FS Sonne, 02. Januar 2015, 10° 57.69′ N 36° 21.12′ W

Der Multicorer bringt ungestörte Sedimentproben aus 5800 m Tiefe an die Oberfläche./ The multicorer brings undisturbed samples from 5800 m depth to the surface. ©Thomas Walter Der Multicorer bringt ungestörte Sedimentproben aus 5800 m Tiefe an die Oberfläche./ The multicorer brings undisturbed samples from 5800 m depth to the surface. ©Thomas Walter

Ein seltener Fang: Die kleinsten „Tieren“ der Tiefsee lebend an Bord gebracht!

Heute ein kurzer Bericht aus dem protozoologischen Labor. Über die größeren Tiere, die den Biologen hier an Bord buchstäblich ins Netz gegangen sind, wurde ja schon berichtet. Heute soll es um die kleinsten „Tierchen“ gehen. Auch wenn wir Zoologen sind, müssen wir das Wort „Tierchen“ bei den von uns so geschätzten Organismen in Anführungsstriche setzen. Bei uns geht es nämlich um Einzeller, während man den Begriff „Tiere“ nur für mehrzellige Organismen verwendet. In den Einzellern – wissenschaftlich Protisten – sind alle Lebensfunktionen in einer einzigen Zelle vereinigt. Eine Gruppe dieser Einzeller – die Kragengeißelflagellaten – waren der Ausgangspunkt für die Evolution aller Tiere (auch uns), während einzellige grüne Algen der Ausgangspunkt für die Evolution aller höheren Pflanzen waren. Neben diesen beiden Einzellergruppen gibt es aber noch einen ganzen Strauß von sehr unterschiedlichen Einzellern. Die Mehrzahl der Einzeller ernährt sich von Bakterien und kontrolliert diese und führt deren Energie den vielzelligen Tieren als Nahrung zu. Und nun ist auch klar, warum wir hier im protozoologischen Labor davon ausgehen, dass wir mit den wichtigsten „Tieren“ arbeiten☺ 
Und umso erstaunlicher ist es, dass über die Einzeller so wenig aus der Tiefsee bekannt ist, denn auch in der Tiefsee müssten sie eigentlich zu den wichtigsten Bakterienkonsumenten gehören. Die Einzeller sind aber sehr empfindlich und nur wenige erreichen eine Größe, so dass sie unter einer Stereolupe zu sehen wären, wie Strahlentierchen und Kammerlinge. Wir haben deshalb unsere besten Mikroskope mit an Bord gebracht, um unseren „Tierchen“ auf die Spur zu kommen. Mit fünf Mikroskopen versuchen Alexandra Jeuck, Alexandra Schönle, Dennis Prausse und ich nicht nur molekularbiologische Proben für die spätere Aufbereitung im Heimatlabor möglichst schnell nach der Probenahme tiefzufrieren, sondern wir wollen gern wissen, wie die „Tierchen“ dort in der Tiefe wirklich aussehen. Und von einigen wollen wir Kulturen an Bord anlegen. Warum wir heute den Blog schreiben hat einen besonderen Grund, denn wir haben heute einen besonderen Fang gemacht. Gleich viermal haben wir heute lebend Tiefsee-Protozoen an die Oberfläche und unter das Mikroskop gebracht. Die kleinen Tierchen waren nur 3-5 tausendstel Millimeter groß und zappelten mit ihren extrem langen Geißeln ihrem neuen Zuhause in den Kulturflaschen entgegen. Nach unseren ersten Kalkulationen wären auf einem Quadratzentimeter Tiefseeboden in über 5000 m Wassertiefe mehr als 500 (wahrscheinlich mehrere tausend) dieser Geißeltierchen zu finden und damit wären sie die häufigsten Tierchen der Tiefsee. Man kann sich vielleicht unsere Aufregung vorstellen. Wir sind schon gespannt, ob die Tierchen sich in den Kulturflaschen vermehren lassen. Wir haben dazu erstmalig auch Druckgefäße mitgebracht, in denen die Tierchen im Mikroskop unter Druck (bei 400 bar!) beobachtet werden können.

… Wir werden wieder berichten, wenn es geklappt hat.

Hartmut Arndt, Biocentrum, Zoologisches Institut, Universität zu Köln


[English]

An exceptional catch: The smallest „animals” of the deep sea were brought on deck alive!
Today a short broadcast from the protozoological laboratory. You have already been reading something about the bigger animals which have been caught in nets. Today the Blog will be about the smallest “animals”. Even though we are zoologist we have to set the term “animals” of our beloved organisms in quotation marks. We are dealing with unicellular organisms, whereas the term “animal” is usually used for multicellular organisms. Unicellular organisms have all their functional features of life unified in one single cell. All animals (including us) evolved from one group of these unicellular organisms – the choanoflagellates, whereas all higher plants evolved from unicellular green algae. Besides those two groups of unicellular organisms there are several more distinct protists within the tree of life. The majority of unicellular organisms feeds on bacteria controlling their abundance and delivering nutrients and energy to animals situated higher in the food web. And now you know, why we here in the protozoological lab think that we are dealing with the most interesting “animals”☺ 
It is even more astonishing that such little is known about the unicellular organisms of the deep sea as they should act also as the most important bacterial consumers in the deep sea. However, the organisms are extremely sensitive and only a few of them reach a size being visible under a stereomicroscope like the forams and radiolarians. Therefore, we have our best Microscopes with us on board to observe our little “animals”. Equipped with five microscopes Alexandra Jeuck, Alexandra Schönle, Dennis Prausse and myself are trying not only to deep-freeze samples for future molecular analysis, but also to get an idea how they look like. From several organisms we want to establish cultures on board. The reason why we are writing the blog for today is the fact that we made a unique catch.  We have managed to get living deep-sea protists on board and under our microscope, even four times! The small “animals” were only 3-5 micrometers “big” and were swimming around with their extreme long flagella waiting to get into their new home in our culture flasks…  After our first calculations we assume that more than 500 (probably several thousand) of those flagellates can be found in one square centimeter in water depths of more than 5000 m. Thus, they should be the most abundant “animals” in the deep sea. Probably you can imagine our excitement about this finding. We are already curious if they would grow in our culture flasks. Additionally, for the first time we have pressure chambers on board to observe the flagellates under pressure conditions (400 bar!) under the microscope.

….We will keep you posted, if it worked!

Hartmut Arndt, Biocenter, Zoological Institute, University of Cologne

 

Die Sedimentkerne werden sofort nach der Probenahme bearbeitet und Proben für die molekularbiologische Analyse, Kultivierung und Lebendbeobachtung entnommen / Sediment cores are immediately processed after sampling and subsamples are taken for later molecular biological studies, cultivation and live-counting. ©Thomas Walter

Die Sedimentkerne werden sofort nach der Probenahme bearbeitet und Proben für die molekularbiologische Analyse, Kultivierung und Lebendbeobachtung entnommen / Sediment cores are immediately processed after sampling and subsamples are taken for later molecular biological studies, cultivation and live-counting. ©Thomas Walter

 

Lebendbeobachtung von Einzellern in einer Druckkammer im umgekehrten Mikroskop.

Lebendbeobachtung von Einzellern in einer Druckkammer im umgekehrten Mikroskop.
/ Live-observation of unicellular organisms in a pressure chamber under an inverted microscope. ©Hartmut Arndt

Ein Blick in unser Labor an Bord der neuen “Sonne”. / A view into our laboratory onboard of the new RV „Sonne“. ©Hartmut Arndt

Ein Blick in unser Labor an Bord der neuen “Sonne”.
/ A view into our laboratory onboard of the new RV „Sonne“. ©Hartmut Arndt

One thought on “FS Sonne, 02. Januar 2015, 10° 57.69′ N 36° 21.12′ W

  1. Hallo liebes Protisten-Team,

    ich halte die Daumen für eine erfolgreiche Vermehrung der ganz ganz Kleinen der Welt in der “Flasche”! Super, endlich weiß ich mal en détail, was Alex S. eigentlich macht ;-))

    Herzliche Grüße aus Heidelberg
    Karin

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