FS Sonne, 08. Januar 2015, 10° 41′ N 42° 42.59′ W

Sonnenaufgang: Warten auf den nächsten Multicorer / Sunrise: Waiting for the next multicorer ©Alexandra Jeuck Sonnenaufgang: Warten auf den nächsten Multicorer / Sunrise: Waiting for the next multicorer ©Alexandra Jeuck

Neueste Nachrichten von der Sonne – jenseits jeglicher Zivilisation

Wir schreiben mittlerweile den 25. Tag unserer Expedition. Keine Zivilisation in Sicht, nur der weite Ozean, wohin das Auge blickt: Im Norden, Süden, Osten und Westen nur Wasser und der scheinbar endlose Horizont, dahinter auch nur Wasser, nichts als Wasser… Kein Schiff mehr gesichtet seit der ersten Woche, kein Flugzeug am Himmel… Selbst besagter Herr Karajan, der Kuhreiher, der uns einige Zeit Gesellschaft geleistet hat, ein Stückchen mitgeflogen ist und sich dann wieder an Bord niedergelassen hat, um von uns mit Wasser und Futter versorgt zu werden, ward auch nicht mehr gesehen… Einzige Begleiter sind nun nur noch ab und zu weitere Schwärme von Fliegenden Fischen. So wie wir uns hier an Bord fühlen, muss es wohl sein, wenn man auf einem fremden Planeten, der nur aus Wasser besteht, landet… Unser Schiff, mit dem wir auf diesem Planeten schon eine Weile unterwegs sind, ist eine Sonne, sie gleicht einem eigenen Mikrokosmos. Nur dieser Mikrokosmos zählt, alles andere scheint ganz weit weg zu sein…
Genau so singulär wie wir uns hier an Bord fühlen muss es “unseren” Einzellern aus dem protozoologischen Labor gehen: Isoliert in einer Kulturflasche umgeben von Unmengen an Wasser… Es ist uns, das heißt der Kölner Abordnung, die sich mit den kleinsten Organismen beschäftigt, gelungen, aus den Tiefseesedimentkernen, die wir mit dem Multicorer an Bord gebracht haben, erste Einzeller in unseren Kulturflaschen auszumachen. Vor wenigen Tagen hat Hartmut Arndt schon von ersten lebenden Formen berichtet, die wir direkt bei Probenahme zählen konnten, aber nun haben wir erste Erfolge im Anzüchten von Einzellern erzielt: Jetzt fängt die Arbeit erst richtig an: Nun müssen wir die Anzahl und Bewegungen der Geißeln studieren: Zu welcher Gruppe von Flagellaten gehört diese Form, wie sieht der Zellkörper aus, wie frisst der Organismus, das heißt wie nimmt er Bakterien auf? Parallel zu diesen Lebendbeobachtungen werden alle Sedimentproben noch zusätzlich angefärbt. Durch solch eine Färbemethode mit einem Fluoreszenzfarbstoff, der spezielle Regionen der genetischen Information in der Zelle (die DNA) anfärbt, leuchten “unsere” Zellen blau auf, wenn sie mit ultraviolettem Licht durch ein eigens von uns mitgebrachtes Epifluoreszenzmikroskop angeregt werden. Diese blauen Punkte wirklich als Einzeller auszumachen erfordert ein bisschen Übung und dient nur zur Unterstützung der Lebendbeobachtung, die doch viel aufschlussreicher und verlässlicher ist. Wird eine vielversprechende Form gefunden, dann versuchen wir sie zu isolieren. Wir überimpfen sie in viele einzelne Untergefäße, um dann am Ende wirklich nur noch den einen singulären Flagellaten in einer Flasche vorzufinden. Mit etwas Glück wird er sich dann gut einnisten in dieser neuen Umgebung, sich vermehren durch Zellteilung und sich vielleicht, wenn wir dann zu Hause in Köln die genetische Information entschlüsselt haben, als neue Art herausstellen, die möglicherweise neue evolutionäre Schlussfolgerungen ermöglicht… So lange fahren wir aber noch weiter auf unserem schwimmenden Mikrokosmos, immer in Richtung Horizont und neuen interessanten Fragestellungen entgegen. Die Zivilisation hat uns noch früher zurück als uns lieb ist, so lange genießen wir noch den fremden Planeten mit seinem tiefblauen Wasser – wenn ich ehrlich bin, kann ich mich gar nicht genug daran satt sehen…

Alexandra Jeuck, Biozentrum, Zoologisches Institut, Universität zu Köln

 


[English]

Latest news from the Sonne – far beyond any civilization

It is the 25th day of our expedition. No civilization in sight, just the vast ocean as far as the eye can see: To the North, South, East and West just water and the seemingly endless horizon, behind also just water, nothing but water… No ship seen since the first week, no plane up in the sky… Even said Mr Karajan has disappeared, the cattle egret, who accompanied us for quite a while flying with us a bit further and came to rest on board for being supplied with water and feed…The only companions are further swarms of Flying Fishes from time to time. Such a feeling that we have here on board must be comparable to landing on an alien planet just consisting of water…Our ship which we use for traveling on this planet for quite a while is the sun (Sonne) resembling an own microcosm. The only thing that counts is this microcosm, every other thing seems to be far, far away…
“Our” protists (single celled organisms) in our protozoological lab must feel the same singularity as we do here on board: Being isolated in a culture flask surrounded by a vast quantity of water… We, i.e. the delegation from Cologne who works with the smallest organisms, managed to find first protists in our culture flasks. They have been brought to deck out of the deep-sea sediment cores from the Multicorer. Some days ago Hartmut Arndt already reported on first living forms, which we could count directly. However, now we can achieve first success in protist cultivation: But the real work is only just beginning: Now it`s time to study the number and movement of the flagella: To which group of flagellates does this form belong, how does the cell body look like, how does the organism feed, i.e. how does it ingest bacteria? In parallel to the living observations we have to stain all sediment samples. Using such a staining method with a fluorescent dye to mark specific regions of the genetic cell information (DNA), “our” cells light up in blue being excited by ultraviolet light. This light is being produced by an epifluorescence microscope brought for this investigation. Recognizing those blue dots as protists requires a bit of practice and serves just as support for our more reliable living observations. Having found a promising form, we try to isolate it. We inoculate it into many subflasks being able to cultivate only one single flagellate in one flask. If we are lucky, this organism will settle down within his new environment, reproduce by cell division and perhaps it will be proven as a new species having sequenced its genetic information back home in Cologne… Until then we proceed on our swimming microcosm, always towards the horizon and towards new interesting questions. The civilization comes soon enough than we would like, until then we continue enjoying this alien planet with its deep-blue water – to be honest I cannot take my eyes off…

Alexandra Jeuck, Biocenter, Zoological Institute, University of Cologne

Fliegende Fische / Flying Fishes ©Alexandra Jeuck

Fliegende Fische / Flying Fishes ©Alexandra Jeuck

Einzelner Fliegender Fisch/Single Flying Fish ©Thomas Walter

Einzelner Fliegender Fisch/Single Flying Fish ©Thomas Walter

Ich beim Warten auf den nächsten Multicorer / Me waiting for the next multicorer ©Thomas Walter

Ich beim Warten auf den nächsten Multicorer / Me waiting for the next multicorer ©Thomas Walter

Alex Schönle beim Filtrieren der Sedimentproben / Alex Schönle filtering the sediment samples ©Alexandra Jeuck

Alex Schönle beim Filtrieren der Sedimentproben / Alex Schönle filtering the sediment samples ©Alexandra Jeuck

Dennis Prausse beim Zählen von blauen Punkten / Dennis Prausse counting blue dots ©Alexandra Jeuck

Dennis Prausse beim Zählen von blauen Punkten / Dennis Prausse counting blue dots ©Alexandra Jeuck