FS Sonne, 27. Dezember 2014, 10° 2.98′ N 31° 25.68′ W

Sargassum Lebensgemeinschaft unter dem Mikroskop / Sargassum community through the magnifying glass. ©Torben Riehl Sargassum Lebensgemeinschaft unter dem Mikroskop / Sargassum community through the magnifying glass. ©Torben Riehl

Hi,

das Blog-Schreiben gehört nicht unbedingt zu meinen Leidenschaften und so erbat ich mir einen Termin, nach dem ersten Sichten der Proben.
Jetzt nun also bin ich dran. „Ich“ – das ist Enrico Schwabe, aus der Zoologischen Staatssammlung in München. Ich bin seit mehreren Jahren auf den Weltmeeren unterwegs, um im Tiefseebenthos nach Mollusken (das ist der Tierstamm, zu dem man die Tintenfische, Muscheln und Schnecken, und weitere kleine Gruppen zählt) zu suchen. Dabei geht es uns primär darum, die Artenzusammensetzung, die Besiedlungsdichte sowie die Verbreitung der Arten zu ermitteln. Da wir mit unseren Probenahmen nur einen kleinen Einblick in das Milieu „Tiefsee“ gewährt bekommen, sind Interpretationen der erlangten Daten sehr schwierig, besonders da wir oftmals über die Lebensweise (z.B. Fressverhalten, Vermehrung, Lebenszyklen) der Arten keine zusätzlichen Informationen erlangen können. Einen tieferen Einblick kann man aber unter zu Hilfenahme weiterer bzw. aller verfügbarer Parameter versuchen zu bekommen. Dazu gehören zum Beispiel die nicht biotischen Werte, wie Sauerstoffgehalt, Druck, Sedimentkörnung bzw, -typ, Strömung, Temperatur, Salzgehalt etc. Des Weiteren spielen Verfügbarkeit von eingetragenen Nährstoffen, das Vorkommen von Fressfeinden sowie die Art und Weise der Reproduktion (z.B. laichende Arten versus brütende Arten)  eine erhebliche Rolle um den Bestand einer Art zu regulieren.
Beim Sortieren unserer Proben aus Tiefen von mehr als 5000 m fanden wir immer wieder Algenreste, und diese stellen eine zusätzliche Nahrungsquelle im nährstoffarmen Tiefseebereich dar. Da wir seit Tagen durch teilweise dichte Ansammlungen von Sargassumalgen fahren, habe ich damit begonnen, einzelne Fragmente von der Meeresoberfläche zu fischen und diese auf die assoziierte Fauna und Flora hin zu untersuchen. Erste Untersuchungen ergaben eine typische Flachwasserzusammensetzung, wie man sie z.B. von den Kanarischen Inseln erwarten würde. Die gefundenen Lebewesen waren so an ihr treibendes Zuhause angepasst, dass sie die kleinsten Nischen der Algen besiedeln konnten und sich da auch vermehren. So fanden wir frische Schneckengelege, die unter Laborbedingungen sogar zum Schlüpfen kleiner freischwimmender Veliger-Larven gebracht werden konnten. Benthische (also „am Boden lebende“) harpacticoide Copepoden mit Eisäcken waren ebenfalls zu finden. Von den bisher gefundenen größeren  Tieren scheint keine ein Absinken in die Tiefsee zu überstehen, aber wie sieht es mit den weniger komplexen Organismen wie Einzellern aus. Ein Team von Kollegen an Bord, will genau solchen Fragestellungen nachgehen. Welche Bedeutung haben diese unscheinbaren Organismen für das Gesamtnahrungsnetz, inwiefern können Flachwasserarten zur Degeneration (und damit Verfügbarmachung gebundener Energie) von pflanzlichen Nahrungspartikeln am Tiefseeboden beitragen? Solche Fragestellungen lassen sich natürlich während der sechs Wochen auf See nicht zufriedenstellend klären und viele weitere Analysen werden in den heimatlichen Laboren nötig sein.
Aber nicht nur die Abwärtsbewegung solcher treibenden Pflanzenteile ist von Bedeutung, auch die transatlantische kann Biodiversität in gewissen Regionen beeinflussen. Lange schon wird spekuliert wie das gemeinsame Vorkommen scheinbar ein und derselben Art an den West und Ostküsten des Atlantiks zu erklären ist, wenn die meisten Larven sich nach dem Aufbrauchen ihrer Dottervorräte absinken lassen müssen um sich am Boden kriechend weiter zu ernähren. Inseln inmitten des Ozeans gibt es nicht und die Distanz zwischen den Küsten ist zu groß. Es sind genau diese oben erwähnten Treibstücke, die vielleicht für viele Arten die passende Erklärung bereithalten. Deshalb werden unsere gut dokumentierten Belegstücke vielleicht auch ein weiteres Stückchen zu diesem biologischen Puzzle beitragen können.
Mein besonderer Dank gilt der professionellen Mannschaft unseres Schiffes, die freundlich und hilfsbereit uns zur Seite steht und uns zur Hand geht, wenn es gilt eine neue Idee der Wissenschaftler umzusetzen.

Enrico Schwabe
Zoologische Staatssammlung München


[English]

Hi,

as blog writing does not belong to my passions I asked for a date after first analysis of the samples.
Now it is my turn. Me – I am Enrico Schwabe from the Bavarian State Collection in Munich.
I am exploring the world oceans for many years in order to search for mollusks (this is an animal phylum containing octopus, mussels, snails and some other small groups) in the deep-sea benthos. We are primarily interested in the species composition, density of the organisms and their biogeography. As our samples only represent a glimpse into the deep-sea environment, the interpretation of the data is difficult, especially because we cannot derive data on their life styles (such as diets, reproductive strategies and life cycles) for most species.
One can try to retrieve some insight with the help of additional or all available parameters.  These can be for example abiotic data like oxygen content, pressure, sediment grain size or composition, current velocities, temperature, salinity, etc. Moreover, the availability of nutrients, the presence of predators and the reproductive strategy can play a crucial role for the regulation of species standing stocks. When we were sorting samples from the deep sea of more than 5000 m depth, we often found remains of algae, which present an additional food source in the nutrient-poor deep-sea environment. As we are sailing for days through dense patches of Sargassum, I started to sample fragments of these algae from the surface of the ocean and investigated the associated fauna and flora. First preliminary analyses revealed typical shallow water communities which would be expected from the Canary Islands. The sampled organisms were well adapted to their floating homes and even the smallest niches were settled and species even used these algae for their reproduction. We found fresh clutches of snail eggs from which Veliger-larvae spawned or could be reared under laboratory conditions. Benthic (species living at the seafloor) harpacticoid copepods with egg sacks were also found. From these larger organisms none seems to survive the sinking through the water column to the deep-sea floor, but how do more simple organisms such as protists react? A team of researchers and colleagues on board will follow exactly questions like this. What is the role of these unimpressive protists for the food web and how can they degenerate algal food particles (and make this energy available) on their way to the seafloor? Such questions will not be solved satisfactorily within the six weeks’ expedition at sea and many more analyses will be necessary in the home laboratories. Not only the vertical deposition of drifting algal remains is important for the life at the seafloor, but also the transatlantic drift can influence the biodiversity of certain areas. For a long time scientists already speculate how the occurrence of one species in both, western and eastern basins of the Atlantic can be explained, when most larvae are sinking to the seafloor for feeding after the depletion of their yolk. As oceanic islands are absent in this area and the distance to the coastlines is huge, these floating algae might explain biogeographic pattern. Therefore our voucher samples might contribute another piece to the general biological puzzle. My very special thanks go to the professional crew who always stay on our sides, is very friendly and supportively helps us to test or apply new ideas.
Enrico Schwabe
Bavarian State Collection for Zoology Munich

 

Treibender Sargassum Teppich / Sargassum floats. ©Torben Riehl

Treibender Sargassum Teppich / Sargassum floats. ©Torben Riehl

Gastropoden auf Sargassum / Gastropods on Sargassum. ©Torben Riehl

Gastropoden auf Sargassum / Gastropods on Sargassum. ©Torben Riehl

 

Vermutlich Spirorbid polychaete auf Sargassum / presumably Spirorbid polychaete on Sargassum ©Torben Riehl

Vermutlich Spirorbid polychaete auf Sargassum / presumably Spirorbid polychaete on Sargassum ©Torben Riehl

Janirid Isopode, vermutlich Carpias, auf einer Hydrozoen Kolonie die das Sargassum bewohnt/ Janirid isopop, presumably Carpias, on hydrozoan colony inhabiting Sargassum ©Torben Riehl

Janirid Isopode, vermutlich Carpias, auf einer Hydrozoen Kolonie die das Sargassum bewohnt/ Janirid isopop, presumably Carpias, on hydrozoan colony inhabiting Sargassum ©Torben Riehl

 

Bryozoa auf Sargassum / Bryozoa on Sargassum. ©Torben Riehl

Bryozoa auf Sargassum / Bryozoa on Sargassum. ©Torben Riehl