Von Seesternen, Schlamm und Seemannssonntagen – ein Tag an Bord der ALKOR

Auf dem Weg von der Kieler Förde in die Ostsee werden bereits die ersten Geräte vorbereitet. (Foto: G. Seidel, GEOMAR) Auf dem Weg von der Kieler Förde in die Ostsee werden bereits die ersten Geräte vorbereitet. (Foto: G. Seidel, GEOMAR)

Es ist soweit: Endlich kann ich mal auf einem Forschungsschiff mitfahren! Und zwar nicht auf einem der kleineren, sondern gleich auf der ALKOR. Sie operiert hauptsächlich in Nord- und Ostsee sowie in der Norwegischen See. Auf der 55 Meter langen ALKOR finden auf Expeditionen 11 Besatzungsmitglieder und 12 Wissenschaftler Platz. Da wir heute aber nur eine Tagesfahrt vorhaben, dürfen außer der technischen und nautischen Besatzung noch zusätzliche Mitfahrer mit. Wie ich ist die ALKOR Baujahr 1990 – ein gutes Omen 😉

Abfahrt an der Kiellinie
Um 7:56 komme ich am Pier des GEOMAR an. Schnell den Seehunden „Guten Morgen“ sagen und dann ab auf’s Schiff. Außer mir sind schon fast alle da: Die beiden Fahrtleiterinnen Renate Schütt und Karen v. Juterzenka, zehn GAME-Studenten, zwei Mitarbeiter aus der Kieler Forschungswerkstatt und eine weitere Praktikantin des GEOMAR fahren heute mit der ALKOR in die westliche Ostsee.
Nachdem wir im Wind den Sonnenaufgang oben auf dem Peildeck genossen haben, treffen wir uns alle wieder im Trockenlabor. Was ein Trockenlabor ist? Ganz einfach. Im Gegensatz zum Nasslabor ist es hier trocken. Denn das Labor hat keinen direkten Ausgang zum offenen Arbeitsdeck. Das ist gut so, denn hier gibt es zum Beispiel Computer, an denen die Wissenschaftler auf längeren Fahrten Berechnungen durchführen können. Wir besprechen jetzt, was überhaupt das Thema unserer Fahrt ist: „Benthic Life in the Western Baltic“. Generell geht es darum, Sedimentproben mit bodenlebenden Tieren aus der westlichen Ostsee zu bekommen, den Sand dort herauszuspülen und das ganze Sammelsurium in Plastikbehälter zu packen und alles an das Landesamt zu schicken. Dort wird der Inhalt dann analysiert und verglichen wird. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde werden Gruppen für die Arbeit an Deck eingeteilt. In jeder Gruppe gibt es Leute, die die nachfolgenden Arbeiten im Schlaf können, und andere, wie mich, für die das alles aufregend und neu ist. Alle reden fröhlich in einem deutsch-englischen Wirrwarr durcheinander und wir freuen uns darauf, gleich etwas tun zu können. Um 9:15 ist es dann so weit: Wir ziehen uns Regensachen über, Handschuhe und nicht zu vergessen gelbe Helme, die man bei Arbeiten auf dem Schiff immer draußen tragen muss.
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Regenkleidung wird hier nur getragen, damit wir bei der Arbeit mit den Proben nicht nass werden – vom strahlend blauen Himmel scheint nämlich nur die Sonne! 🙂

Auf geht's in Richtung Gabelsflach, unserer ersten Station in der Ostsee. (Foto: G. Seidel, GEOMAR)

Auf geht’s in Richtung Gabelsflach, unserer ersten Station in der Ostsee. (Foto: G. Seidel, GEOMAR)

Morgens halb zehn in Deutschland
Laut Plan befinden wir uns jetzt am Gabelsflach. Die genauen Koordinaten lauten 54° 32,1’ N, 010° 20,9’ E. (Ich weiß, diese Angabe hat etwas mit Grad und Bogensekunden zu tun. Wie sich das genau ergibt, werde ich noch mal erfragen und euch dann hier auf oceanblogs mitteilen 😉 ) Markus, Jenni und ich sind Gruppe A und müssen auch als erste ran. Was jetzt kommt, müssen später auch die anderen vier Gruppen machen. So bekommen wir am Ende mehrere Proben von ein und derselben Stelle, damit man einen Eindruck von der Vielfalt und Variabilität der Bodenfauna bekommt.
Die Crew-Mitglieder fahren den Greifer herunter, der in elf Metern Wassertiefe genau das macht: Er greift nach dem Sediment und allem, was sich darauf und darin befindet. Wenn der Greifer wieder oben angekommen ist, nehmen wir als erstes eine kleine Probe vom Inhalt. Mit einer vorn abgesägten Spritze saugen wir sozusagen den Sand und alles andere Feine hinein. Das wird dann in ein kleines Töpfchen verpackt. Einer von uns muss auch immer Protokoll führen. Welche Gruppe war das? Aus welcher Tiefe kommt der Greifer wieder hoch? Wie sieht der Inhalt aus? Wie riecht die Probe?

Die eigentliche Arbeit kommt erst danach: Wir spülen den gesamten Inhalt des Greifers in einen Bottich. Gespült wird hier natürlich mit Wasser aus der Ostsee. Aus diesem Bottich wird der Inhalt anschließend noch einmal gesiebt und gespült, denn wir wollen keinen Schlamm und Sand in unseren Proben. Der ist nicht wichtig für die Analysen. Was wir brauchen, das sind Organismen, Gestein und was sonst noch übrig bleibt. Zunächst wird ein Foto davon gemacht, damit man hinterher weiß, wie es ursprünglich aussah, dann wird alles in einen Plastikbehälter gefüllt. Der wird mehrmals beschriftet, damit hinterher auch alles vernünftig zugeordnet werden kann. „Station 112, 21.11.2013, Grab A“ steht auf unseren Sachen. Damit in der Probe nichts abgebaut wird, konservieren wir alles mit etwa 100 Milliliter Formaldehyd. Nach einer Stunde sind alle Gruppen durch, jede hat ihren „Grab“, also den Inhalt ihres Greifers gespült, gefiltert und abgefüllt, und es geht weiter.


Mein erster Seemannssonntag
Was man an Bord sofort lernt: Seemänner sind ziemlich traditionell. Pünktlich um halb zwölf wird unten in der Messe gegessen. Wer dort mit Mütze auf dem Kopf oder Arbeitskleidung erscheint, der kann gleich wieder hochgehen, um sich umzuziehen. Als erstes hat die Crew gegessen, dann waren wir dran. Für „an Land“ klingt halb zwölf ziemlich früh, aber ob es am Wind, der Arbeit oder etwas anderem lag, man weiß es nicht, auf jeden Fall hatten wir alle ziemlichen Hunger. Glück für uns, dass heute ausgerechnet Donnerstag ist. Denn „Donnerstag ist Seemannssonntag“. Das heißt für uns im Klartext: Heute gibt es richtig gutes Essen. Das gibt es auf der ALKOR zwar immer, wie man hört, aber donnerstags ist das Essen einfach noch mal ein Stückchen weit besonders. Hirschragout mit Spätzle, einer halben Birne und Preiselbeersoße. Sehr lecker! Als alle Teller leer waren, schnell drüberspülen, ab in die Spülmaschine damit und wir wieder hoch, denn wir sind nun an der zweiten Station angekommen.

Mud, mud, glorious mud?
Wir befinden uns jetzt an der Wattenbergrinne, 54° 41,7’ N, 010° 09,0’ E. Hier wird ähnlich wie an Station 1 verfahren. Der Greifer fährt bis auf den Meeresboden in 26 Meter Tiefe hinunter, nimmt eine Probe, und wird wieder heraufgezogen. Die Arbeit selbst ist die gleiche wie am Gabelsflach, es gibt nur einen Unterschied: Jetzt klärt sich, warum im Protokoll vermerkt werden muss, wie die Probe riecht. Obwohl, riechen ist hier vielleicht der falsche Ausdruck… Der Geruch nach faulen Eiern ist einfach überwältigend und keiner von uns beneidet Frederik, der die extrem schlammige, schwarze, zähe Probe mit den Händen in den Bottich drücken muss. Karen erklärt uns, der schwefelige Geruch deute darauf hin, dass in diesem Stück Meeresboden kaum Sauerstoff mehr vorhanden ist, weil spezielle Bakterien dort Schwefelwasserstoff produzieren.

Was ist denn bitte eine Dredge?
Kaum dampfen wir an Station zwei wieder ab, da wird auch schon die Dredge ausgeworfen. Aber was bitte ist das? Im Prinzip handelt es sich dabei um ein großes blaues Netz, das eine Strecke weit über den Meeresboden gezogen wird. Danach wird es wieder auf’s Achterdeck (das hintere Deck) gezogen. Dort wird es auf den Boden entleert, und wieder darf Frederik die Arbeit machen: Er schaufelt Sand, Schlamm und Meeresbodenbewohner in verschiedene Bottiche, die ebenfalls gesiebt werden und aus denen der Sand herausgespült wird. Was wir dann übrig behalten, wird auf eine Art großen Wühltisch verfrachtet. Keine Minute später drängeln sich alle um den Tisch um nachzusehen, was wir dort alles so haben. Renate erklärt: die Islandmuschel Arctica islandica (für den Laien große Muscheln), Seesterne und Polychäten (Fingernagel-lange Borstenwürmer). Das sind die Organismen, die wir am häufigsten finden. Mithilfe von Pinzetten oder per Hand werden die Lebewesen in verschiedene Wasserbecken transportiert, damit wir sehen können, wie viel wir von jeder Art haben. Als wir alle Bottiche durchgesucht haben sehen wir acht Seesterne, mehrere Muscheln, unzählige Borstenwürmer (bestimmt hundert) und ein paar Sonderlinge wie zum Beispiel den Wirbel eines größeren Fisches. Als wir alles begutachtet haben, werden einzelne Exemplare in einen Probenbehälter getan und konserviert. Sie dienen später als Referenzprobe für die Auswertung dieser Station. Den Rest lassen wir wieder in seinen natürlichen Lebensraum.


Heimathafen in Sicht
14 Uhr: Nachdem die Proben gut verstaut sind, sich die übrigen Organismen wieder im Meer, die Geräte gesäubert an Ort und Stelle und die Arbeitskleidung am Haken befindet sammeln wir uns wieder im Trockenlabor. Karen erläutert noch einmal, was wir heute gesehen und gemacht haben – schließlich war diese Tagesfahrt hauptsächlich zu Übungszwecken da. Währenddessen werden Lebkuchen und Chips durch die Reihen gegeben – irgendwie haben wir schon wieder Hunger. Als Karen mit ihrer Präsentation fertig ist, vernimmt man zum ersten Mal die leisen Maschinengeräusche. Auf einmal sind wir alle müde und die Gespräche ebben so langsam ab. Um 15:17 wird die ALKOR am wieder am Pier des GEOMAR festgemacht.

Im Vergleich zu einer richtigen Expedition (wie der MSM32 oder der M100/2) war das natürlich noch nichts, dort wird von früh bis spät durchgearbeitet und auch ein Fahrtleiter hat es nicht immer einfach, doch wir sind uns einig: Für uns war es ein toller Tag auf der ALKOR und wir würden jederzeit wieder mitfahren! Danke an die Besatzung, den Kapitän und Karen und Renate, die uns alles so toll erklärt haben!

Zum Abschluss noch ein Gruppenfoto der ganzen "wissenschaftlichen" Besatzung - es war ein schöner Tag! (Foto: ALKOR-Team, GEOMAR)

Zum Abschluss noch ein Gruppenfoto der ganzen “wissenschaftlichen” Besatzung – es war ein schöner Tag! (Foto: ALKOR-Team, GEOMAR)

Ich wünsche euch allen ein gesundes und gutes neues Jahr 🙂

Gesa

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