Kiel Westufer, 9 Uhr, strahlender Sonnenschein: Die ALKOR läuft aus. Es ist jetzt über ein Jahr her, dass ich das letzte Mal mit dem Forschungsschiff auf See war. Seit Oktober bin ich nun Hiwi in der Pressestelle und freue mich wahnsinnig, dass ich endlich mal wieder mit raus darf 🙂
Auf dem Peildeck findet die erste Besprechung statt. Heidi Gonschior und Joachim Dengg erklären den 27 Teilnehmern der heutigen Fahrt, was sie heute noch erwartet. Und genau diese Teilnehmer machen diesen Tag so besonders. Bunt durchgemischt stehen hier neun Schüler des Freitagsforscherclubs sowie GEOMAR-Mitarbeiter: Azubis, Studierende, Hiwis, neue Mitarbeiter und solche, die schon lange dabei sind – aus der Verwaltung, der Wissenschaft, dem Technik- und Logistikzentrum… Die Truppe könnte nicht vielfältiger sein.
Sinn und Zweck der heutigen Fahrt ist es aber nicht nur Messdaten zu bekommen. In erster Linie wollen die Freitagsforscher zeigen, woran sie arbeiten und das denjenigen verständlich machen, die in ihrer alltäglichen Arbeit mit ganz anderen Dingen zu tun haben. Für die rund 15 Mitarbeiter ist der Tag eine willkommene Ablenkung. Ines Staben beispielsweise ist für die Reisekosten am GEOMAR verantwortlich. „Heute kann ich endlich mal selbst erleben, was die Wissenschaftler an Bord so leisten und kann mir vorstellen, was ich sonst nur auf dem Papier sehe“, erzählt Ines voller Vorfreude auf den Tag. Sie war vor einigen Jahren schon einmal Begleiterin auf einer Fahrt. „Doch da konnten wir leider nur zuschauen und nichts selber machen.“
Und das soll sich heute nicht wiederholen: Heidi und Joachim haben geplant an vier Positionen in der Kieler Bucht Halt zu machen, an denen in Dreiergruppen an jeweils einer anderen Aufgabe gearbeitet werden soll. So, dass am Ende jede Gruppe jeden Arbeitsschritt kennt. Auf Forschungsschiffen werden solche Arbeitspositionen übrigens „Station“ genannt.
Station 1: Kleverberg Ost
Seit fünf Minuten zieht das 25 Jahre alte Forschungsschiff die Dredge durchs Wasser. Die Dredge ist ein Metallgestell mit einem Netz, in dem sich so einiges sammelt: Seesterne, Muscheln, Seetang oder auch Schnecken. Die Crew holt das Netz an Bord und dann geht das große Wühlen auf einem Metalltisch los. Jeder sucht sich etwas heraus, begutachtet es und alle stellen Fragen. Heidi kommt gar nicht hinterher. Sie erklärt, wie zum Beispiel Seesterne fressen und wie man bei einer Muschel zwischen rechter und linker Seite unterscheiden kann. Als sie erzählt, dass man Braunalgen auch essen kann, lässt Ines sich das nicht zweimal sagen. „Salzig“, ist ihr Fazit. Obwohl es anfängt zu regnen und wir Windstärke 6 messen, sind die „Tagesforscher“ nicht aufzuhalten. Sie fragen, wie Seesterne es schaffen, abgefallene Körperteile neu zu regenerieren und was ein Schwamm eigentlich für ein Tier ist. Heidi kann alle Organismen benennen und kennt sogar jeden einzelnen lateinischen Namen. Die Gruppe „Benthos“ erfährt jede Menge über Lebewesen im Meer.
Eine weitere Gruppe kümmert sich gleichzeitig um die CTD. Dieses Messinstrument kann Temperatur, Dichte, Salzgehalt und vieles mehr bestimmen. Mit den darum herum angeordneten Wasserschöpfern kann man Wasserproben aus unterschiedlichen Wassertiefen sammeln. Die Proben werden in kleine Becher abgefüllt und anschließend analysiert.
Doch bevor das passiert, gibt es erst einmal Mittagessen. Um Punkt halb zwölf gehen alle runter in die Messe. So wird die „Kantine“ an Bord eines Schiffes genannt. Der freundliche Koch hat heute einen leckeren Linseneintopf gemacht. Zum Nachtisch gibt es Jogurth und Äpfel. Obwohl es verhältnismäßig früh ist, langen alle ordentlich zu und nehmen noch einen Nachschlag. Die frische Luft an Deck, der Wind, die ungewohnten Arbeiten und die Aufregung, lässt alle hungrig essen. Danach geht es wieder an Deck, denn mittlerweile sind wir an der zweiten Station angelangt.
Station 2: Östlich Stollergrund
Moritz Lüdemann (der seine Masterarbeit am GEOMAR schreibt,) Katharina Reimers (aus der Verwaltung) und Sonja Geilert (die als Postdoc am FB2 forscht) arbeiten Seite an Seite im Nährstofflabor. Hier erklären ihnen die beiden Schülerinnen Rike und Lea, wie sie die eben gewonnenen Wasserproben nun untersuchen können. Die Schülerinnen gehen so wie alle anderen Freitagsforscher in ihrer Freizeit ins Labor, einfach weil sie Freude daran haben, Experimente durchzuführen. „Andere gehen halt zum Sport oder machen Musik nach der Schule. Ich fahre jede Woche nach Kiel, um meine Ideen umzusetzen. Ich bin wohl durch und durch Naturwissenschaftlerin“, erklärt die Zwölftklässlerin Rike. Sie und Lea gucken den dreien aus der „Nährstoff-Gruppe“ über die Schulter. Hier läuft alles glatt. Die Proben werden mit Indikatoren versetzt und dann in ein Photometer gesteckt. „Zuerst nehmen wir die sogenannte Blindprobe, also das reine Ostseewasser. Es wird gemessen, wie viel Licht durchgelassen wird“, sagt Rike. Anschließend kommen die anderen Proben in das Gerät. Die Gruppe will Nitrat-, Phosphat- und Siliziumkonzentrationen im Wasser messen. Und was erfährt man am Ende? „Je intensiver die Farbe, desto weniger Licht, desto mehr Nährstoffe“ – so einfach ist das.
Station 3: Bank östlich Damp
Nachdem die Arbeit im Nährstofflabor getan ist, geht es noch einmal ins Nasslabor. Hier soll die Gruppe den pH-Wert in den Proben aus der CTD bestimmen. Hilfe erhält sie von den Schülern Sören und Jorina. Sie erklären, wie man das Gerät erstmal mit Hilfe von Referenzlösungen kalibriert. Danach werden die Messsonden nur kurz in die Probe gehalten und schon erfährt man den pH. Dieser Wert schwankt meist um etwa 8 herum, das Wasser ist also leicht basisch.
Station 4: Boknis Eck
In der Ostsee befinden sich aber natürlich nicht nur größere Tiere, sondern auch winzig kleine Organismen – das sogenannte Plankton. Und auch das sollen wir uns heute ansehen. Wir „fangen“ diese Lebewesen mit Planktonnetzen, die Katja gerade über die Reling ins Wasser gelassen hat. Sie ist Biologie- und Mathelehrerin und hilft bei der Betreuung des Schülerclubs. Heute kümmert sie sich zusammen mit den Freitagsforschern Linnea und Patrick um die Plankton-Gruppen. Die beiden gehen in die elfte und zwölfte Klasse des Wellingdorfer Gymnasiums. Sie waren schon öfter mit der ALKOR auf See. Heute soll sowohl Phytoplankton (pflanzliches) als auch Zooplankton (tierisches) gesammelt werden. Mit den sehr feinmaschigen Netzen ist die Ausbeute reichlich. Die Geologin Sonja und der Geophysiker Moritz schauen sie sich unter dem Binokular, einer Art Mikroskop, genauer an. Katja erklärt: „Beim Phytoplankton hat das Wasser eine bräunliche Färbung. Die Organismen können wir mit bloßem Auge nicht erkennen.“ Unter dem Bino aber sieht man dann Dinoflagellaten (sie sehen aus wie punktförmige Wesen mit drei Armen) und Kieselalgen – die beiden Gruppen, die in der Ostsee am häufigsten vorkommen. Das Zooplankton ist so groß, dass man auch so schon erkennen kann, dass da etwas durch das Wasser schwebt. Unterm Bino sieht das jedoch gleich viel spektakulärer aus: Hier wuseln kleine Krebstierchen wie Ruderfußkrebse, Wimpertierchen, Borstenwurm- und Naupliuslarven bunt durcheinander. Sonja und Moritz fragen immer mal wieder, was genau sie dort sehen. Denn trotz Bestimmungsbüchern ist die Identifikation nicht ganz so einfach. Auch Elena Schiller ist ganz begeistert von dem, was sie dort sieht. „Zurzeit studiere ich noch Maschinenbau. Ich schreibe gerade meine Bachelorarbeit über Tariersysteme von Tauchbooten. Am GEOMAR arbeite ich im JAGO-Team mit. Aber nach meinem Studium würde ich gerne noch ein weiteres dranhängen – Biochemie oder etwas Ähnliches. Das finde ich richtig klasse!“
14:30 – wir sind nun bereits auf der Rückfahrt. Mittlerweile haben alle Gruppen alle Stationen durchlaufen. Die letzten Messungen und Probennahmen wurden durchgeführt, und ich habe etwas Zeit, in Ruhe mit meinen Mitfahrern über den heutigen Tag zu sprechen.
Sven Sturm beispielsweise arbeitet seit einem Jahr im Technik- und Logistikzentrum des GEOMAR am Kieler Ostufer. Er hat bereits einige der Projekte mit den Freitagsforschern realisiert und einige der Schüler haben schon ein Praktikum bei ihm absolviert. „Gerade deshalb finde ich es spannend, mal zu sehen, was auf See so passiert. Ich fahre heute das erste Mal auf einem Forschungsschiff mit.“
So geht es auch Emre Ergüden, einem Azubi aus der Verwaltung. Auch für ihn ist das die erste Fahrt. „Ich fand es heute total spannend und informativ – ich habe viel mitbekommen und gelernt.“ Und auch Christoph Sevenich, der neue Leiter der Stabsstelle für Sicherheit und Umweltschutz am GEOMAR, konnte spannende Einblicke in den Alltag an Bord werfen. „Es ist toll zu sehen, wie begeistert die Schüler sind und wie gut die Nachwuchsförderung hier funktioniert. Es ist schön, dass so viele die Chance genutzt haben zu sehen, was auf einem Forschungsschiff passiert. So entsteht ein viel besseres Verständnis auf allen Seiten.“
Und die Schüler? Wie fanden sie den Tag?
Jorina sagt lachend: „Okay, das Wetter hätte besser sein können. Aber für mich war das die erste Ausfahrt. Ich fand es besonders interessant zu sehen, wie in einem Schiffslabor gearbeitet wird. Bisher kannte ich das ja nur an Land. Hier zum Beispiel müssen Geräte wie die Binokulare mit Spanngurten gesichert werden. Ich würde auf jeden Fall gerne mal mit auf eine richtige Expedition!“ Und Phillipp Kloth sagt: „Es hat echt viel Spaß gemacht, sein Wissen zu vermitteln.“
Über eines sind sich alle einig: Wer einmal die Möglichkeit hat, einen Tag auf einem Forschungsschiff zu verbringen und mit anzupacken – der sollte sie unbedingt nutzen!
Kiel Westufer, 16 Uhr, wieder strahlender Sonnenschein: Die ALKOR legt an. Müde und kaputt von dem ereignisreichen Tag tragen wir die Geräte von Bord und so langsam verläuft sich die so bunt gemischte Gruppe, die heute so schön zusammen gearbeitet hat.
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende!
Viele Grüße,
Gesa