Vielfalt und Solidarität am Christopher Street Day

***English version below***

von Lilly Rosenkranz

Am 8. Juli 2023 wird es in Kiel wieder eine bunte Parade anlässlich des Christopher Street Days (kurz: CSD) geben. Der Christoper Street Day ist ein Protesttag für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, der von der queeren Community (Sammelbegriff: Menschen, die sich in ihrer geschlechtlichen/sexuellen Identität nicht der heterosexuellen Norm/ ihrem Geburtsgeschlecht zuordnen) und Unterstützer:innen gefeiert wird. In diesem Beitrag möchten wir deshalb Informationen über die Hintergründe des Protesttages und über Möglichkeiten, sich auch außerhalb des Protesttages einzusetzen, geben.

Wie wichtig es ist, öffentlich Zusammenhalt für Vielfalt zu äußern, zeigte sich allein im vergangenen Jahr, in dem mehrere queerfeindliche Vorfälle medial viel Aufmerksamkeit erregt hatten. Im August 2022 wurde ein Trans*Mann beim CSD in Münster angegriffen, nachdem er sich für andere Teilnehmende der Parade gegen queerfeindliche Beschimpfungen einsetzte.  Der Mann starb später an den Folgen des Angriffs. Drei Monate danach, im November 2022, wurden Personen im Zentrum von Kiel nachts queerfeindlich beschimpft und angegriffen, weil sie lackierte Fingernägel hatten. Beide Ereignisse wurden mit Mahnwachen und Demonstrationen aus der queeren Community beantwortet. 

Diese Vorfälle sind nur zwei von vielen. Es sind keine Einzelfälle, sondern ein Problem, das aus den gesellschaftlichen Strukturen, in denen wir alle leben, entsteht. Denn Queerfeindlichkeit und die Ablehnung von marginalisierten Gruppen drückt sich nicht allein in Vorfällen wie diesen aus. Auch im „Kleinen“ und Alltäglichen, findet sie statt. Gründe dafür liegen zum einen in politischen, gesellschaftlichen Strukturen, die zu fehlender Sichtbarkeit der Gruppen führen, können jedoch auch in der eigenen Erziehung gefunden werden. Um der Ablehnung gegenüber den vielen Menschen, die sich diesen marginalisierten Gruppen zuordnen, entgegenzuwirken, ist es wichtig aufmerksam dafür zu sein, das eigene Verhalten und die eigene Sprache zu reflektieren. Der Prozess kann auch als kollektive Lernerfahrung begriffen werden, denn jede:r lebt in den gesellschaftlichen Strukturen, die diese Diskriminierungen hervorrufen. Jede einzelne Person kann dabei Möglichkeiten finden, sich für die Veränderung von diskriminierenden Strukturen einzusetzen und dazu beizutragen, dass Vielfalt in der Gesellschaft abgebildet wird.

Der CSD wird als Protesttag deutschlandweit in vielen Städten organisiert. In Kiel wird die Parade von dem Verein CSD Kiel e.V. organisiert und dieses Jahr vom Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung und der Landeshauptstadt Kiel gefördert.

Der Name der Demonstration verweist heute noch auf den Ursprung des Protestes: 1969 in der Christopher Street in New York City kam es bei den sogenannten Stonewall-Aufständen zu Protesten queerer Menschen gegen die Willkür der Polizei. Dies war der erste Protest, der mehr mediale Aufmerksamkeit erhielt, zuvor gab es bereits weitere Vorfälle dieser Art. Besonders präsente Aktivist*innen waren von Beginn an Gruppen, die häufig Betroffene von polizeilicher Willkür wurden, beispielsweise Drag Queens, transgeschlechtliche Menschen, Menschen aus armen Verhältnissen und queere People of Color. In Deutschland wurden ca. zehn Jahre später die ersten CSDs veranstaltet. Die Bewegung knüpfte in Deutschland Ende der 70er an die US-amerikanische schwul-lesbische Befreiungsbewegung, die Gay Liberation, an. Der Aufstand gegen die Polizei 1969 ist in der Bewegung häufig das zentrale Thema, es werden aber auch lokale Themen betont.

Neben dem beständigen Thema, mehr Sichtbarkeit zu schaffen, werden auch immer wieder aktuelle Themen der gesellschaftlichen Entwicklung aufgegriffen. Die Bewegung fordert Akzeptanz für die geschlechtliche Vielfalt aller Menschen und ein Infragestellen der heterosexuellen Mehrheit. Es geht darum anzuerkennen, dass nicht-heterosexuelle Sexualität keinen Mangel darstellt. Für die Dauer der Parade schaffen sich die Menschen, die sich sonst aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer sexuellen oder geschlechtlichen Minderheit in der Öffentlichkeit verstecken, einen öffentlich sichtbaren Raum, in dem sie sich so zeigen können, wie sie sind. Der „Gay Pride“ ist der zentrale Begriff, der den Widerstand gegen die Scham und die Stigmatisierung von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten beschreibt und am Christopher Street Day zelebriert wird. Es geht immer auch darum, den Mut zu der eigenen Identität zu stehen und auch die politischen Erfolge der Bewegung zu feiern, die Feier des CSDs wurde erst durch das Engagement der Aktivist*innen ermöglicht. 

Die Diskriminierung und Ablehnung von Menschen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit oder ihrer Sexualität sind politische Themen, die im öffentlichen Diskurs sichtbar gemacht werden müssen, um die Grundrechte aller Menschen auf freie Entfaltung und ein diskriminierungsfreies Leben zu verwirklichen. Innerhalb der queeren Community wird auch die Reflexion zu Fragen der sozialen Ungleichheiten über die Kategorien Geschlecht und Sexualität hinaus diskutiert.

Der CSD kann für alle Menschen ein Ort sein, sich dafür einzusetzen – für diejenigen, die sich der queeren Community zugehörig fühlen und auch für die, die das nicht tun, aber ihre Solidarität mit den diskriminierten Gruppen öffentlich ausdrücken möchten. Diejenigen, die aus Solidarität teilnehmen, werden in der Community „Ally/Allies“ („Verbündete“) genannt. Nach Selbstbeschreibungen wird nicht gefragt, es geht darum, eine unterstützende Haltung und Solidarität zu zeigen und die eigenen Privilegien zu teilen.

Der Protesttag ist nur ein Tag im ganzen Jahr, doch es ist wichtig jeden Tag kleine Schritte zu tun, um der Ungleichheit entgegenzuwirken. Auch im Alltag kann jede Person als verbündete Person von Minderheiten handeln.

HateAid, eine Präventionsstelle für Gewalt im Netz, hat eine Übersicht dazu veröffentlicht, was Verbündete tun können, wie sie Allyship leben können. Im Folgenden sind die wesentlichen Inhalte kurz zusammengefasst, die gesamte Übersicht findet ihr in den weiterführenden Links.

  1. Privilegiencheck: Jede Person kann ihre eigenen gesellschaftlichen Ressourcen und Vorteile, die sich daraus ergeben erkennen. Um im Alltag besser erkennen zu können, wo es zu diskriminierenden Behandlungen kommt hilft es, sich über die Erfahrungen von marginalisierten Gruppen beispielweise durch Bücher, Podcasts etc. zu informieren.
  2. Erkenne Mikroaggressionen und reagiere: Mikroaggressionen beschreiben unterschwellige Formen von Anders-Behandlung und Herabwürdigung. Sie werden häufig nicht bewusst getätigt, weil das Verhalten durch Erziehung oder soziale Einflüsse gelernt wurde. Grundsätzlich kann es helfen, aufmerksam zu sein für Momente in denen Menschen eine Andersartigkeit zugschrieben wird und diesen mit Empathie und Solidarität zu begegnen. Das kann zum Beispiel bedeuten, der Person den Raum zu geben den sie braucht und nachzufragen, ob sie Unterstützung haben möchte.
  3. Höre Betroffenen zu und glaube ihnen: Wenn Betroffene Erfahrungen teilen möchten, ist es wichtig ihnen zuzuhören und anzuerkennen, dass die eigene Nicht-Betroffenheit es unmöglich macht, die Erfahrung der Person gänzlich zu verstehen. Es geht darum, die Erfahrungen nicht anzuzweifeln oder zu hinterfragen. Anzuerkennen, dass die Person viel Kraft und Mut aufbringt, indem sie die Erfahrungen der Verletzlichkeit teilt und den Personen auch die Entscheidung zuzusprechen, ob sie etwas teilen möchten oder nicht.
  4. Lasse Betroffenen genug Raum: Eine verbündete Person zu sein bedeutet, eine unterstützende Rolle einzunehmen. Betroffene Personen, die über ihre Erfahrungen sprechen möchten, sollten im öffentlichen Diskurs immer „den Vortritt“ haben, auch wenn verbündete Personen sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen und viel Wissen dazu mitbringen. Das kann viel Feingefühl verlangen, ist aber sehr wichtig um die vorhandenen Diskriminierungen so sichtbar zu machen, wie sie erlebt werden und den Diskurs zielführend zu gestalten. 
  5. Bilde dich weiter und informiere dich: Dieser Punkt geht einher mit dem eigenen Privilegiencheck. Bücher, Filme und Social Media Kanäle von Betroffenen bieten vielfältige Zugänge um sich zu informieren. HateAid hat dazu eine Literaturliste veröffentlicht, die unter dem Link unten zu finden ist. Wichtig ist es hier, die Privatsphäre der Betroffenen zu achten und nicht davon auszugehen, dass sie Fragen zu Diskriminierungserfahrungen beantworten möchten. Es gibt natürlich Menschen, die das tun, doch sie sind es keiner Person schuldig, Aufklärungsarbeit zu leisten.
  6. Unterstütze Menschen, die Diskriminierung erfahren: Unterstützung kann viele Formen annehmen. Ein Weg der Unterstützung kann sein, Organisationen zu unterstützen, die sich für Vielfalt einsetzen, Betroffenen medial den Raum zu geben und an Demonstrationen, wie beispielsweise dem Christopher Street Day, teilzunehmen. Auch Bücher, Filme, Produkte von Menschen aus der queeren Community zu konsumieren kann ein Weg sein, Unterstützung ausdrücken.

Es gibt ab heute noch eine weitere schöne Möglichkeit, sich weiter dazu zu informieren:

Dieses Jahr wird der CSD in Kiel am 8. Juli von den CSD Kulturwochen gerahmt, die auch vom CSD Kiel e.V. organisiert werden. In der Zeit vom 27.06. bis 09.07. haben viele verschiedene Kieler Institutionen Veranstaltungen zu Vielfaltsthemen organisiert. Das Programm ist bunt gemischt; es gibt Vorträge zu rechtlichen Fragen, Lesungen, Austauschtreffen, über Karaoke oder einen Gottesdienst und vieles mehr. Eine Übersicht sowie auch die weiteren genannten Links findet ihr unten verlinkt.

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****English version****

by Lilly Rosenkanz

On July 8 2023, there will be a colorful parade in Kiel again to celebrate Christopher Street Day (CSD). Christopher Street Day is a protest day for increased visibility and acceptance of sexual and gender diversity, celebrated by the queer community (a collective term for people who do not conform to the heterosexual norm or their assigned birth gender in terms of their gender/sexual identity) and supporters. In this post, we would like to provide information about the background of the protest day and opportunities to get involved outside of the protest day.

The importance of expressing public solidarity for diversity was demonstrated in the past year alone when several incidents of queerphobia received significant media attention. In August 2022, a trans*man was attacked at the CSD in Münster after standing up against queerphobic insults directed at other participants of the parade. The man later died as a result of the attack. Three months later, in November 2022, individuals in the center of Kiel were verbally abused and attacked in a queerphobic manner for wearing nail polish. Both events were met with vigils and demonstrations from the queer community.

These incidents are just two of many. They are not isolated cases, but a problem stemming from the societal structures in which we all live. Queerphobia and the rejection of marginalized groups are not only expressed in incidents like these but also in everyday life. The reasons for this lie in political and societal structures that lead to the lack of visibility for these groups, but they can also be found in one’s own upbringing. To counteract the rejection faced by the many people who identify with these marginalized groups, it is important to reflect on one’s own behavior and language. This process can also be understood as a collective learning experience because everyone lives within the societal structures that perpetuate these forms of discrimination. Each individual can find ways to advocate for the change of discriminatory structures and contribute to the representation of diversity in society.

The CSD is organized as a protest day in many cities throughout Germany. In Kiel, the parade is organized by the association CSD Kiel e.V. and is supported this year by the Ministry of Social Affairs, Youth, Family, Seniors, Integration, and Equality and the city of Kiel. The name of the demonstration still refers to the origin of the protest: in 1969, the so-called Stonewall riots took place in Christopher Street in New York City, where queer people protested against police arbitrariness. This was the first protest that received more media attention, although similar incidents had occurred before. Prominent activists from the beginning included groups that were often victims of police brutality, such as drag queens, transgender people, people from impoverished backgrounds, and queer people of color. In Germany, the first CSDs were organized about ten years later. The movement in Germany built upon the US-American gay liberation movement, which started at the end of the 1970s. While the 1969 uprising against the police is often the central theme within the movement, local issues are also emphasized.

In addition to the ongoing goal of increasing visibility, current issues of social development are also addressed within the movement. The movement calls for acceptance of gender diversity for all people and questions the dominance of heterosexuality. It is about recognizing that non-heterosexual sexuality is not a deficiency. During the parade, people who would normally hide in public due to their belonging to a sexual or gender minority create a publicly visible space where they can be themselves. The term “Gay Pride” describes the resistance against shame and stigmatization of sexual and gender minorities, which is celebrated on Christopher Street Day. It is always about celebrating the courage to embrace one’s own identity and also celebrating the political successes of the movement. The celebration of CSD was made possible only through the dedication of the activists.

Discrimination and rejection of individuals based on their gender identity or sexuality are political issues that need to be made visible in public discourse in order to realize the fundamental rights of all individuals to personal development and a life free from discrimination. Within the queer community, there is also a discussion about reflecting on social inequalities beyond the categories of gender and sexuality.

The CSD can be a place for all people to advocate for these issues – for those who identify with the queer community and for those who don’t but wish to express their solidarity with marginalized groups publicly. Those who participate in solidarity are called “allies” within the community. Self-identification is not required; it is about showing a supportive attitude and solidarity and sharing one’s own privileges.

The protest day is just one day in the whole year, but it is important to take small steps every day to counteract inequality. In everyday life, every person can act as an ally to minority groups.

HateAid, a prevention center for online violence, has published an overview of what allies can do and how they can live allyship . The essential contents are briefly summarized below, and you can find the complete overview (in German) in the additional links.

  1. Privilege check: Each person can recognize their own societal resources and advantages that arise from them. To better understand where discriminatory treatment occurs in everyday life, it helps to inform oneself about the experiences of marginalized groups through books, podcasts, etc.
  2. Recognize microaggressions and respond: Microaggressions describe subtle forms of differential treatment and degradation. They are often not consciously done because the behavior was learned through upbringing or social influences. In general, it can be helpful to be attentive to moments where people are ascribed otherness and respond with empathy and solidarity. This can mean giving the person the space they need and asking if they would like support.
  3. Listen to and believe those affected: When individuals want to share their experiences, it is important to listen to them and acknowledge that one’s own non-affectedness makes it impossible to fully understand the person’s experience. It is about not doubting or questioning their experiences, recognizing that the person exerts a lot of strength and courage by sharing their experiences of vulnerability, and also granting them the decision of whether they want to share something or not.
  4. Give enough space to those affected: Being an ally means taking a supportive role. Affected individuals who want to speak about their experiences should always have the “floor” in public discourse, even if ally individuals engage intensively with the topic and have a lot of knowledge about it. This can require a lot of sensitivity, but it is very important to make the existing discriminations visible as they are experienced and to facilitate a productive discourse.
  5. Continue to educate yourself and seek information: This point goes hand in hand with the privilege check. Books, movies, social media channels by those affected provide diverse ways to educate oneself. HateAid has published a list of literature that can be found in the link below. It is important to respect the privacy of those affected and not assume that they want to answer questions about their experiences of discrimination. Of course, there are people who do want to do that, but they are not obligated to educate others.
  6. Support individuals experiencing discrimination: Support can take many forms. One way to show support is to support organizations that advocate for diversity, give media space to those affected, and participate in demonstrations such as the Christopher Street Day. Consuming books, movies, products from people in the queer community can also be a way to express support.

Starting today, there is another great opportunity to learn more about these topics:

This year, the CSD in Kiel will be framed by the CSD Cultural Weeks, also organized by CSD Kiel e.V. From June 27th to July 9th, various institutions in Kiel have organized events on diversity-related topics. The program is diverse, including lectures on legal issues, readings, exchange meetings, karaoke, a religious service, and much more. You can find an overview linked below, as well as the other mentioned links.

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Links

HateAid: Wie geht Allyship & Literaturliste: https://hateaid.org/allyship/

CSD Kulturwochen Kiel: https://csd-kiel.de/csd/kulturwochen

Regenbogenportal, Informationen zum CSD: https://www.regenbogenportal.de/informationen/erinnerung-sichtbarkeit-und-emanzipation-christopher-street-days

https://www.regenbogenportal.de/informationen/geschichte-des-christopher-street-days