Rebellisch, strebsam, exzellent – Wissenschaftler*innen, ein scheinbarer Widerspruch

‚Rebell: widerspenstig, wer sich auflehnt, widersetzt‘
Digitales Wörterbuch der Deutschen Sprache

Es ist nicht der Wunsch, alles zu verändern. Es ist auch kein Aufbegehren gegen das System. Seit Anfang September 2020 arbeite ich am GEOMAR in Kiel und vertrete die drei Projekte der Ozeanforschung EVAR, REEBUS und CUSCO. Diese wenigen Monate haben genügt, um zu begreifen: Es ist das beständige Hinterfragen als gesetzt geltender Regeln und Erkenntnisse, das Wissenschaftler*innen zu Rebell*innen macht.

Wissenschaftler*innen sind also Rebell*innen. Von Berufs wegen, könnte man sagen. Oder andersherum. Es sind die kritisch hinterfragenden Menschen, die den Weg in die Wissenschaft wählen. Henne und Ei.

In meinem Kopf waren Wissenschaftler*innen immer brav. Fleißige Lernbienen, datenversunken und etwas passiv gegenüber den Abenteuern des Lebens. – Ganz falsch ist dieses Vorurteil, wie ich merke! Die Menschen, denen ich täglich am Institut begegne, sind es selbst, die die Abenteuer schaffen. Die sich immer wieder in herausfordernde Situationen bringen. Sie sind widerspenstig, sie nehmen nicht einfach hin, was sich gehört, was über sie entschieden wurde, was sie nach Vorstellung anderer tun sollen. Schließlich ist es ihre Aufgabe, bestehendes Wissen zu hinterfragen. Und dieser Aufgabe werden sie gerecht. Bei der Arbeit und im Alltag gleichermaßen.

Gratwanderung wissenschaftliche Emanzipation

Das Widersetzen zeigt sich in vielen Situationen. Im Kleinen. Bei einer nächtlichen roten Ampel, zum Beispiel. Und im Größeren. In einer Diskussion mit Betreuer*innen und Vorgesetzten, bei der sich alle hierarchischen Ebenen in Luft aufzulösen scheinen. Sogar gegenüber dem eigenen Professor wird zeitweise – man kann schon fast sagen, aufbegehrt. Wenn das Thema wichtig ist, wenn es darum geht, wie weiter vorgegangen werden soll. Wenn besprochen wird, was die Datenlage aussagt. Ein bisschen auch, weil es immer darum geht, sich als eigene Wissenschaftler*in zu emanzipieren. Ein wissenschaftliches Entwachsen und Erwachsenwerden. Eine beständige Rebellion. Ein wandern an und über die Grenze.

Aber eben nicht nur – und hier liegt der scheinbare Widerspruch, Wissenschaftler*innen sind auch strebsam. Ganz ohne geht es wohl doch nicht. Wer nur rebellisch ist, verliert sich schnell im Kampf. Es braucht auch das Zielstrebige. Etwas Ruhiges und Andauerndes, das ein*e Forscher*in über Jahre beim Datensammeln und Schreiben von Papern, den wissenschaftlichen Veröffentlichungen, hält.

Gute Wissenschaft ist Rebellion (und ein bisschen mehr)

Fleiß und Strebsamkeit sind bürgerliche Tugenden. Rebellion trägt oft eher den Beigeschmack von Aufruhr und Umbruch. Doch gerade die Kombination dieser Charaktereigenschaften ist die Essenz guter Wissenschaft: Sich den vorherrschenden Annahmen widersetzen. Dinge nicht auf sich beruhen lassen und nach neuen Erkenntnissen streben. Widerspenstig dem trotzen, was gesellschaftlich erwartet, gefordert, bewertet wird. Dies sind die Stärken, die zu neuer Forschung, neuen Sichtweisen und neuem (aktuelleren) Wissen führen. Es ist das Rebellische und das Strebsame gleichermaßen, das am Ende zur wissenschaftlichen Exzellenz führt.

Exzellent sind viele meiner Kolleg*innen aus den drei ozeanischen Projekten also gerade weil sie sich trauen, sich nicht der Norm anzupassen und stattdessen nach mehr zu streben. Und auch bei ihrer wissenschaftlichen Karriere kommt den Forschenden noch einmal das Rebellische zugute, das ansonsten zu Schwierigkeiten mit den herkömmlichen Strukturen, aber damit auch zu steilen Lernkurven führt: Wer Krisen gemeistert hat, kann später besser mit den Anforderungen umgehen, die eine Laufbahn als Wissenschaftler*in mit sich bringt. Wer sich schon einmal in eine schwierige Situation gebracht, aber selbst wieder herausnavigiert hat, kann Lösungen für spontan auftretende Probleme oder sich abrupt ändernde Umstände finden. Oder kann Probleme überhaupt eher als Herausforderung, und damit als Chance begreifen. Wer bei einem Regelverstoß erwischt wurde, hat vielleicht gelernt, mit Menschen zu sprechen und zurechtzukommen, die einem nicht immer positiv gegenüberstehen. Und ein bisschen trainiert das Ganze sicherlich auch, wie man sich gegenüber Autoritäten verhält (oder eben, ab wann man sich nicht mehr verhält, weil es nun mal nicht um Anpassung geht, sondern um Wissenschaft und Erkenntnis).

Ein paar strebsame, exzellente Rebell*innen braucht die Welt also. Ich werde zwar trotzdem weiterhin – ganz unrebellisch – auch nachts an roten Ampeln stehen bleiben, aber es ist eine gute und beruhigende Erkenntnis, dass sich die Verhaltensweisen, die viele Menschen mit einem Kopfschütteln zurücklassen, an der richtigen Stelle als erfolgreiche Qualität entpuppen. Und, dass Wissenschaft aus Menschen besteht, die sich nicht einfach der bequemsten Meinung beugen.


Autorin: Ann Kristin Montano

Ehemalige Wissenschaftlerin, die lange genug in anderen Bereichen gearbeitet hat, um Klischees über Wissenschaftler*innen aufzubauen. Arbeitet jetzt gern unter Wissenschaftler*innen, um die Klischees wieder abzubauen. Hält sich selbst für brav. Mag das Rebellische und Exzellente an ihren Kolleg*innen sehr.

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