Romeo und Julia – zwei Wassertropfen, etwas Farbe und viel Rotation

Was haben der Polarjet, ein Wassertank und Lebensmittelfarbe gemeinsam? Um das zu verstehen, haben wir im Laufe unseres Studiums eigenständig verschiedene Experimente mit rotierenden Wassertanks, Lebensmittelfarbe und Eiswürfeln durchgeführt. Ganz nach dem Motto: Bitte zuhause nachmachen! Ihr seid neugierig geworden, was es damit auf sich hat? Findet es selbst heraus mit der Geschichte zweier Wassertropfen.

Von Alexandra Andrae, Hendrik Großelindemann und David Menzel

Mit einem plötzlichen Schlag wurde ich aus meiner Trance geholt. Jemand muss den Wasserhahn – meinen Wasserhahn – aufgedreht haben. Schon seit einiger Zeit trieb ich ziellos in der Leitung des kleinen Seminarraums im Geomar umher. Doch jetzt landete ich zusammen mit 300.000 Wassertropfen in einem Eimer. Ca 15 Liter schätzte ich. Kurz darauf die nächste Erschütterung: Wir wurden umgefüllt, das neue zu Hause war ein großer, runder Glasbehälter. Auf einmal war mir klar, was hier vor sich ging: Endlich wieder eines dieser Tankexperimente.  Das ist doch deutlich spannender, als der öde Alltag in einer Wasserleitung! Mal sehen, was sich Torge diesmal für seine experimentierfreudigen Studierenden ausgedacht hat. 

Wie auch zuvor positionierten sie einen kleinen Legomotor am Rand des Tanks und schon setzte sich der ganze Tank in Bewegung. Wieder einmal kämpfte ich gegen die aufkommende Übelkeit an, doch es war besser als das letzte Mal – irgendwas musste anders sein. Richtig, wir bewegten uns viel langsamer als sonst. Meine Fähigkeit Geschwindigkeiten einzuschätzen, hatte mich bisher noch nie im Stich gelassen und so stellte ich auch diesmal präzise fest, dass sich der Tank nur mit etwa einem Fünftel der üblichen Geschwindigkeit bewegte. Noch während ich darüber nachdachte, herrschte schon wieder Aufregung. Ein bis oben mit Eis gefülltes Glas wurde gezielt in unserer Mitte platziert. Direkt vor meiner Nase, nach und nach spürte ich erste Auswirkungen: Es wurde deutlich kälter um mich herum und auch in mir drin. Dann passierte erst einmal eine Weile lang gar nichts. Meine Übelkeit legte sich. Von außerhalb schnappte ich die Worte „solid body rotation“ auf, deshalb haben sie also so lange gewartet. Sie wollten sicherstellen, dass sich alle von uns gleichmäßig mit dem Behälter bewegen. Das muss auch der Grund sein, warum meine Übelkeit nachgelassen hat. 

Gerade als ich schon fast wieder in den  Trancezustand hinübergleiten wollte, eingelullt von der gleichmäßigen Bewegung, sah ich etwas Großes, Rundes und Blaues auf mich zu sausen. Es durchschlug die Wasseroberfläche und hüllte mich ein. Meine Welt versank in einem tiefen blau. Überall in meiner Nähe waren ganz ähnliche Einschläge zu sehen. Der Farbstoff also, war ja anzunehmen, dass die Menschen ohne ihn nicht konnten. Mit einem Mal wurde ich mir auch meiner Bewegung zu den anderen Wassertropfen bewusst. Die war doch gar nicht so eintönig und langweilig, ich hatte ihr nur vorher keine Beachtung geschenkt. Und nicht nur ich, alle konnten nun – dank der blauen Färbung – ganz hervorragend beobachten, wie und wo ich mich bewege, zusammen mit all meinen umgebenden Tropfen. Wir waren grade sehr dicht an dem kalten Eisglas, als uns der Farbstoff traf und bewegten uns zwar langsam, aber stetig abwärts, weil wir durch das Eis auch immer weiter abkühlten. Für Außenstehende musste es so wirken, als ob wir uns in einer Spirale das Eis hinunter bewegen würden.  Dies, so überlegte ich mir, muss mit der sogenannten Corioliskraft zusammenhängen. Die Corioliskraft ist eine Scheinkraft, die die Menschen brauchen, um zu erklären, warum wir uns eben nicht gerade bewegen, sondern zu einer Seite abgelenkt werden. Würde unser Tank nicht rotieren, bräuchte man auch die Scheinkraft nicht. Auf unserer Erde sorgt die Corioliskraft dafür, dass auf der Nordhalbkugel, sich bewegende Flüssigkeiten nach rechts abgelenkt werden. Allerdings kann man dieses Phänomen nicht für Strömungen im eigenen Gartenteich und auch noch nicht im nächsten Badesee sondern nur für sehr große Wassermassen wie zum Beispiel im Ozean.

Sie war gerade am Außenrand, als es geschah. Ihre Welt versank in Rot. Für sie war es alles neu. Sie und ihre Nachbartropfen bewegten sich langsam in Richtung der Mitte des Tanks, noch war ihnen behaglich warm. Sie bildeten grade eine Art Arm, als die Tropfen an der Spitze etwas meldeten: Ein anderer Arm würde sich auf sie zu bewegen, doch dieser sei blau gefärbt. 
Sie war ganz aufgeregt, noch nie vorher hatte sie blaue Wassertropfen gesehen, wie sie wohl sein würden? Wie es sich anfühlen würde, sich mit ihnen zu vermischen? Doch soweit würde es erst einmal nicht kommen. Traurig beobachtete sie, wie sich ihre Kolonne von roten Wassertropfen an der Front der aufregenden blauen Tropfen  vorbeischob und sich nicht vermischte.

Ich befand mich nun relativ weit unten im Tank und hatte von hier aus einen guten Überblick, was an der Oberfläche geschah. Ich hatte beobachtet, wie auch rote Farbe rund herum am Rand eingetropft wurde und wie sich zwei blaue Stränge von der Mitte lösten und mit einem leichten Schwung sich nach außen bewegten. Wieder wegen der Corioliskraft, dachte ich. Sonst müssten sie sich ja schnurgerade zum Rand bewegen. Von dort kam auch die rote Farbe, die sich um die blaue herumwand. Nach und nach bildete die blaue Farbe eine große Welle mit 3 blauen Wellenbergen, während die rote Farbe die Täler ausfüllte. Wie gerne würde ich doch da oben mitmischen. Woran erinnerte mich das nur? Nach einiger Zeit beobachtete ich gespannt, wie sich der eine blaue Wellenberg immer weiter ausprägte und sich schließlich fast vom Rest abtrennte. Fast kreisrund erschien er mir von meiner Position – wie ein Wirbel.

Sie hatte ihren blauen Traum schon fast aufgegeben, als sie feststellte, dass sich etwas veränderte. Sie war an den Rand ihrer roten Genossinnen gelangt und spürte nun eine angenehme Kühle. Auch war gar nicht mehr alles in dem matten hellrot, sondern es bekam eine dunklere, geheimnisvollere Tönung. Das musste das blau sein! Endlich, entzückt beobachtete Sie, wie sie  immer mehr ins helllila überging. Überall um sie herum konnte sie nun beobachten, wie sich ganz allmählich, fast nicht wahrzunehmen, blau und rot vermischten. Erst, wenn man einige Zeit wegschaute, konnte man eine tatsächliche Veränderung feststellen.

Kurz bevor auch ich mich bis in die Unkenntlichkeit vermischte, kam mir noch ein Gedanke. Das Bild erinnerte mich an den Polarjet, der sich auch wie in Wellen auf der rotierenden Erde in der Höhe um den Pol windet. Dabei muss man ihn sich wie eine Schlange vorstellen, die sich um den Globus windet. Die Anzahl der Wellenberge (oder Windungen der Schlange) kann sich verändern. Ebenso die, von den Menschen nicht sehr geachteten, Tiefdruckgebiete können sich von dem Jet ablösen, wie es auch mit einem der blauen Wirbel geschehen war.

Sie war sich schon fast nicht mehr bewusst, nicht mehr der rote Wassertropfen, mehr ein Teil des Ganzen. Doch da war ein etwas blaueres Etwas. Konnte das sein? Konnte das wirklich sein? Ja so konnte es enden, endlich vereint. Ihr Bewusstsein schwand. Der Tank hörte auf zu rotieren. Die Welt versank in dunklem lila.