Die einzelkämpferischen Teamplayer

Ein Arbeitsplatz birgt Herausforderungen – immer, eigentlich. Diese können aus Schichtzeiten, sich ändernden Arbeitsorten oder charakterlichen Anforderungen bestehen. Worin genau die Herausforderungen bestehen, hängt vom jeweiligen Arbeitsplatz ab. An manchen Arbeitsplätzen ist die Situation besonders komplex. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wissenschaft.

Ein kennzeichnendes Merkmal wissenschaftlicher Arbeit ist es, sich laufend mit anderen Wissenschaftler*innen und Institutionen zu vernetzen und mit diesen zu kooperieren. Es wird zusammengearbeitet und zusammen geforscht. An wissenschaftlichen Publikationen arbeiten mehr als ein*e Autor*in. Gerade in den Ozeanwissenschaften werden zudem viele Feldexpeditionen mit großen Gruppen von Wissenschaftler*innen unternommen, die dann über mehrere Wochen gemeinsam auf einem Schiff leben und Proben nehmen. An einem solchen Arbeitsplatz ist es sehr wichtig, ein Teamplayer zu sein.

Auch ein kennzeichnendes Merkmal wissenschaftlicher Arbeit ist es, laufend mit anderen Wissenschaftler*innen und Institutionen in Konkurrenz zu stehen. Daten und Ergebnisse sind wertvoll, sozusagen die Währung, mit der in der Wissenschaft bezahlt wird. Wessen Name zuerst auf einer wissenschaftlichen Publikation erscheint, gilt als Erstautor*in und wird damit hauptsächlich zitiert. Je mehr Publikationen man vorweisen kann, desto weiter kommt man in dem Berufsfeld. Das ist wichtig, denn Stellen, genauso wie Anerkennung, sind hier rar gesät und sehr begehrt. Man könnte so weit gehen, zu sagen: Wer sich hier durchsetzt und auf den persönlichen Fortschritt achtet, gewinnt. Publish or perish – veröffentliche oder verschwinde (in der Belanglosigkeit, dem Auslaufen des Vertrages, aus der Wissenschaft).
An einem solchen Arbeitsplatz ist es sehr wichtig, Einzelkämpfer*in zu sein.

Ein eigentlich unmöglicher Arbeitsplatz

Wissenschaft ist also ein Arbeitsplatz, der besonders einzelkämpferische Personen, aber auch besonders teamorientierte Personen bevorzugt. Das ergibt wenig Sinn. Wie soll sich eine Person in diesem Gegensatz zurechtfinden?

Tatsächlich ist genau das ein Punkt, der viele Menschen in der Forschung bewegt. ‚Wie sehr muss ich jetzt an mich und meinen Werdegang denken?‘, versus ‚Wie sehr kümmere ich mich um andere, die weniger Erfahrung haben?‘ Oder ‚Wie sehr muss ich auf meine Daten aufpassen?‘, versus ‚Wie offen kann ich mit meinen Ergebnissen sein und sie mit anderen Wissenschaftler*innen teilen?‘ Eine wirkliche Klarheit scheint es hier nicht zu geben. Vieles spielt sich im Rahmen von Menschenkenntnis, persönlicher Entscheidung und Fachbereich ab.

Wie schon einige Male zuvor, wenn mich eine Frage bewegt, spreche ich mit Ozeanwissenschaftler*innen aus den Ozeanprojekten CUSCO, EVAR und REEBUS über ihre Sicht auf das Thema. Was mir zuerst auffällt: Die Rückmeldungen sind andere, wenn ich das Gespräch aufzeichne, als wenn ich nach Ende der Aufzeichnung noch einmal privat mit den Forschenden spreche. Teilweise fällt ihnen sogar selbst auf, dass sich die Dynamik ändert, wenn man ‚frei reden kann‘. Für mich sagt das schon einiges über die Problematik aus. Zumindest nämlich, dass sie bekannt ist. Und wohl auch Teil einer nicht ganz einfachen Situation, in der sich die Menschen in der Wissenschaft befinden.

Es krankt am System, nicht an der Idee

Vieles funktioniert gut, und es ist auch allen wichtig, das zu sehen und zu sagen. Wissenschaft wird nach ethischen Standards betrieben, die Erfahrungen sind durchweg positiv. Daten werden bei Kooperationen sinnvoll geteilt und ausgetauscht. Die Stimmung unter den Forschenden ist vertrauensvoll.
Gleichzeitig wird mir aber auch gesagt, dass Ozeanwissenschaften, mehr als alle anderen, ein Feld sind, in dem eine besonders enge Verzahnung notwendig ist. Dass hierdurch auch die Dynamik eine andere sein kann. Dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und Datenaustausch notwendig sind, um wissenschaftliche Publikationen sinnvoll erstellen zu können. Und, dass es in anderen Bereichen der Wissenschaft immer wieder Berichte gibt, von Leuten, die genau dem genannten Problem begegnet sind: Ideen- und Datenklau. Oder einfach dem Gefühl, ständig auf einem Grat zu wandern, zwischen zu viel und zu wenig Preisgabe. Und ganz frei sind die Ozeanwissenschaften von dem Gegensatz zwischen Teamplay und Einzelkampf auch nicht. Das merke ich spätestens, als sich eine Situation zwischen zwei Kollegen plötzlich komisch anfühlt – misstrauisch.

Wissenschaft muss ein Stück weit konkurrieren. Das erschließt sich mir. Wettbewerb fördert kreativen Fortschritt und qualitativ hochwertige Ergebnisse. Wie so oft ist es das Maß, das zu entscheiden scheint, wie sehr der Wettbewerb die Qualität der Wissenschaft auf gesunde Weise begünstigt oder aber zu viel Druck aufbaut und dadurch eher problematische Arbeitsweisen erzeugt. Arbeiten in der Wissenschaft ist immer ein Balanceakt. Da kommt man nicht drum rum. Der beste Weg scheint der jetzige Zustand allerdings nicht zu sein. Und eine wirklich gute Lösung scheint es für das Dilemma nicht zu geben. Dafür müsste sich das Wissenschaftssystem wandeln, mehr feste Stellen und Perspektiven bieten, um den Konkurrenzkampf ein wenig zu entspannen.

Es gibt Lösungen – es fehlt an der Umsetzung

Es gibt bereits den Ansatz, wissenschaftliche Daten allen Disziplinen und allen Generationen unkompliziert zur Verfügung zu stellen. Zum Beispiel über das System Pangea oder die Helmholtz Metadata Collaboration. Ihr Ziel ist es, Daten für die gesamte Wissenschaftsgemeinschaft auffindbar, zugänglich und wiederverwendbar zu machen – ganz ohne Konkurrenzdenken.
Wenn solche Ansätze, für die Gemeinschaft beizutragen, höhere Bedeutung erlangten, ja sogar maßgeblich beteiligt wären, an der Entscheidung, wer für Stellen berücksichtigt oder wer als Größe im Fachbereich anerkannt wird, würde der Fokus der Wissenschaft tatsächlich mehr auf die Daten selbst gelegt werden. Und auf eine gute Zusammenarbeit, um sie zu erfassen. Weniger auf das Datenhorten, um ja selbst zu publizieren.

Nur Einzelkämpfer*in zu sein, würde zurzeit in der Wissenschaft besser funktionieren, als nur Teamplayer zu sein, wird mir abschließend gesagt. Teil der Wissenschaftsgemeinschaft wäre man, wenn es zu egozentrisch wird, dann aber nicht unbedingt. Vielleicht ist dieser soziale Faktor, dieses Streben, akzeptiert zu sein, unter den Leuten, mit denen man so viel teilt, der Punkt, der dafür sorgt, dass doch vieles gemeinsam geht, in der Forschung. Und dass es auszuhalten bleibt, mit dem Konkurrenzdenken. Ein systemischer Wandel zugunsten besserer Wissenschaft und den Menschen, die sie betreiben, ist auf Dauer aber unvermeidlich. Ewig weitergehen, kann es so nicht.


Autorin: Ann Kristin Montano

Ehemalige Wissenschaftlerin, die lange genug in anderen Bereichen gearbeitet hat, um Klischees über Wissenschaftler*innen aufzubauen. Arbeitet jetzt gern unter Wissenschaftler*innen, um die Klischees wieder abzubauen. Hat lange vor diesem Text gesessen. Hat nach Gesprächen mit vielen Kolleg*innen letztlich auch positive Ansätze für die Problematik gefunden. Hält einen grundlegenden Systemwandel für diesen Punkt dennoch für unabdingbar.

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