewesen.

2. Hier wird “gewinklert”: Per Titration wird der Sauerstoffgehalt von Wasserproben bestimmt. Die Ergebnisse werden verwendet, um die Messergebnisse der CTD-Sensoren zu kalibrieren, welche oftmals einen Offset haben. Foto: Marco Schulz

Die meisten Einsätze wurden bisher in Küstennähe in einer Tiefe von 1500 Metern gefahren. Die folgende Abbildung zeigt eines unserer wertvollen Tiefseeprofile bis in eine Tiefe von fast 3300 Metern. Hier bilden die obersten 100m die so genannte „Deckschicht“ (Mixed Layer), in welcher alle gemessenen Größen durch den Wind gut durchmischt sind. . Wir beobachten, dass die Tiefe der Deckschicht variiert, aber grundsätzlich – wie für die Wintermonate in diesen Breiten typisch – relativ mächtig ist. An unserer ersten Station betrug die Deckschichttiefe sogar ca. 200 Meter!

Abb.3: Ein beispielhaftes CTD-Profil vom 23. Februar südlich von Madeira, bis etwa 3300 Meter Tiefe. Enthält Fluoreszenz (grün), Sauerstoff (gelb), Salzgehalt (blau) und Temperatur (rot)

Temperatur (rot), Salz (blau), Sauerstoff (gelb) als auch Chlorophyll (grün) zeichnen praktisch vertikale Linien in das Diagramm. Interessanterweise bildet sich genau an bzw. unter der Deckschicht häufig ein Maximum an Chlorophyll, welches als Indikator für das Vorkommen von Phytoplankton dient (siehe wieder Nicoles und Manfreds Blog-Eintrag). Obwohl Phytoplankton grundsätzlich autotroph, also auf Sonnenlicht angewiesen ist, kann es in dieser recht Tiefen Schicht mit sehr wenig Sonnenlicht überleben. Ein Grund dafür ist der erhöhte Nährstoffgehalt in tieferen Schichten.

Darüber hinaus bildet die Pyknokline direkt unterhalb der Deckschicht eine starke physikalische Barriere für vertikale Vermischung und kann Organismen, die selbst nicht aktiv schwimmen können, praktisch „einsperren“. Die Pyknokline ist die Schicht, in der die Dichte des Wassers mit der Tiefe (hier aufgrund des Temperaturgradienten) sehr schnell zunimmt. Diese Schichten beherbergen eine hohe Spannbreite an Temperatur- und Salzgehalten und werden auch Zentralwasser genannt.

Um Wassermassen zu identifizieren, werden Temperaturen und Salzgehalte in einem sogenannten „T-S Diagramm“ (wie in Abbildung 4) gegeneinander aufgetragen. In unserem Beispiel sieht man gut, dass das Wasser rund um Madeira zu einem großen Teil aus Nordatlantischem Zentralwasser (Eastern North Atlantic Central Water) besteht. Dieses dominiert die Pyknokline im großen Nordatlantischen Wirbel und ist deutlich salzhaltiger als im Südatlantik (vgl. Eastern South Atlantic Central Water). In unserem Profil Nummer 41 (Abbildung 3) fällt aber noch etwas anderes ins Auge. Auf etwa 1100 Metern Tiefe zeigt sich eine Nase mit noch einmal deutlich erhöhtem Salzgehalt, die nicht so recht zum linear verlaufenden Zentralwasser zu passen scheint. Hier macht sich der Einfluss des Mittelmeerwassers (MW) bemerkbar, welches aufgrund der überwiegend starken Verdunstung bei gleichzeitig wenig Niederschlag im Mittelmeerraum besonders hohe Salzgehalte mit sich bringt. Aufgrund dieses hohen Salzgehaltes manifestiert es sich trotz der warmen Temperaturen in größeren Tiefen um typischerweise 1100-1200 Meter. Wir sehen im T-S Diagramm aber auch, dass das Mittelmeerwasser im Süden von Madeira bereits etwas durchmischter, also weniger warm und salzhaltig als direkt am Ausgang des Mittelmeeres ist. Noch tiefer, was wir insbesondere bei unseren ausgedehnteren CTD-Stationen bis auf 3000 Meter und mehr gut beobachten können, findet sich das berühmte Nordatlantische Tiefenwasser (North Atlantic Deep Water). Dieses wird unter anderem durch Tiefenkonvektion im Nordatlantik gebildet und spielt eine zentrale Rolle für die globale thermohaline Zirkulation, und die gesamte Klimadynamik. Es ist für Tiefenwasser relativ „jung“ und damit reich an Sauerstoff (wir sagen gerne „gut ventiliert“) und bildet einen Kontrast zum Sauerstoffminimum, welches wir hier um Madeira auf etwa 800-900 Metern beobachten. Diese Minimumzone entsteht durch Respiration des abgesunkenen organischen Materials, z.B. von dem sonnenlichtabhängigen Phytoplankton in den obersten ~150 Metern. Im Vergleich mit den großen bekannten Sauerstoffminimumzonen im subtropischen Ost-Atlantik und -Pazifik, ist jedoch noch vergleichsweise reichlich Sauerstoff vorhanden.

Abb. 4: Das Temperatur-Salzgehalt Diagramm zu Profil 41 (Abb. 3). Mit den Buchstaben sind die typischen Temperatur- und Salzwerte bekannter Wassermassen markiert (siehe Text).

Nun kennen wir das Profil einer CTD-Station etwas genauer. Im Grunde ist dieses sogar ziemlich repräsentativ für die übrigen 44. Die Frage, warum Anton und ich wie die Wahnsinnigen weiter „CTDs fahren“, bleibt also noch unbeantwortet. Wenn wir jedoch genauer hinschauen, sehen wir, dass die Temperatur- und Salzprofile nicht komplett „glatt“ verlaufen. Tatsächlich entdecken wir kleine wellenförmige Abweichungen. Messungenauigkeiten? Nein. Es sind interne Wellen, die die Profile lebendig machen. Interne Wellen können in jedem stratifizierten Medium auftreten, also Fluide, in denen die Dichte nicht konstant ist. Es gibt zwei rückstellende Kräfte, die auf interne Wellen im Ozean wirken: Gravitation und die Corioliskraft. Hauptantriebe für interne Wellen sind die Gezeiten (wie Ebbe und Flut), dicht gefolgt von Wind. Wir wissen, dass interne Wellen eine entscheidende Rolle für den Energietransport im Ozean spielen. Wie gewöhnliche Oberflächenwellen, können auch interne Wellen brechen. Wenn sie das tun, findet Vermischung statt. Das wiederum kann Nährstoffe transportieren und dadurch die biologische Produktivität beeinflussen. Die Wechselwirkung von internen Wellen mit Topographie (d.h. Inseln wie Madeira) und Strömungen ist sehr komplex und noch nicht vollumfänglich verstanden. Durch eine hohe Anzahl an Stationen zu verschiedenen Zeiten (und Gezeitenstadien) erhalten wir eine bessere räumliche und zeitliche Auflösung des internen Wellenfeldes und können die Prozesse besser verstehen. Deswegen sind wir z.B. Fans von sogenannten „Jo-Jo-CTDs“. Wie bei einem echten Jo-Jo fahren wir die CTD an ein- und derselben Stelle mehrfach direkt hintereinander auf- und ab.

Abb. 5: Eine unserer “Jo-Jo CTD’s”. Wie Abbildung 3, allerdings sechs CTD-Profile übereinander geplottet.

In der obigen Abbildung haben wir sechs direkt aufeinander folgende Profile eines „Jo-Jos“ übereinander geplottet. Man erkennt, dass die Profile auf manchen Tiefen mehr voneinander abweichen, und auf anderen wieder nicht (Knotenpunkte). Den imposantesten Einfluss nehmen interne Wellen auf die Deckschichttiefe, diese kann alleine dadurch innerhalb von Minuten um mehrere zehn Meter variieren.

Besonderer Nervenkitzel kommt auf, wenn zur „Eddy-Jagd“ aufgerufen wird. Das klingt jetzt martialischer, als es gemeint ist. Eddies sind ozeanische Wirbel, die rund um Madeira einen Durchmesser von ca. 50 Kilometern erreichen, mit der Topographie (Inseln) sowie internen Wellen interagieren und bekanntermaßen die Biodiversität beeinflussen können. Sie entstehen über einen Zeitraum von Tagen / Wochen und sind leider kaum vorhersagbar. Daher checken wir täglich Satelliten- und Modelldaten für die Region, um ein mögliches Feature zu identifizieren, und falls möglich, in situ mit dem Schiff zu beproben. Starke Eddies können ein Signal in der Meereshöhe, den Oberflächentemperaturen und im Chlorophyll erzeugen.

Unsere Kollegen vom Ozeanographischen Institut Madeira unterstützen uns vor Ort mit regionalen Satelliten- und Modelldaten (siehe https://oomdata.arditi.pt/msm126/ ). Es ist insgesamt beeindruckend, wie gut die Zusammenarbeit an Bord und darüber hinaus funktioniert! In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar fand bereits eine „Eddy-Jagd“ statt. Allerdings war das Satellitensignal schwach und dementsprechend konnten wir vor Ort mit unserem schiffseigenen ADCP (das Ozeanströmungen bis in knapp 1000 Meter Tiefe misst) keinen starken, kohärenten Wirbel nachweisen.(Randbemerkung: Es wurde dabei aber ein anderes spannendendes feature (mutmaßlich eine kräftige interne Welle) in der Deckschicht ausgemacht, welches wir nun analysieren.)

Abb. 6: Eddy hunt! Der Plan zum „spontanen“ Vermessen des potentiellen Wirbels. Es bot sich ein schwaches Satellitensignal für eine negative Anomalie im Meeresspiegel (blaue Konturen). Die rote Linie gibt den geplanten Track und die lila Dreiecke die geplanten CTD-Stationen an.

In einem der nächsten Blogeinträge wollen wir euch beweisen, dass unsere lieb gewonnene CTD dank raffinierter Tunings, unter anderem mit hochauflösenden Kamerasystemen, rein „objektiv“ etwas ganz Besonderes ist. Dann klären wir auf, warum auch Anton, obwohl er kein physikalischer Ozeanograph ist, gerne „Jo-Jos“ fährt, und es gibt endlich wieder Fotos von Wassertierchen!

Viele Grüße von Bord der MARIA S. MERIAN,

Marco Schulz und Anton Theileis