Genetische Spurensuche im Meer

Histioteuthis sp. Foto: Sophie Schindler.

Auf dem Forschungsschiff MARIA S. MERIAN erkunden wir den gesamten Baum des Lebens: Tiere, Algen, Bakterien und Viren. Im Mittelpunkt der Expedition stehen das Nahrungsnetz und die biologische Vielfalt der Ozeane. Einige Tiere, insbesondere Jäger wie Tintenfische (Cephalopoden) und Wale, sind jedoch zu groß, zu schnell oder zu kamerascheu für unsere Instrumente. Um diese Top-Raubtiere aufzuspüren, suchen und sammeln wir genetische Spuren und arbeiten sozusagen als zoologische Forensiker:innen. Meerestiere verlieren beim Schwimmen, Atmen, Fressen und Kotabsatz ständig Zellen und DNA, was zur Freisetzung von genetischem Material führt. Wir sammeln und identifizieren diese so genannte Umwelt-DNA (englisch environmental DNA, kurz: eDNA) mit einer speziell für die Analyse von DNA-Spuren aus Umweltproben entwickelten Methode. Analysiert werden bestimmte DNA-Abschnitte, wie die ribosomale DNA oder Gene, die für die Energieproduktion wichtig sind und bei allen Tieren vorkommen. Die gleichen oder ähnliche essenzielle Gene werden für Bakterien oder einzellige Organismen verwendet. Diese Gene werden später mittels Polymerase-Kettenreaktion (englisch polymerase chain reaction, PCR) aus den Proben vermehrt und mit Hilfe von Sequenzierungstechnologien der nächsten Generation sequenziert. Die Ergebnisse werden später mit genetischen Datenbanken verglichen, um herauszufinden, welche Arten in der Umweltprobe vorkamen.

Während unsere Kollegen also Wasserproben filtern, um Phytoplankton und Mikroplankton zu untersuchen, filtern wir parallel dazu Wasser aus der CTD und analysieren die DNA später in Kiel in den Laboren des GEOMAR. Anhand der spezifischen DNA-Spuren können wir das Vorhandensein bestimmter Arten, wie z.B. der Tiefsee-Cephalopoden Histioteuthis und Heteroteuthis, bestimmen. Wasserproben, die alle 100 m von der Oberfläche bis zum Grund entnommen werden, zeigen uns, in welchen Tiefen Cephalopoden vorkommen, und ermöglichen es uns, vorherzusagen, welche Arten von Beutetieren Raubwalen bei ihren Tauchgängen begegnen könnten. Hierfür arbeiten wir mit Walspezialisten zusammen. Gleichzeitig analysieren wir auch die Artenvielfalt anderer Organismen in den Proben, die wir dann vergleichen können, um die Beute der Cephalopoden vorherzusagen. Letztendlich können wir unsere genetischen Ergebnisse auch mit der Verteilung und Häufigkeit der verschiedenen Plankton- und Tierarten vergleichen, die von den Mitgliedern des MSM126-Teams identifiziert wurden, von denen jeder sein eigenes taxonomisches Spezialgebiet hat.

Minuten nach dem Aussetzen des Tiefsee-Landers mit Ködern in den schwarzen Netzen in 1500m Tiefe kamen die ersten Gäste. Foto ROV-PHOCA-Team GEOMAR

Während unserer Expedition wird ein innovatives eDNA-Experiment auf dem Tiefseeboden durchgeführt. Dazu hat der Tiefseeroboter ROV PHOCA einen Tiefsee-Lander mit einem Köder auf dem Meeresboden abgesetzt, um die Ablagerung eines Kadavers aus der darüber liegenden Wassersäule zu imitieren. Dieser Kadaver lockt viele Organismen an und dient ihnen als Nahrung, da die Bodenorganismen der Tiefsee weitgehend von der Nahrung aus der darüber liegenden Wassersäule abhängen. Wir kehrten mehrmals mit dem ROV-Roboter zu dieser Stelle zurück, um Sedimentkerne und Wasserproben zu nehmen. Diese Proben werden sofort an Bord für eine spätere eDNA-Analyse aufbewahrt. Im Rahmen des Experiments soll untersucht werden, welche Arten von der Nahrungsablagerung angezogen werden und inwieweit sich die Artenvielfalt und das Ökosystem von Tieren und Bakterien im Laufe der Zeit nach der Nahrungsablagerung verändern.

Mit dem ROV-Roboter werden so genannte Push-Corer zur Entnahme von Sedimentkernen eingesetzt. Foto ROV-PHOCA-Team GEOMAR

Die Umweltgenetik, also die Spurensuche im Meer, ist eine moderne Ergänzung, die verschiedene klassische Ansätze der Meeresforschung unterstützt und neue Informationen und Perspektiven beisteuert. Sie ist daher auch ein wesentlicher Bestandteil von MSM126, um Forschung aus verschiedenen Disziplinen zu kombinieren und neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Grüße von Bord der MARIA S. MERIAN,

Henk-Jan Hoving und Babett Günther