Welchen Einfluss hat die Vielfaltsdimension „soziale Herkunft“ auf die Arbeit der WASCAL Floating University und der 9. SOLAS Summer School? / What influence does the diversity dimension ‘social background’ have on the work of the WASCAL Floating University and the 9th SOLAS Summer School?

***English version below***

von Lilly Rosenkranz, Cordula A. Zenk, Hjördis Lorenzen and Nikole Lorenz

Bisher haben wir in unserem Blog verschiedene Vielfaltsdimensionen thematisiert, die mehr oder weniger fester Bestandteil von öffentlichen Diskussionen sind. In dem heutigen Beitrag möchten wir eine weitere wichtige, wortwörtlich vielschichtige Dimension betrachten, die verschiedene Diversitätsbereiche miteinander verbindet und gleichzeitig Zusammenhänge aufzeigen kann: die soziale Herkunft.

Was bedeutet „soziale Herkunft“?

Die soziale Herkunft umfasst die familiäre, soziale und ökonomische Lage einer Person. Diese  Diversitätsdimension ist sehr komplex und facettenreich. Der Begriff „soziale Herkunft“ beinhaltet mehrere, sich überschneidende Ebenen sowie das intersektionale Zusammenwirken verschiedener Einflussfaktoren. Daher muss der Begriff im Kontext verschiedener sozialer und politischer Kategorien gedacht werden, wie familiärer Hintergrund, Jugendsozialisation, Bildung und ethnische Herkunft.

Welche Bedeutung kann die „soziale Herkunft“ haben?

Ob die Herkunft eines Menschen von Benachteiligungen oder Privilegien geprägt ist, kann sich auf die Gestaltung der Chancen und Möglichkeiten auswirken, die sich im Leben dieses Menschen eröffnen. Neben der Chancengleichheit werden auch die gesellschaftliche Teilhabe und kulturelle Vielfalt durch die Unterschiede der sozialen Herkünfte gestaltet.

Über die Wertschätzung der Vielfalt hinaus darf nicht ausgeblendet werden, dass eine von Benachteiligungen geprägte soziale Herkunft sich negativ auf die Lebensgestaltung auswirken kann. Häufig erfahren Menschen aufgrund der sozioökonomischen Lage Diskriminierungen und eine wirtschaftliche Ungleichheit aufgrund der sozialen Herkunft entsteht. Die individuellen Bedingungen für die Lebensführung und soziale Verbindungen variieren und haben Auswirkungen auf die Handlungsmöglichkeiten einer Person. Ein kurzes Beispiel: Eine Person aus einer Familie mit akademischem Hintergrund hat durch  die Kontakte der Eltern voraussichtlich andere Bildungschancen und Zugangsmöglichkeiten als eine Person, die diesen akademischen Hintergrund nicht aufweist. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu beschreibt diese Beziehungen, die Quellen von Ressourcen und Chancen sind, als soziales   Kapital, welches die soziale Mobilität bestimmt, also wie gut Personen in der Gesellschaft auf sozialen Positionen auf- oder absteigen können.

Im Bereich der Bildung hat die soziale Herkunft einen starken Einfluss auf den Bildungserfolg, hierzu gibt es beispielsweise Erhebungen über den Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand der Eltern und der Entscheidung für ein Hochschulstudium. (FES 2016)

Auch die Arbeitswelt ist ein Bereich, in dem soziale Herkunft relevant ist: In einer Studie der Charta der Vielfalt (2020) berichtete etwa jede zweite Person davon, Diskriminierungserfahrungen in der Arbeitswelt beobachtet oder erfahren zu haben.

Wie kann das Wissen um „soziale Herkünfte“ und dessen Auswirkungen genutzt werden?

Um Diskriminierung und Ungleichheiten aufgrund der sozialen Herkunft zu bearbeiten, ist es hilfreich, erst einmal auf die Auswirkungen der Dimension aufmerksam zu machen und sich darüber auszutauschen. Das Teilen von Möglichkeiten und Ressourcen aus einer privilegierten Position mit denjenigen Personen, die diese nicht haben, ist ein weiterer Schritt. Damit kann sich jede Person für eine inklusive Gesellschaft und gegen Diskriminierungen und soziale Ungleichheiten einsetzen.

Was passiert am GEOMAR bezüglich der „sozialen Herkunft“?

Im vergangenen Jahr wurde zum zweiten Mal die WASCAL Floating University durchgeführt, eine vom GEOMAR koordinierte Forschungsreise innerhalb des WASCAL Master-Programms „Climate Change and Marine Sciences“, das von der kapverdischen Universidade Técnica do Atlântico (UTA) in Partnerschaft mit dem GEOMAR geleitet wird. WASCAL (West African Science Service Centre on Climate Change and Adapted Land Use), ist ein vom BMBF gefördertes Graduiertenprogramm in 12 westafrikanischen Ländern und fördert akademische Bildungsmöglichkeiten an westafrikanischen Universitäten in Verbindung mit deutschen universitären Forschungseinrichtungen. Durch diese Art der Zusammenarbeit können Bildungschancen für Menschen aus verschiedenen sozialen Hintergründen unterstützt und gefördert werden.

Während der zweiwöchigen Forschungsreise von Mindelo (Cabo Verde) nach Bremerhaven besuchten die Studierenden Lehrveranstaltungen und führten Experimente in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen aus Cabo Verde und Deutschland durch. Bei dem von der UTA in Kooperation mit dem GEOMAR geleiteten Masterprogramm legt man vor allem auch auf die Chancengleichheit wert: An der Fahrt nahmen sieben Nachwuchswissenschaftlerinnen und vier Nachwuchswissenschaftler teil. Weiter sollte die Chancengleichheit durch die Zusammenarbeit innerhalb des gesamten WASCAL-Programms beispielsweise durch Zweit-Betreuung von Abschlussarbeiten, Zusammenarbeit in der Gestaltung der Lehre, Gastprofessuren und auch der Möglichkeit für Studierende, Forschungstätigkeiten an deutschen Partnereinrichtungen aufzunehmen oder diese zu besuchen, gewährleistet werden.

Im Juni versammelten sich für zwei Wochen 66 Studierende und 30 Dozierende aus 25 verschiedenen Ländern zur 9. SOLAS Summer School (SOLAS = Surface Ocean Lower Atmosphere Study) am Ocean Science Centre Mindelo in Cabo Verde, und damit zum ersten Mal in Afrika. SOLAS erforscht die Wechselwirkungen zwischen Luft und Meer, untersucht die physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse an der Schnittstelle zwischen Ozean und Atmosphäre und bringt Forschende aus diesen Disziplinen weltweit zusammen. Dabei ist SOLAS bestrebt, sein Netzwerk in Regionen auszuweiten, die bisher im SOLAS-Netz unterrepräsentiert waren. In vielen afrikanischen Ländern führen Nachwuchswissenschaftler:innen einschlägige Forschungsarbeiten zu SOLAS-Themen durch oder möchten dies tun, sodass SOLAS in ihren Gemeinschaften präsent sein muss. Cabo Verde und insbesondere das Ocean Science Centre Mindelo sind ein wunderbares Sprungbrett in diese Gemeinschaften. Das Ocean Science Centre Mindelo ist eine vom GEOMAR und dem kapverdischen Partner IMar gemeinsam betriebene Forschungs- und Logistikplattform, die auch vermehrt Ausbildungszwecken dient und von Forschenden weltweit frequentiert werden kann.

Darüber hinaus setzen sich SOLAS im Allgemeinen und die Sommerschule im Besonderen für die Förderung der Vielfalt innerhalb der Gemeinschaft der Erdsystemwissenschaft ein. Eine Vielfalt, die sich über Nationen, Kulturen, Geschlechter und verschiedene soziale Hintergründe erstreckt, führt zu mehr Kreativität, besseren Problemlösungen, einer umfassenderen Nutzung unserer globalen intellektuellen Ressourcen und einem bereichernden Forschungs- und Lehrumfeld. In der Auswahl der Teilnehmer:innen ist akademische Exzellenz zwar das wichtigste Kriterium, doch werden auch Faktoren wie Nationalität, Geschlecht, Forschungsgebiet und Karrierestufe berücksichtigt, um eine bessere Vertretung der globalen SOLAS-Gemeinschaft zu fördern und Kapazitäten aufzubauen. Erstmalig wurde auch ein neues Lehrmodul während der Sommerschule eingeführt, das sich mit den Herausforderungen der Vielfalt in der Wissenschaft und deren Bewältigung befasst. Ziel ist, ein neues SOLAS-Mentoring-Programm auf den Weg zu bringen, das interessierte Nachwuchswissenschaftler:innen mit fortgeschrittenen SOLAS-Forscher:innen für einen bestimmten Zeitraum zu einem direkten Mentoring zusammenbringt, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Förderung unterrepräsentierter Gruppen liegt.

Weitere Infos und Lektüre zum Thema „soziale Herkunft“ sind unter diesen Links zu finden:

Bundeszentrale für politische Bildung: Soziale Ungleichheiten in den Bildungsbereichen https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/322324/soziale-ungleichheiten-in-den-einzelnen-bildungsbereichen/#node-content-title-5

Charta der Vielfalt (2021): Factsheet Soziale Herkunft, https://www.charta-der-vielfalt.de/fileadmin/user_upload/Studien_Publikationen_Charta/Charta_der_Vielfalt_Factsheet_Soziale_Herkunft.pdf

Quellen:

Charta der Vielfalt (2020): Policy Paper „Die Dimension Soziale Herkunft in der Arbeitswelt“ https://www.charta-der-vielfalt.de/aktivitaeten/soziale-herkunft-die-7-dimension/grundlagen-der-neuen-vielfaltsdimension/)

Friedrich Ebert Stiftung (2016): Soziale Herkunft und Bildungserfolg, https://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/12727.pdf

GEOMAR WASCAL Floating University: https://www.geomar.de/entdecken/ozeandekade/floating-university)

WASCAL Graduates Studies Programme: https://wascal.org/graduate-studies-programme/

***English version***

So far, we have addressed various diversity dimensions in our blog that are more or less a fixed part of public discussions. In today’s post, we would like to examine another important, literally multi-layered dimension that interconnects various diversity areas and, at the same time, can reveal connections: social background.

What does ‘social background’ mean?

Social background encompasses the familial, social, and economic situation of an individual. This diversity dimension is very complex and multifaceted. The term ‘social background’ includes several overlapping levels and the intersectional interaction of various influencing factors. Therefore, the term must be considered in the context of different social and political categories, such as family background, youth socialization, education, and ethnic origin.

What significance can ‘social background’ have?

Whether a person’s background is shaped by disadvantages or privileges can impact the opportunities and possibilities that open up in that person’s life. Besides equal opportunities, social participation and cultural diversity are also shaped by the differences in social backgrounds.

Beyond the appreciation of diversity, it should not be underestimated that a socially disadvantaged background can have a negative impact on life. Often, individuals experience discrimination due to socio-economic circumstances, leading to economic inequality based on social background. The individual conditions for life management and social connections vary and have implications for a person’s options in life. For instance, a person from a family with an academic background is likely to have different educational opportunities and access than someone whose family lacks this academic background. The French sociologist Pierre Bourdieu describes these relationships, sources of resources and opportunities, as social capital, which determines social mobility – how well individuals can ascend or descend social positions within society.

In the field of education, social background strongly influences educational success. For instance, there are surveys on the correlation between parents’ educational attainment and the decision to pursue higher education (FES 2016).

The work life is also a domain where social background is relevant: In a study by the Charta der Vielfalt (2020), approximately every second person reported witnessing or experiencing discrimination in the workplace.

How can knowledge about ‘social backgrounds’ and its effects be utilized?

To address discrimination and inequalities due to social background, it is helpful to first raise awareness about the effects of this dimension and engage in discussions about it. Sharing opportunities and resources from a privileged position with those who do not have them is another step. This way, each person can advocate for an inclusive society and against discrimination and social inequalities.

What is happening at GEOMAR regarding ‘social background’?

Last year, the WASCAL Floating University was conducted for the second time, a research journey coordinated by GEOMAR within the WASCAL Master’s program ‘Climate Change and Marine Sciences,’ led by the Cape Verdean Universidade Técnica do Atlântico (UTA) in partnership with GEOMAR. WASCAL (West African Science Service Centre on Climate Change and Adapted Land Use) is a BMBF-funded graduate program in 12 West African countries, promoting academic educational opportunities at West African universities in collaboration with German university research institutions. Through this collaboration, educational opportunities can be supported and promoted for people from different social backgrounds.

During the two-week research journey from Mindelo (Cabo Verde) to Bremerhaven, students attended lectures and conducted experiments in collaboration with scientists from Cabo Verde and Germany. The Master’s program, led by UTA in cooperation with GEOMAR, places a strong emphasis on equal opportunities: Seven female and four male junior scientists participated in the trip. Equal opportunities should be ensured through collaboration within the entire WASCAL program, such as co-supervision of theses, collaboration in teaching design, guest professorships, and the opportunity for students to take up or visit research activities at German partner institutions.

In June, 66 students and 30 lecturers from 25 different countries gathered for two weeks at the 9th SOLAS Summer School (SOLAS = Surface Ocean Lower Atmosphere Study) at the Ocean Science Centre Mindelo in Cabo Verde, for the first time in Africa. SOLAS investigates interactions between air and sea, examines the physical, chemical, and biological processes at the interface between ocean and atmosphere, and brings researchers from these disciplines together worldwide. SOLAS aims to expand its network into regions that have been underrepresented in the SOLAS network. In many African countries, young researchers conduct relevant research on SOLAS topics or intend to do so, thus SOLAS needs to be present in their communities. Cabo Verde and particularly the Ocean Science Centre Mindelo serve as a wonderful gateway into these communities. The Ocean Science Centre Mindelo is a research and logistics platform jointly operated by GEOMAR and the Cape Verdean partner IMar, increasingly serving educational purposes and being frequented by researchers worldwide.

Furthermore, SOLAS in general and the summer school in particular are committed to promoting diversity within the Earth system science community. Diversity across nations, cultures, genders, and different social backgrounds leads to more creativity, better problem-solving, a more comprehensive utilization of our global intellectual resources, and an enriching research and teaching environment. While academic excellence is the most important criterion in selecting participants, factors such as nationality, gender, research area, and career stage are also considered to promote better representation of the global SOLAS community and build capacities. For the first time, a new teaching module addressing the challenges of diversity in science and how to address them was introduced during the summer school. The goal is to launch a new SOLAS mentoring program, bringing interested young researchers together with advanced SOLAS researchers for a specific period, with a particular focus on promoting underrepresented groups.”

Further information and reading on the topic of ‘social background’ can be found at these links:

Bundeszentrale für politische Bildung: Soziale Ungleichheiten in den Bildungsbereichen https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/322324/soziale-ungleichheiten-in-den-einzelnen-bildungsbereichen/#node-content-title-5

Charta der Vielfalt (2021): Factsheet Soziale Herkunft, https://www.charta-der-vielfalt.de/fileadmin/user_upload/Studien_Publikationen_Charta/Charta_der_Vielfalt_Factsheet_Soziale_Herkunft.pdf

Sources:

Charta der Vielfalt (2020): Policy Paper „Die Dimension Soziale Herkunft in der Arbeitswelt“ https://www.charta-der-vielfalt.de/aktivitaeten/soziale-herkunft-die-7-dimension/grundlagen-der-neuen-vielfaltsdimension/)

Friedrich Ebert Stiftung (2016): Soziale Herkunft und Bildungserfolg, https://library.fes.de/pdf-files/studienfoerderung/12727.pdf

GEOMAR WASCAL Floating University: https://www.geomar.de/entdecken/ozeandekade/floating-university)

WASCAL Graduates Studies Programme: https://wascal.org/graduate-studies-programme/