FS Sonne, 06. Januar 2015, 10° 42.18′ N 43° 75′ W

EBS mit Netzbecher im Thermobehälter und Sedimentüberstand / EBS with sediment and cod ends in thermo boxes. ©Simon Bober EBS mit Netzbecher im Thermobehälter und Sedimentüberstand / EBS with sediment and cod ends in thermo boxes. ©Simon Bober

Der Verbreitung der Tiefseeorganismen auf der Spur – eine Detektivgeschichte


Wir sind im Gebiet 4 der Vema Transform-Störung (Vema TS), direkt im Bereich des Mittelatlantischen Rückens und setzen hier unter anderem den Epibenthosschlitten ein, mit dem wir uns einige Meeresbodenfotos erhoffen, um eine Vorstellung über die Beschaffenheit des Bodens, aber auch biologische Aktivität, wie Lebensspuren oder die Tiefseeorganismen selbst und ihre Häufigkeit und Verteilung zu erhalten. Aber in dieser Region interessiert uns auch, ob wir Anzeichen für Hydrothermalismus finden, da sich hier der Mittelatlantische Rücken (MAR) durch die Transformstörung seitlich verschoben hat. Eine der brennenden Fragen für uns in der Biologie ist es zu testen, ob der Mittelatlantische Rücken eine Isolationsbarriere für wirbellose Organismen im östlichen und westlichen Becken darstellt. Sicher, der Mittelatlantische Rücken ist keine gerade unterseeische Gebirgslinie, sondern sie ist – wie typisch für Berge – durch Berggipfel und Täler charakterisiert. Wir befinden uns in dieser Transformstörung in einem solchen Tal, das die Gebirgskette durchzieht. Sind unsere Organismen in der Lage diese Passage zu nutzen um sich auszubreiten? Reagieren alle Organismengruppen gleich? Um dieser Frage auf die Schliche zu kommen planen wir verschiedene Organismengruppen zu analysieren, z. B. die Weichtiere, wie Muscheln, welche sicher über Larvenstadien leicht verbreiten können, da sie von Strömungen über weite Entfernungen transportiert werden können. Andere Gruppen, wie z. B. die Ranzenkrebse betreiben Brutpflege und sind daher in der Regel deutlich lokaler verbreitet und können nicht so leicht verdriftet werden, sondern müssen in der Regel neue Lebensräume „zu Fuß“ erobern. Diese Ranzenkrebse besitzen ein Marsupium (der Begriff wird konvergent gebraucht wie bei den Beuteltieren und Australien und Südamerika). Aber auch bei den kleinen Ranzenkrebsen von ca. einem bis wenigen Millimetern Größe gibt es ganz verschiedene Lebenskünstler. Eine der größten, artenreichsten Familien z. B. der Meeresasseln, die wir in den Proben finden, die Munnopsidae, kann schwimmen und sich mit ihren paddelförmigen Beinen in die Wassersäule erheben. Für diese Organismen ist unsere Hypothese, dass sie ggf. auch mit der Wasserströmung verdriftet werden können und daher eine weitere geographische Ausbreitung haben als andere Ranzenkrebse, die direkt auf dem Meeresboden leben, wie z. B. die Desmosomatidae oder noch andere, die eine eingegrabene Lebensweise haben, wie die Macrostylidae. Wie beeinflussen der MAR und die Vema TS nun die Verbreitung oder Ausbreitungsfähigkeit dieser unterschiedlichen Lebenskünstler? Um diese Frage zu klären arbeiten wir uns entlang eines ost-west Gradienten durch den zentralen Atlantik bei 10° Nord. Wir nehmen Proben mit einem Multicorer, der 12 Proben von 10 Zentimetern Durchmesser gleichzeitig nimmt, und mit dem vor allem Einzeller und die Meiofauna, Organismen im Mikrometerbereich, die im Sediment leben, gesammelt werden. Der Epibenthosschlitten sammelt die Makrofauna, Organismen im Millimeter bis Zentimeterbereich, auf. Diese Proben werden dann nach ganz unterschiedlichen Gesichtspunkten bearbeitet, es wird Sediment weggefroren für Korngrößenanalysen und Sedimentanalysen sowie Analysen des organischen Kohlenstoffgehaltes, es wird Sediment eingefroren, um biochemische Untersuchungen zur Zusammensetzung der Nahrung der Organismen zu machen und es werden aus beiden Geräten lebende Organismen gepickt, um sie dann nach der Fotodokumentation bei -80 Grad für biochemische Analysen nach Hause zu transportieren, um dort mittels Fettsäureanalysen und Analysen von stabilen Isotopen etwas über ihre Nahrungspräferenzen sowie ihre trophische Stellung im Nahrungsnetz zu erarbeiten. Diese Untersuchungen können in unseren späteren statistischen Analysen helfen zu erklären warum ggf. einige Arten nur auf einer oder nur auf der anderen Seite vorkommen, wenn z. B. Sedimentkomposition und Nahrung nur mit bestimmten Organismen korrelieren. Sehr viel essentieller für die Frage nach der Ausbreitung ist jedoch die Analyse der Organismenarten und ihrer Populationen selbst. Für diesen Zweck werden die Arten aus den Epibenthosschlittenfängen bestimmt und sowohl morphologisch als auch genetisch bearbeitet, um möglichst viele Indizien dafür zu sammeln wie die Verbreitung der Organismen wirklich ist. Die Genetischen Untersuchungen sind auch notwendig, da wir manchmal keine morphologischen Unterschiede feststellen können, aber uns die Genetik der Organismen offenbart, dass bereits Artbildungsprozesse stattfinden oder stattgefunden haben, die wir morphologisch aber noch gar nicht erkennen. Daher setzen wir ganz verschiedene Methoden ein, um wie bei einem Puzzlespiel in detektivischer Weise die Daten und Indizien der verschiedenen Disziplinen zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, um die oben genannte Frage zu klären oder in Ansätzen beantworten zu können. Wir arbeiten dafür sehr eng mit den Geologen und Bathymetrikern an Bord zusammen sowie mit der physikalischen Ozeanographie, die uns alle weitere wertvolle Puzzlesteine für unsere Analysen liefern, denn die Organismen kommen ja am Meeresboden und in der nahrungsreicheren bodennahen Trübezone, also der Zone des Überganges von Ozeanbodenwasser ins Sediment vor. Daher sind alle physikalischen Parameter, wie Salinität, Temperatur oder Strömung für das Vorkommen der Organismen so wichtig wie die Bodentopographie und Tektonik. In der Regel setzen die Geologen Kettendredgen ein, um Gesteine für die Petrologie von den Hängen zu kratzen. An der MAR Station hoffen wir jedoch auch auf Hydrothermalismus zu stoßen und hydrothermale Muscheln zu finden. Diese Dredgen haben eine sehr große Maschenweite, durch die alle Organismen, die nicht auf Steinen vorkommen (und auf Steinen konnten wir bisher keine Organismen nachweisen) wieder herausgespült werden. Daher haben wir eine „Unterhose“, also ein Innennetz für die Kettendredge gebastelt. Unser Kombüsenteam hat uns aus seinem Lager Zwiebel- und Kartoffelsäcke geöffnet und für die Umarbeitung der Kettendredge zur Verfügung gestellt. Alle an Bord sind wirklich unglaublich hilfsbereit und bemüht den Wissenschaftlern zu helfen ihr ersehntes Probenmaterial zu erhalten.
Wir sind also auf Station und haben in den letzten Tagen und Wochen bereits viele Proben sortiert, das Sortierlabor ist zu einer kleinen Fabrik mutiert, dort wird jede freie Minute genutzt, um die Tiere aus dem Sediment zu picken, um dann noch an Bord die Vorbereitungen für die Genetik durchführen zum können. Wenn der Epibenthosschlitten an Deck kommt werden die Netzbecher sofort in vorgekühlten -20° kalten Alkohol überführt und in die -20° Kühlkammer gebracht, wie sie über 48 Stunden verbleiben, von Zeit zu Zeit vorsichtig gerollt und mit neuem Alkohol versehen werden, um eine hervorragende Fixierung für genetische Proben zu erhalten. Der Überstand der Proben wird dann gesiebt und ebenfalls fixiert. Wenn die Proben dann im Sortierlabor auf Artniveau sortiert worden sind wandern sie weiter in das Genetiklabor wo sie weiter verarbeitet werden, wie Simon in den nächsten Tagen berichten wird.

Angelika Brandt, Universität Hamburg, Centrum für Naturkunde, Zoologisches Museum Hamburg


[English]

Following biogeographic traces of deep-sea organisms – a detective story

We are working in area 4 of the Vema Transform (Vema TS) in the middle of the Mid Atlantic Ridge (MAR) and deploy an epibenthic sledge, which – we hope – will yield some underwater photographs which will enable us to see the small-scale bottom topography, but also biological activity, such as Lebensspuren, the organisms themselves or their frequency and occurrence. However, in this area we are also interested to find hydrothermalism, because in this area the MAR has been slightly shifted to the side. One of our most exciting questions is, whether the MAR serves as a barrier isolating the fauna from the eastern and western basins. Of course, the MAR is not a straight line of mountain range, it is – as typical for mountainous areas – characterized by mountain peaks and valleys. We are in the Vema TS in such a valley that crosses the mountain range. Are all organisms capable of using this passage for their distribution? Are all groups of organisms following the same biogeography? In order to find answers to these questions we plan to analyze different organism groups, such as soft bodied animals like bivalves, which can easily disperse via larval stages via ocean currents even over larger geographic distances. Other organisms, such as peracarid crustaceans, which possess a brood pouch (display parental care), cannot disperse that easily, they have to conquer new habitats “by foot”. These crustaceans possess a marsupium (the term is used in a convergent context to the marsupials in Australia and South America). However, also these small crustaceans have quite some different life strategies. One of the largest and species rich families in our samples are isopods of the family Munnopsidae, which can swim and rise with their paddle-like posterior legs into the water column. For these organisms we hypothesize that they can also being more easily drifted away via currents and thus have a wider geographic distribution than other peracarid crustraceans, like for example the Desmosomatidae which live on the seabed or the Macrostylidae which live in the sediment. How does the MAR influence the biogeographic patterns of these different life forms? In order to answer this question, we work along an east-west transect across the central Atlantic at 10° north. We are sampling with a multiple corer which takes 12 samples or cores of 10 cm diameter simultaneously and is especially useful for the sampling of protists (single celled organisms) or meiofauna, very small organisms of micrometer size, which live in the sediment. The epibenthic sledge collects macrofauna (organisms of millimeters to centimeters). These samples are worked up using various methods, for example, some material is frozen for grain size analyses or analyses of the sediment, organic carbon content or biochemical analyses in order to reveal the diets of the organisms. For this purpose, organisms from both gears are sorted alive and are frozen at -80° following photographic documentation, sediment is frozen as well. Biochemical investigations in the home laboratory will include fatty acid and stable isotope analyses which will inform us about the animals’ diets and the trophic position in the food web. These analyses can later also help to explain why different species only live on the one or on the other side of the MAR, if their presence is for example correlated with the sediment composition of food availability on one or both sides of the ridge. However, more essential for the question of the distribution of the organisms and their populations is the analysis of the organisms themselves. These are identified when they are sorted from the epibenthic sledge material and also await genetic analysis. We need to retrieve as much evidence as possible for our analysis of the distribution and migration of the organisms. The genetic investigations are necessary, as we are sometimes not able to see morphological differences between species, but the genetics might tell us also s.th. about speciation processes and uncover cryptic species which can only be differentiated genetically. Therefore we use varying different methods for our detective jigsaw, in order to combine all pieces of the puzzle to a general picture which shall answer our questions posed above. We are closely collaborating with the scientists working in bathymetry or physical oceanography, disciplines which also deliver important puzzle pieces for our analyses, as our organisms live in the nutrient rich near-bottom nepheloid layer, the transition zone between water column and sediment. Therefore all physical parameters like salinity, temperature or current direction and velocity of this water mass are as important for the occurrence of the organisms as bottom topography and tectonics. The geologists usually deploy dredges to scrape off rocks from the slopes of the MAR. At this MAR station we also hope to find signs of hydrothermalism and possibly hydrothermal animals such as shells. The geological dredges, however, have very wide mesh sizes, though which animals which are not living attached to rocks (and until now we did not find animals attached to rocks) will escape or be washed out during heaving. Therefore we constructed some “underwear”, an inner net for the geological dredge. galley crew opened sacks of potatoes and onions for us which we have sewed and placed as an inner net into the dredge. Indeed, everybody on board is very helpful and eager to support the scientists and their sampling procedures.
We are now at station and during the last days and weeks we have already sorted a lot of samples. The sorting laboratory has mutated into a little fabrics in which every free minute is used to pick organisms from the sediment which are needed for genetic preparations on board. When the epibenthic sledge reaches the deck, the samples from the cod ends are transferred immediately into precooled -20° ethanol and stored in the cool room at -20° for 48 hours. In the cool room they are then gently rolled from time to time and transferred into new ethanol after 12 hours to allow optimal fixation for genetic analyses. The sediment above the cod ends is then sieved and also fixed. When the samples are sorted to species level in the sorting laboratory, they are handed over to the genetic laboratory where they are further treated as Simon will report in the next days.

Angelika Brandt, University of Hamburg, Centre of Natural History, Zoological Museum Hamburg

 

Meeresbodenfoto mit Hydromeduse und Lebensspuren der Organismen / Photograph of the seafloor with life traces of the organisms. ©Nils Brenke

Meeresbodenfoto mit Hydromeduse und Lebensspuren der Organismen / Photograph of the seafloor with life traces of the organisms. ©Nils Brenke

Eine Schale sortierter Organismen aus dem Epibenthosschlitten, dominiert durch Krebstiere und Meeresborstenwürmer / A tray of sorted organisms from the epibenthic sledge, crustaceans and bristle works dominate. ©Torben Riehl

Eine Schale sortierter Organismen aus dem Epibenthosschlitten, dominiert durch Krebstiere und Meeresborstenwürmer / A tray of sorted organisms from the epibenthic sledge, crustaceans and bristle works dominate. ©Torben Riehl

Meeresasseln: A, Macrostylidae; B, Munnopsidae, Eurycopinae, C, Munnopsidae, Betamorphinae / Isopod crustaceans of the families: A, Macrostylidae; B, Munnopsidae, Eurycopinae, C, Munnopsidae, Betamorphinae. ©Torben Riehl

Meeresasseln: A, Macrostylidae; B, Munnopsidae, Eurycopinae, C, Munnopsidae, Betamorphinae / Isopod crustaceans of the families: A, Macrostylidae; B, Munnopsidae, Eurycopinae, C, Munnopsidae, Betamorphinae. ©Torben Riehl

Kartoffel- und Zwiebelsack werden als Innenfutter für die Steindredge zusammengenäht / Potato and onion bags are being sewed as an inner net for the geological dredge. ©Thomas Walter

Kartoffel- und Zwiebelsack werden als Innenfutter für die Steindredge zusammengenäht / Potato and onion bags are being sewed as an inner net for the geological dredge. ©Thomas Walter

Steindredge mit (Kartoffel- und Zwiebelsack-) Innennetz für die Sedimentprobe im Hydrothermalbereich / The geological dredge with potato- and onion bags for the collection of sediment in the hydrothermal area. ©Thomas Walter

Steindredge mit (Kartoffel- und Zwiebelsack-) Innennetz für die Sedimentprobe im Hydrothermalbereich / The geological dredge with potato- and onion bags for the collection of sediment in the hydrothermal area. ©Thomas Walter