Arbeiten in der Wissenschaft – Privatleben adé?

Work-Life-Balance ist der prägende Begriff der aktuellen Zeit. Wie kein anderer drückt er aus, dass erfüllende Arbeit wichtig ist und guttut. Aber, dass es genauso guttut, Zeit für sich, für die Familie und für Freundschaften zu finden. Dass beides sein muss. Beides ist unerlässlich, – das haben uns genügend Bore-Out- und Burn-Out-Fälle bestätigt – wollen wir bis ins hohe Alter motiviert, entspannt und glücklich bleiben.

Wie gut wir die Work-Life-Balance beeinflussen können, hängt stark vom Beruf ab. Ob Arbeitszeiten selbst gelegt werden können oder Aufgaben klar strukturiert sind. Schwieriger ist es mit einer Woche voller Deadlines, wechselnd erreichbaren Kolleg*innen, spontanen Zusatzaufgaben oder langen Reisezeiten. Wie viele dieser Eigenschaften auf einen Arbeitsplatz zutreffen, ist nicht immer gleich: Jobs und Jobstrukturen sind so verschieden, wie die Menschen, die sie ausfüllen. Ein möglicher Jobweg ist das Arbeiten in der Wissenschaft – genauer, den Ozeanwissenschaften. Wie sieht dort die Work-Life-Balance aus? Ein kleiner Bericht über ein großes Thema und meine Gespräche mit Ozeanwissenschaftler*innen aus den Projekten CUSCO, EVAR und REEBUS.

Die Wissenschaft erfordert, wie kaum ein anderes Feld, viel Flexibilität von den Menschen, die in ihr arbeiten. Umzüge sind in einer wissenschaftlichen Laufbahn kaum zu umgehen, internationale Kongresse oder – zum Beispiel in der Ozeanforschung – Feldexpeditionen über mehrere Wochen, sind an der Tagesordnung. Um also den Beruf Wissenschaftler*in ausüben zu können, müssen Abstriche gemacht werden. Zeiten der Abwesenheit, gegebenenfalls Wechsel des Wohnorts mit Sack, Pack und Familie, Arbeiten am Wochenende und in den späten Abendstunden.

Gleichzeitig ist Wissenschaft ein selbstbestimmtes Feld. Damit geht die Möglichkeit einher, sich Arbeitszeiten selbst legen zu können. Laborzeiten, Meetings und Termine gibt es zwar immer noch, aber ein genau so großer Teil der Arbeit ist die Datenauswertung und das Schreiben von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, und das geht zu jeder Zeit. Damit bietet Wissenschaft Räume, die in anderen Berufen nicht zur Verfügung stehen. So kann ein müder Morgen zum längeren Schlafen oder Kinder zur Schule bringen, genutzt werden. Man kann die berufliche Zeit später nacharbeiten. Sogar an einem anderen Tag, kann man sie nacharbeiten, wenn es besser passt. Gleiches gilt für ein paar Tage Überstundenabbau, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Oder für das spontan notwendig gewordene Abholen des Kindes vom Hort. All das ist in der Wissenschaft – wenngleich auch mit Abstimmung und Stress verbunden – manchmal einfacher möglich als in starren Berufen, in denen man eben acht Stunden anwesend zu sein hat und Teilzeit als einzige Option verbleibt.

Familie oder Forschungsfahrt?

Dennoch ist das Ganze auch schöngeredet. Wissenschaft erstreckt sich als Beruf und Berufung weit bis in die Privatleben der Wissenschaftler*innen hinein. Was sich in jungen Jahren noch als Abenteuer (Ausfahrten mit dem Schiff in ferne Länder), Motivation (intensive Beschäftigung mit einem spannenden Thema) und Vernetzungsangebot (internationale Zusammenarbeit) äußert, wird später zu der ganz essentiellen Frage, ob überhaupt zwei Personen in einer Beziehung gleichzeitig Wissenschaftler*innen sein können. Ob beide mit Forschungsschiffen zur See oder zu Veranstaltungen fahren können, wenn es auch Kinder geben soll. Ob die Gründung einer Familie bei gleichzeitig befristeten Projektverträgen, die teilweise nur über ein Jahr gehen, überhaupt möglich ist. Ob immer eine von beiden Personen den eigenen Traum davon, Wissenschaftler*in zu sein, für die Entscheidung zurückstecken muss, zu Hause zu bleiben. Und wenn ja, wer von beiden. Und könnte man überhaupt als alleinerziehende Person Wissenschaftler*in sein?

Gespräche mit Wissenschaftler*innen, die ihren Beruf mit einer Familie in Einklang bringen müssen, fördern eine Vielfalt an Meinungen zu diesem Thema zutage. Eine Sache ist sofort offensichtlich. Sie sind alle in festen Paarbeziehungen, müssen also die ganze Situation nicht alleine stemmen. Inwieweit sich etwas und was sich ändern müsste, an den wissenschaftlichen Strukturen, da gehen die Ansichten auseinander. Kleinere Arbeitsgruppen mit mehr entfristeten Stellen schaffen, nach einem Kind zeitnah weiterarbeiten oder bessere Stellensituationen für Paare ermöglichen – Vorstellungen sind da.

Dass man sich irgendwie entscheiden muss, klingt aber bei allen durch. Entscheiden eben, ob man die zusätzliche Anstrengung auf sich nehmen möchte, sich im Zweifelsfall eigene Wege zu erkämpfen. Mit Familie umzuziehen. Nicht immer allen oder überhaupt irgendjemandem gerecht werden zu können. Gegebenenfalls zu Hause immer wieder Diskussionen zu begegnen, was nun noch im Rahmen ist und was nicht. Klar wird bei allen Gesprächen auch, dass nur eine Partnerschaft, die die Berufswahl als Wissenschaftler*in vollumfänglich unterstützt, auf Dauer funktioniert. Gerade, wenn man in dem Beruf auch mit Familie vorankommen möchte.

Freizeit trotz oder wegen Wissenschaft?

Ob man neben der Berufung Wissenschaft auch eine strikt abgetrennte Freizeit haben kann, ist dann wieder – zumindest teilweise – abhängig von der einzelnen Person. Zeitliche und räumliche Flexibilität sind in der Wissenschaft ja mehr vorhanden, als in vielen anderen Jobs. Gutes Zeitmanagement und klare Ansagen zur Verfügbarkeit sind also zumindest ein Teil des Wegs. Deadlines lassen sich aber nun mal nicht wegzaubern. Und der andauernde Druck, Leistung zu bringen und wissenschaftliche Veröffentlichungen schreiben zu müssen, auch nicht. Sich beständig, auch nach Feierabend, innerlich mit den Forschungsfragen zu beschäftigen, scheint auf Nachfrage wiederum kein Problem zu sein. Als Grund dafür wird mir das starke Eigeninteresse für das Forschungsthema genannt.

Sehr abhängig von den jeweiligen Lebensumständen scheint es, ob Wissenschaft als Arbeitsplatz insgesamt zur Belastung wird oder nicht. Viele der existierenden Strukturen lassen sich nutzen, einige nicht. Manches in der deutschen Wissenschaftslandschaft, so erzählt man mir, ist verkrustet und stammt aus Jahren, in denen Rollen traditioneller geklärt waren. Aktuelle Geschichten klingen dann so: Ein Vater musste in seiner gesamten Elternzeit einen Projektantrag schreiben und hatte letztlich wenig von seinem Kind. Eine Mutter nahm ihr Baby einfach mit ins Büro und lebte dann in den ersten Wochen mit dem kollegialen Genörgel. Eine Kollegin entschied sich, trotz Liebe zur Wissenschaft, für einen anderen Job, um eine klarere Trennung von Arbeits- und Freizeit zu haben.

Die Entwicklung geht voran und die Strukturen verändern sich zum Positiven. Es bleibt dennoch dabei, dass auch heutzutage noch ein starkes Auftreten und ein durchsetzungsbereiter Geist dazugehören, um den Weg in der Wissenschaft mit gesunder Freizeit, bzw. Familienzeit, also einer guten Work-Life-Balance zu meistern. Und zumindest in einigen Bereichen wird das Berufsfeld immer herausfordernd bleiben. Dort z.B., wo Feldexperimente und internationaler Austausch nunmal notwendig sind. Vorteile gibt es im Beruf Wissenschaftler*in genauso wie Nachteile. Luft nach oben bleibt bei dem aktuellen Entwicklungsstand allemal.

In den Blogposts der kommenden Wochen erzählen drei Kolleg*innen aus den Projekten CUSCO, EVAR und REEBUS von ihren Erfahrungen mit dem Berufsfeld Wissenschaft sowie ihren Ansichten zur Work-Life-Balance in der Ozeanforschung.

Das sind:

  1. Ivy Frenger – Meteorologin und Klimaforscherin in Projekt CUSCO
  2. Heide Schulz-Vogt – Professorin, Arbeitsgruppenleitung und Projektleitung für Projekt EVAR
  3. Jon Roa – Techniker für Projekt REEBUS

Autorin: Ann Kristin Montano

Ehemalige Wissenschaftlerin, die lange genug in anderen Bereichen gearbeitet hat, um Klischees über Wissenschaftler*innen aufzubauen. Arbeitet jetzt gern unter Wissenschaftler*innen, um die Klischees wieder abzubauen. Findet es schwierig, diesem großen Thema den richtigen Raum zu geben. Möchte sich daher die nächsten Wochen lieber anhören, was die Menschen in der Wissenschaft selbst dazu sagen.

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