25.11.2023 – Internationaler Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen/International Day for the Elimination of Violence against Women

***English version below***

von Ruth Thormann

Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Sie tritt mal unauffälliger, vielleicht durch rein verbale Gewalt, mal offensichtlicher, durch Verletzungen oder öffentliche Entwürdigung auf. Gewalt gegen Frauen ist irgendwie immer ein Thema, jedoch irgendwie auch „alt“, denn Gleichstellung und Frauenrechte gibt es doch schon – zumindest offiziell und zumindest in Deutschland. Wo das Problem ist, kann man sich da fragen.
Vielleicht ist es vielen auch nicht bewusst, dass Gewalt gegen Frauen jeden Tag und an fast jedem Ort stattfindet. Es gibt nicht „die“ Gruppe von Personen, die Gewalt ausüben, es gibt nicht „die“ Bildungsschicht, die Gewalt ausübt. Gewalt ist ein Phänomen, das dazu tendiert, übersehen und abgewürgt zu werden. „Ist doch nicht so schlimm“, haben viele Betroffene schon gehört. „Stell dich nicht so an“, kommt vom Gegenüber einer von Gewalt betroffenen Frau auch oft als „Argument“.
Das Leben geht weiter!
Aber was macht eine Gewalterfahrung überhaupt mit einer Frau? Hat sie Einfluss auf das weitere Leben, die Karriere? Auch dann, wenn es „nur“ ein „flotter Spruch“ war? Schauen wir einmal genauer hin.
Das GEOMAR bietet Arbeitsbegebenheiten an, die so nicht so oft vorkommen in Deutschland. Es gibt die Möglichkeit, auf Schiffsexpeditionen mitzufahren und Forschung direkt auf See zu betreiben.
Viele Wissenschaftlerinnen und auch Assistenzen nehmen die Möglichkeit wahr und fahren zu teilweise mehrwöchigen Schiffexpeditionen aus. Wie man sich vorstellen kann, ist dies oftmals eine herausfordernde Erfahrung, besonders bei der ersten Ausfahrt: Man kennt oftmals nur einen Teil der anderen Wissenschaftler:innen, der Platz auf den Forschungsschiffen ist begrenzt, das Arbeiten an Bord ist ungewohnt. All diese Eindrücke
muss man binnen kurzer Zeit verarbeiten, sich sortieren und in einen guten Arbeitsrhythmus finden.
Da freuen sich die meisten Wissenschaftler:innen, wenn es Abende des Austausches und der Unterhaltung gibt. An dieser Schnittstelle, wo Arbeits- und begrenztes Privatleben aufeinandertreffen, sind die Grenzen zwischen Spaß und Übergriffigkeit oft fließend. Der eine meint es freundlich, die andere fühlt sich bedrängt, hat das Gefühl, dass ihre Privatsphäre nicht geachtet wurde. Und an diesem Punkt ist ein Konflikt geboren. Es gärt in einem:r. Fragen tauchen auf. Was ist passiert? Was habe ich womöglich falsch gemacht? War das schon Gewalt? Und wem soll ich  es sagen? Nicht, dass es heißt: „Nun stell‘ dich nicht so an“.
So bleibt die Frau meist erstmal alleine mit ihren Gefühlen über den wie auch immer gearteten Übergriff. Mag dies eine derbe Bemerkung gewesen sein oder ein wie auch immer gearteter anderer Angriff auf die eigene Intimsphäre.
Und egal wie ein weiterer Umgang mit dem Erlebten aussehen mag, ob die betroffene Frau versucht, alleine mit der Situation umzugehen, sich an das eigene Umfeld wendet oder den Vorfall auf See meldet, es bleibt etwas haften. Ängste um die berufliche Situation, die Frage nach dem eigenen Wert, wenn andere Menschen auf übergriffige Weise mit einem umgehen, die Frage ob man Schuld hat – kurz, die Betroffene ist ab dem Zeitpunkt auf der Suche nach ihrer eigenen Stellung in ihrem bisherigen sozialen Umfeld. Dieser Prozess dauert an, wenn die betroffene Frau den Vorfall als schwerwiegend wahrgenommen hat und sich tief im Inneren verletzt fühlt. Dann kann der Weg sogar zur Lebensaufgabe werden.
Was wichtig ist mitzunehmen: den eigenen Wertehorizont nicht als allgemeingültig anzusehen. Zu bedenken, dass man auf diesem begrenzten Raum eines Forschungsschiffes eine:r von vielen ist und mit der Anzahl der mitfahrenden Menschen auch dieselbe Anzahl an unterschiedlichen Werten, Erfahrungen und Bedürfnissen mitfährt. Übergriffe können überall stattfinden und tun es auch. Eine Quelle der Gewalt ist die Gelegenheit, ob mit Absicht oder aus Laune und Gleichgültigkeit heraus.

Wichtig ist, die eigenen Grenzen zu kennen und zu kommunizieren, die Bedürfnisse der anderen Teilnehmer:innen zu achten und eher einen Schritt zurück zu treten, anstatt nach vorne zu preschen. Gerade auf dem begrenzten Raum der Forschungsschifffahrt, ist ein achtsames Miteinander unabdingbar. So können alle Mitfahrenden produktiv arbeiten, ihr Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen und mit dem guten Gefühl heimkehren, dass eine weitere Ausfahrt wieder ein tolles Erlebnis sein wird.

***English version***

Violence against women takes many forms. Sometimes it’s subtle, perhaps through purely verbal means, while other times it’s more obvious, through physical harm or public humiliation. Violence against women is always a topic of discussion, yet somehow also ‘old’ because equality and women’s rights supposedly exist – at least officially and at least in Germany. One might wonder where the problem lies.

Perhaps many are not aware that violence against women happens every day and almost everywhere. There isn’t a specific group of people who perpetrate violence, nor is there a specific social class responsible for it. Violence is a phenomenon that tends to be overlooked and hushed up. ‘It’s not that bad,’ many victims have heard. ‘Don’t make a fuss,’ often comes from the person causing harm to a woman affected by violence.
Life goes on!

But what does experiencing violence do to a woman? Does it influence her future life, her career? Even if it was ‘just’ a ‘casual remark’? Let’s take a closer look.

GEOMAR offers work situations that are not so common in Germany. There’s the opportunity to go on research expeditions and conduct research directly at sea. Many female scientists and assistants take advantage of this opportunity and embark on expeditions that can last several weeks. As one can imagine, this is often a challenging experience, especially on the first voyage: you often only know a fraction of the other scientists, space on research vessels is limited, working aboard is unfamiliar. All these impressions need to be processed quickly, sorted out, and a good work rhythm needs to be established.

Most scientists look forward to evenings of interaction and entertainment. At this intersection, where work and limited private life intersect, the boundaries between fun and intrusion are often blurred. One person may mean it in a friendly way, while the other feels pressured, feeling that their privacy was not respected. And at this point, a conflict arises. Turmoil brews within. Questions arise. What happened? What might I have done wrong? Was that already violence? And whom should I tell? Not that they would say, ‘Stop making a big deal out of it.’

So, the woman usually remains alone with her feelings about the assault, no matter how it was manifested, be it a crude remark or some other intrusion on her intimacy, however it might be.

And no matter how the affected woman chooses to deal with the experience, whether she tries to handle the situation alone, turns to her surroundings, or reports the incident at sea, something sticks. Fears about the professional situation, questions about one’s own worth when others deal with you in an intrusive manner, questioning whether one is to blame – in short, the affected woman searches for her own place in her previous social environment from that moment on. This process continues if the affected woman perceives the incident as significant and feels deeply hurt inside; then, the path might even become a lifelong challenge.

What’s important to understand is not to consider one’s own set of values as universally applicable. It’s crucial to consider that within the confined space of a research vessel, one is among many, and with the number of people aboard come an equal number of diverse values, experiences, and needs. Assaults can happen anywhere, and they do.

One source of violence is opportunity, whether intentional or stemming from whim and indifference.

Important is to know and communicate one’s own boundaries, to respect the needs of the other participants, and to take a step back rather than rushing forward. Especially in the confined space of research voyages, mindful cooperation is essential. This way, all those on board can work productively, share their knowledge with the public, and return home with the satisfaction that another voyage will be another great experience.