Spaziergang am Meer

Strand auf Amrum. Foto: Rainer Nicolai

Weihnachten. Jahresende. Strandspaziergang. Sonne und Wind von vorn. Ich blicke auf die Wellen – und stolpere über meinen eigenen Gedanken: Wie viel Plankton tummelt sich wohl gerade neben mir? Da muss doch mächtig was los sein! Die mehr als sechs Jahre in der GEOMAR-Pressestelle haben meinen Blick aufs Meer verändert…

Fischkisten, Helme, Schuhe, Kanister, Taue und Netze sind mit dem Sturm der vergangenen Tage angeschwemmt worden. Manch einer baut daraus Strandburgen. Als Kind habe ich die Seile gesammelt und Knoten geübt. Jetzt frage ich mich, ob ich die Kraft habe, sie bis zum nächsten Mülleimer mitzuschleppen. Bei dem Gegenwind?! Auf dem weichen Sand?! Ausreden sind schnell gefunden. Aber im nächsten Jahr helfe ich beim Strandaufräumen! Selbst, wenn es nur ein kleiner Schritt im Kampf gegen die Verschmutzung ist.

Denn da draußen im Ozean kreisen Unmengen von Müll. Die großen Kunststoffteile sind vielleicht nicht einmal das größte Problem: Fein zerrieben geraten sie als Mikroplastik ins Ökosystem. Einige Tiere nehmen sie mit der Nahrung auf und sammeln Schadstoffe, die auf dem Kunststoff haften, in ihren Körpern an. So kann die Chemie irgendwann auf unseren Tellern landen.

Das internationale Studentenprogramm GAME hat sich zwei Jahre lang mit dieser Problematik beschäftigt – mehr darüber im Blog und in diesem Film – und untersucht 2016 noch einmal, inwiefern Mikroplastik Meeresorganismen schädigt.

Es scheint, als kämen einige Muscheln, Seegurken oder Wattwürmer mit den winzigen Partikeln einigermaßen zurecht, sofern  sie nicht schon unter anderen Stressfaktoren leiden. Eine wirklich gute Nachricht ist aber diese: Mikroplastik in Kosmetika und Plastiktüten werden nach und nach verbannt. Und das öffentliche Bewusstsein wächst.

Aber apropos Treibgut: Dieser Sturm! Und dann die Wärme! Es liegt nahe, die Extreme auf den Klimawandel zurückzuführen. So kurz nach dem Welt-Klimagipfel in Paris wirken sie fast wie inszeniert. Hauptverdächtiger ist El Niño – doch der müsste in Europa eigentlich eher für Kälte sorgen, erklärte Prof. Mojib Latif vom GEOMAR der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Gefragt, ob die Erderwärmung diese Phänomene verschlimmert, sagt er, es könne sich um keinen Zufall mehr handeln. Und diese Aussage will bei ihm etwas heißen.

Fußspuren am Strand. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR

Fußspuren am Strand. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR

Eine Welle spült mir eine Rippenqualle vor die Füße. Hallo, Du schöne Einwanderin! So auf dem Sand kann das weintraubengroße Tier, das eigentlich gar keine Qualle ist, weil ihm die Nesselfäden fehlen, seine Faszination allerdings nicht so recht entfalten. Wie anders wirken seine Artgenossen, wenn sie vorm Fenster des Tauchboots JAGO vorbeischweben und bunte Lichtblitze über ihre Außenhaut schicken!

Dr. Jamileh Javidpour, die hier auf Oceanblogs über ihre Arbeit berichtet, hat die Art Mnemiopsis leidyi vor fast zehn Jahren erstmals in der Kieler Förde entdeckt. Kurz darauf meldeten Meeresbiologen von der Nordsee erste Funde. Seither werden die Rippenquallen, die – das zeigten Genanalysen des GEOMAR – aus Nordamerika zu uns kamen, eifrig erforscht. Ihr Immunsystem ist so lernfähig, dass sich die empfindlich wirkenden Tiere in ihrem neuen Lebensraum leicht durchsetzen könnten.

Rippenquallen zählen zum Plankton („die mit der Strömung schwimmen“). Aber es gibt noch so viele weitere, kleinere Arten! Emiliania huxleyi zum Beispiel, ein Schlüsselorganismus aus Sicht all derer, die Auswirkungen der Ozeanversauerung untersuchen.

Die einzellige Kalkalge transportiert Kohlenstoff in den tiefen Ozean und fördert so seine Speicherkapazität für Kohlendioxid. Außerdem setzt sie ein klimakühlendes Gas mit dem sperrigen Namen Dimethylsulfid frei und trägt auch damit dazu bei, den Klimawandel abzumildern. Ach, und der Duft des Meeres – auch das ist Dimethylsulfid. Wir sollten Emiliania also wie eine gute Freundin begrüßen, wenn wir am Strand spazieren gehen (obwohl wir sie mit bloßem Auge nicht sehen können).

Leidet sie unter steigenden Kohlendioxid-Konzentrationen im Ozean oder profitiert sie wohlmöglich? Eine Veröffentlichung im Fachmagazin Science stellte kürzlich Beobachtungen aus Labor- und Freilandstudien in Frage. Der Science-Artikel beruht allerdings auf nicht ganz unumstrittenen Methoden.

Die Forscher um Prof. Ulf Riebesell und Prof. Thorsten Reusch vom GEOMAR sehen eher, dass Emiliania im saureren Wasser keine Chance hat, sich im Nahrungsnetz zu behaupten – auch dann nicht, wenn sie sich per Evolution über hunderte Generationen an die neuen Bedingungen angepasst hat. Beim diesjährigen Langzeit-Experiment mit den Kieler KOSMOS-Mesokosmen zeigte sich dies in aller Deutlichkeit. Da einige Journalisten bei uns auf der Forschungsstation waren, als die Zellzahlen plötzlich einbrachen und die Biologen um eine Erklärung rangen, ist der entscheidende Moment gut dokumentiert – zum Beispiel von Christine Westerhaus im Südwestrundfunk.

Ob sich Emiliania da draußen gerade fröhlich zellteilt, nicht ahnend, welche Veränderungen der Klimawandel für sie bringt?

Im Grunde können auch wir nur vermuten, wie die Zukunft der Ozeane aussieht. Aber wir können – mit all unserem Wissen – anders aufs Meer blicken. Wir können versuchen, es zu verstehen. Und wir können jetzt noch dazu beitragen, die schlimmsten Veränderungen des globalen Wandels aufzuhalten.

Also: Auf ein gutes neues Jahr 2016!

Maike Nicolai