FS Sonne, 31. Dezember 2014, 10° 53.26′ N 32° 18.55′ W

Wie viele Treppen gibt es auf Sonne? Weiß ich nicht - wenn ich anfangen würde sie zu zählen wäre es noch anstrengender... Wie viele Treppen gibt es auf Sonne? Weiß ich nicht – wenn ich anfangen würde sie zu zählen wäre es noch anstrengender… / How many stairs are on RV Sonne? I don`t know. If I would count, it would be even more exhausting … ©Thomas Walter

Der Fahrtleiter

Wie sieht der Job des Fahrtleiters aus? Ist er der Boss, der jedem sagen kann, was er/sie zu machen hat? Könnte er das Schiff überall hin fahren lassen, wo er wollte? Muss er Leute disziplinieren und bestrafen? Das sind alles Fragen, die meine mittlerweile 13-jährige Tochter mich schon gefragt hat. Die Antwort auf jede dieser Fragen ist natürlich “Ja” ☺. Aber Witz bei Seite – die Aufgabe des Fahrtleiters ähnelt in vielerlei Hinsichten der eines Orchesterdirigenten. Ich muss erreichen, dass die einzelnen “Spieler” so gut und effektiv miteinander zusammenarbeiten, dass am Ende eine erfolgreiche “Performance” entsteht.

Ich heiße Colin Devey und ich habe die Ehre (und es ist wahrlich eine große Ehre) die Jungfern-Forschungsreise der neuen “Sonne” wissenschaftlich zu leiten. Es ist nicht die erste Forschungsfahrt die ich geleitet habe (nach 25 Jahren in der Meeresforschung sind es mehrere) aber sie ist sicherlich etwas ganz besonders. Aus meinem Namen kann man erraten, dass ich nicht Deutscher sondern Engländer bin, obwohl ich einen Großteil meines erwachsenen Lebens in Kiel verbracht habe und mich als “Wahl-Kieler” fühle. Von meiner Ausbildung her bin ich “Petrologe” – nein, das hat nichts mit Petrol oder Erdöl zu tun, sondern mit der Zusammensetzung von Gesteinen. In meinem Fall beschäftige ich mich hauptsächlich mit Unterwasservulkanen.

Das “Orchester”, das ich hier an Bord dirigiere, ist sowohl interessant als auch herausfordernd, da wir mit zwei ganz unterschiedlichen Wissenschaftlergruppen (Biologen und Geologen), komplizierter Tiefseetechnologie (unser autonomes Unterwasservehikel) und einem high-tech Forschungsschiff an einem gemeinsamen Forschungsprojekt arbeiten. Diese Zusammensetzung birgt enormes Potential um sowohl in der Wissenschaft als auch in der Arbeitsweise auf See große Fortschritte zu erzielen. Aber es bedeutet auch, dass die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Gruppen gut funktionieren muss – die Gruppen müssen eine gemeinsame “Sprache” finden, damit jeder versteht was der andere macht, weshalb er/sie das macht und welche Informationen man von ihm/ihr braucht. Meine Hauptaufgabe ist es diese Kommunikation am Laufen zu halten. Dafür muss ich zuerst selbst verstehen wovon sie alle reden! Ich bin weder Biologe, Ingenieur oder Seefahrer, insofern muss ich immer viel nachfragen um sicher zu gehen, dass ich jeden verstanden habe. Praktisch bedeutet dies, dass ich viele Treppen laufe, auf und ab zwischen Brücke, Arbeitsdeck und Laboren! Und auf einem so großen Schiff wie der Sonne ist das echtes Training – ich bin sicherlich fit, wenn ich wieder an Land bin.

Als Fahrtleiter muss ich die ganze “Performance” im Kopf behalten. Machen wir alles Notwendige, um die Ziele der Reise (die ja der Grund sind, weshalb wir überhaupt die Reise bekommen haben) zu erfüllen? Nutzen wir die zur Verfügung stehende Zeit so effizient wie möglich? Wenn ein Gerät nicht funktioniert, welche Alternative haben wir; wie können wir die Arbeitspläne umstricken um Zeit für eine Reparatur zu finden? Es gibt Fälle, wo dies zu Interessenskonflikte zwischen den Gruppen führen kann (z.B., sollten wir nicht genug Zeit haben, um alle Proben zu sammeln, welche Proben haben Priorität) und es ist dann meine Aufgabe, solche Konflikte zu lösen. Die Erfahrung zeigt, dass ich alleine nicht die beste Lösung finden werde, sondern mit allen reden muss – es sind viele intelligente und erfahrene Leute an Bord, die primär an dem Gelingen der Fahrt interessiert sind, gemeinsam finden wir sicherlich die beste Lösung. Dafür haben wir regelmäßige Arbeitssitzungen (in der Regel täglich) auf denen über die bisherigen Ergebnissen, die noch offenen Punkte und die Zeitplanung diskutiert wird.

Wenn sich dies nach viel Arbeit anhört, dann ist das richtig. Und ich habe gar nicht von meiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit mit meiner Gruppe der Ozeanbodenkartierer berichtet! Es gibt also Nächte, in denen ich gar nicht zum Schlafen (mit Ausnahme von vielleicht 1 oder 2 Stunden Dösen auf meiner Couch) komme. Aber macht es Spaß? Ja, ich (wie alle anderen hier an Bord) liebe es! Eine solche Forschungsfahrt ist die Zeit, in der wir Wissenschaftler die grundlegenden Daten für unsere Arbeit sammeln. Alles, was wir während der nächsten Wochen erreichen, wird ausschlaggebend sein für die Wissenschaft, die wir in den nächsten Jahren machen können. Daher ist eine Forschungsfahrt, bei der ich mehr über unseren Planeten und wie er funktioniert lerne, die spannendste und aufregendste Zeit meines Forscherlebens. Und welch ein Privileg, diese Zeit mit so vielen Experten an Bord eines solch tollen Schiffes verbringen zu dürfen.

Colin Devey
Geomar, Helmholtz Zentrum Kiel

 


[English]

The Chief Scientist

What is the job of Chief Scientist about? Is she/he the “boss” in terms of telling people what to do? Could she/he order the ship to go whereever she/he wants? Does she/he have to tell people off? These are all questions which my 13-year-old daughter has asked me before. The answer to all of them is of course yes ☺. Just kidding. In fact the Chief Scientist´s job is pretty similar to that of the conductor of an orchestra – I have to try to get all the individual “players” to work together as well and as productively as possible to make this cruise a successful “performance”.

My name is Colin Devey and I have the honour (and it really is a huge honour) to be the Chief Scientist on this maiden research cruise of the new “Sonne”. It is not the first research cruise I have led (after doing marine science for over 25 years, I have led a few!) but it is probably the most special. You will guess from my name that I am not German but British, although I have lived in Germany (and Kiel) most of my adult life and consider myself to be a true “Kieler”. By training I am what is known as a petrologist – no, not someone who deals with petroleum (oil and gas) but with the nature of rocks (how did they form, what minerals do they contain etc.) and my speciality is submarine volcanoes.

The “orchestra” I have to conduct on this cruise is very interesting and challenging in that we have two completely different scientific communities (biologists and geologists), some sophisticated deep-sea technology (our Autonomous Underwater Vehicle) and a high-tech ship working together on the same project. This has enormous potential to make fundamental advances both in science but also in how we work at sea – over and over we see that we have lots to learn from each other if we can communicate well. But it also means that the communication is not easy – both groups have to learn how to talk to each other scientifically, explaining what they are doing and why, and what information they need from the other group, in a way that all can understand. My job is to make that communication work, so I have to try and understand what everyone is talking about in the first place. I am not a biologist, an engineer, or a mariner so this generally means I have to ask lots of questions to be sure I know what people are talking about. And the bottom-line reality of this means that I walk up and down a lot of stairs, between bridge, deck and the labs. With a ship as large as the Sonne this is real training – maybe I will be fitter when I get back on land?

As Chief Scientist I also have to have the whole “performance” in my head. Are we doing what we need to fulfill the goals of this cruise (which have been subject to scientific review and were the reason we got the cruise in the first place)? Is the way we are working the best possible use of the available time? If we have problems, how do we solve them and what are our alternatives? At times this can lead to conflicting needs among the different groups (for example, if there is not enough time to carry out all sampling, which sampling has priority?) which it is my job to resolve. I have found over the years that the best way to do this is not to expect to find the solution all by myself but once again to talk to people, having an open discussion with all participants to find a solution – we are, after all, all sensible adults and all interested in making this cruise a real success. So we have meetings at regular intervals (generally once a day) so that everyone is well aware of what we have achieved, what we still need to achieve and how we are progressing in the time plan.

Sound like a lot of work? Yes it is. And that is even without my scientific work, looking, together with the mapping group, at how the ocean crust here was formed. So there are nights (like four days ago) when I really did not get any sleep (apart from a couple of short naps in my office chair) until after breakfast. Do I like it? Yes, I love it. A cruise is where we scientists gather our data. What we do during the next few weeks will be totally decisive in how our research results work out. So it is about the most fun and exciting time in my scientific life, learning about our planet and how it works. And what a priveledge to be able to call on the resources of such an amazing ship and such an expert group of scientists to do this.

Colin Devey
Geomar, Helmholtz Zentrum Kiel

Durch die Nacht gedredgt: Etwas müde aber dennoch sehr glücklich - wir haben fantastische Proben der alten Ozeankruste aus 5800 m Wassertiefe geholt./ Dredged through the night: slightly exhausted, but happy. – fantastic samples of the ocean crust from 5800 m depth. ©Thomas Walter

Durch die Nacht gedredgt: Etwas müde aber dennoch sehr glücklich – wir haben fantastische Proben der alten Ozeankruste aus 5800 m Wassertiefe geholt./ Dredged through the night: slightly exhausted, but happy. – fantastic samples of the ocean crust from 5800 m depth. ©Thomas Walter

Die Zusammenarbeit mit Kapt. Oliver Meyer klappt wie immer hervorragend - wir kennen uns schon aus der Zeit als ich wiss. Angestellter und er Offizier war!

Die Zusammenarbeit mit Kapt. Oliver Meyer klappt wie immer hervorragend – wir kennen uns schon aus der Zeit als ich wiss. Angestellter und er Offizier war!
/ Cooperation with the shipmaster Oliver Meyer is going well, as always – we know each other since I was a research assistant and he an officer. ©Thomas Walter

One thought on “FS Sonne, 31. Dezember 2014, 10° 53.26′ N 32° 18.55′ W

  1. Ein ganz toller Beitrag, der die Bedeutung von Kommunikation, Kooperation und Teamgeist hervorhebt! Ich wünsche weiterhin Durchhaltevermögen beim Treppensteigen ;-)) Und was den wundervollen Humor betrifft, nun, da kommt der Engländer beim Wahl-Kieler denn doch durch; was auch bereits beim Christmas-Video deutlich zu sehen war.

    Gute Fahrt und gutes Gelingen weiterhin,
    Karin Mombaur

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