SO244 GeoSEA – Nachtschicht mit OBS

Ausbringen eines OBS gegen 01:00 Ortszeit / OBS deployment at about 01:00 local time. Photo: Jan Steffen, GEOMAR

Ein sich nach unten entfernendes Blinken im tiefdunklen Wasser ist das letzte, was wir von dem Gerät sehen. Dann nichts mehr. Das Ozeanbodenseismometer sinkt in die Tiefe, bis es den Meeresboden mehr als 2000 Meter unter dem Rumpf der SONNE erreicht. Erst in ein bis zwei Jahren wird es, wenn alles gut geht, wieder an die Oberfläche des Pazifiks zurückkehren. Dann hat es hoffentlich viele spannende Daten über Erdbebengefahren in Nordchile aufgezeichnet. Bis dahin können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nur hoffen, dass das Gerät einwandfrei funktioniert.

Seit gestern (Montag) Nachmittag haben wir insgesamt 13 Ozeanbodenseismometer (kurz: OBS) vor Nordchile am Meeresboden platziert. Im Gegensatz zu dem ganz neuen GeoSEA-Messnetz  gehören sie seit Jahren zu den Standard-Werkzeugen der Geophysiker am GEOMAR. Die ersten Geräte dieser Art wurden schon in den 1990er Jahren in Kiel entwickelt und die heutige Form ist seit 13 Jahren überall auf der Welt im Einsatz. Mit rund 100 OBS (beziehungsweise artverwandten Geräten) verfügt das GEOMAR über einen der größten Pools weltweit. Daher stehen auch immer einige Geräte im Technik- und Logistikzentrum des GEOMAR, wenn ich mit Besuchergruppen und Journalisten dort vorbeischaue. Die Geräte sind so grundlegend, dass sie auch Eingang in den Imagefilm des GEOMAR gefunden haben. Irgendwie dachte ich, ich kenne sie schon ganz gut.

Doch dann kam die vergangene Nacht und meine Lernkurve glich einer atemberaubenden Klippe anstatt einem sanften Hügel.

Der Seismometer-Einsatz ist, wie gesagt, geophysikalische Routine und läuft daher auf Expeditionen rund um die Uhr. Unter der Leitung von Anne (K.), die seit 15 Jahren mit OBS arbeitet, waren Anina, Katrin und ich von Mitternacht bis sechs Uhr morgens als OBS-Wache eingeteilt. Das heißt, wir waren dafür verantwortlich, die Geräte ein letztes Mal zu überprüfen und endgültig zusammenzubauen, bevor sie ihre Reise in die Tiefsee antreten.

Doch halt. Bevor wir in Details einsteigen: Was macht ein OBS eigentlich genau? Die Geräte messen Bewegungen beziehungsweise seismische Wellen im Untergrund. Sie können zum Beispiel die Erschütterungen von Erdbeben präzise aufzeichnen. Forscher können diese Daten analysieren und so die Prozesse, die bei einem Erdbeben ablaufen, besser verstehen.

Das gibt es natürlich auch an Land. Dort heißen die Geräte einfach Seismometer, sie müssen keinen Wasserdruck aushalten und sie können meist relativ einfach mit einem Auto zu ihrem Bestimmungsort gebracht und wieder abgeholt werden.

Wer sich allerdings eine Weltkarte vornimmt, in der Erdbeben eingetragen sind (zum Beispiel bei den Kollegen vom GFZ Potsdam), wird feststellen, dass viele schwere Erdbeben ausgerechnet unter dem Meer auftreten – dort, wo es besonders tief ist. Also mussten sich entsprechend spezialisierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überlegen, wie sie die Seismometer so zum Meeresboden bringen, dass sie später auch noch an die Daten herankommen.

Das Auffälligste an den OBS sind die vier orangen Zylinder. Sie bestehen aus einem besonders druckfesten Schaum, der für Auftrieb sorgt. Ein OBS würde grundsätzlich schwimmen. Damit es trotzdem zum Meeresboden sinkt, erhält es einen Anker, der aus Teilen alter Eisenbahnschienen zusammengeschraubt wird. Ein Releaser hält Anker und OBS zusammen. Sie erinnern sich? Das sind die Geräte, denen man akustisch ein Signal geben kann, damit sie einen Verschluss öffnen. Die, die eigentlich sehr zuverlässig funktionieren, uns beim Absetzen der GeoSEA-Tripoden aber ein paar Probleme bereitet haben. Doch zurück zu den OBS.

Die Auftriebskörper sind in einen Metallrahmen eingehängt, an den auch die eigentliche wissenschaftliche Nutzlast befestigt wird. Da wäre zum einen ein Druckbehälter aus Titan, der die Stromversorgung und den Datenspeicher enthält. Je nach Einsatz hängen außerdem ein Geophon und/oder ein Hydrophon an dem Rahmen. Das sind die eigentlichen Sensoren.

Damit alles möglichst über Jahre störungsfrei arbeitet, haben Anne und der Rest des Teams jede einzelne Batterie durchgemessen. Sie haben jedes Hydrophon und jedes Geophon einem Funktionstest unterzogen. Jeder einzelne Releaser musste an Deck der SONNE beweisen, dass er auf die Signale eines Senders reagiert. Das waren Tätigkeiten, die schon in den vergangenen Tagen parallel zum restlichen Programm erledigt werden konnten. Die Sensoren und der Druckkörper dürfen aber erst unmittelbar vor dem Einsatz an das OBS-Gestell angebaut werden, damit sie sich an Deck nicht in der Sonne aufheizen. Das war die Aufgabe der jeweiligen OBS-Wache. Wir mussten uns dabei an eine detaillierte Checkliste halten. „Ist der Druckkörper mit drei Schrauben verschlossen?“ Ja. Anina macht an der entsprechenden Stelle des Protokolls einen Haken. Welche Seriennummer hat das Geophon? Anina trägt sie in das Protokoll ein. Wie ist der Ladestand der Energiepacks? Wieder ein Eintrag. Es gibt viel zu beachten.

Anne erweist sich als geduldige, aber auch genaue Lehrmeisterin. Um die teuren Geräte bei Langzeiteinsätzen nicht zu verlieren, reicht es eben nicht, den Druckkörper nur mit Metallschellen zu befestigen. Die könnten im Salzwasser wegrosten. Deshalb gibt es für fast jedes Bauteil drei Sicherungen: Metallschellen, Kabelbinder aus Kunststoff und ein Bändsel. Dabei kommen dann auch ganz traditionelle Seemannskünste zu ihrem Recht: Palstek, halber Schlag, Spleißen….

Zu guter Letzt erhält das voll aufgerüstete OBS auch noch eine rote Flagge sowie einen Sender und eine Blinkleuchte, die von einem Drucksensor bei niedrigen Wassertiefen aktiviert werden. Wenn eine spätere Expedition dem Releaser das Signal gibt, den Anker zu lösen, das OBS dann auftreibt, dann ist es in bewegter See vielleicht kaum zu sehen. Flagge, Sender und Blinkleuchte könnten sich bei der Bergung als hilfreich erweisen. Deshalb blinkt das OBS noch eine Weile, nachdem ein Kran der SONNE es steuerbords mittschiffs ins Wasser absetzt und ein Decksmann die Verbindung gelöst hat. Die Lichtreflexe im Wasser sind wie ein Abschiedsgruß, bevor das Gerät endgültig unseren Blicken entschwindet.

Jetzt weiß ich viel, viel mehr über ein GEOMAR-Standardgerät als vor dieser Reise (ich habe hier nur einen Bruchteil wiedergegeben, sonst würden Sie morgen noch an dem Text lesen). Aber ich habe auch ein Problem: Wenn ich das nächste Mal mit einer Besuchergruppe in Kiel vor einem OBS-Gestell stehen bleibe, werde ich mich arg zusammenreißen müssen, um die armen Gäste nicht mit Informationen zu überfrachten. Vielleicht hilft es, wenn ich in die technischen Details ein bisschen Seemannsgarn von milden Nächten im SO-Pazifik einfließen lasse…

Schließen des Druckkörpers / Closing of the pressure tube. Photo: Jan Steffen, GEOMAR

Schließen des Druckkörpers / Closing of the pressure tube. Photo: Jan Steffen, GEOMAR

Auch klassische Knotenkunde ist in der Meeresforschung gefragt / Marine scientists have to know classical knots. Photo: Jan Steffen

Auch klassische Knotenkunde ist in der Meeresforschung gefragt / Marine scientists have to know classical knots. Photo: Jan Steffen

Anina führt diie Checkliste / Anina documentates the work exactly. Photo: Jan Steffen, GEOMAR

Anina führt die Checkliste / Anina documentates the work exactly. Photo: Jan Steffen, GEOMAR

Auch tagsüber gingen heute noch OBS zu Wasser / OBS have been deployed also during the day. Photo: Jan Steffen, GEOMAR

Auch tagsüber gingen heute noch OBS zu Wasser / OBS have been deployed also during the day. Photo: Jan Steffen, GEOMAR

A receding flashing in the deep dark water is the last thing we see of the device. Then nothing more. The ocean bottom seismometers sinks into the depths until it reaches the seabed, more than 2,000 meters below the hull of the SONNE.  In one or two years it will return to the surface of the Pacific. Then it has hopefully recorded much exciting data on the earthquakes in northern Chile.

Until then, scientists can only hope that the device is working properly. Since yesterday (Monday) afternoon, we have deployed a total of 13 ocean bottom seismometers off northern Chile. In contrast to the entirely new GeoSEA measuring network, the OBS are a standard tool of the geophysicist at GEOMAR and have been for many years. The first devices of this type were developed in Kiel in the 1990s. Its present design has been used all over the world for 13 years. With around 100 OBS, GEOMAR has one of the largest pools worldwide. The devices are so fundamental that they have found their way into the corporate video of GEOMAR. Somehow I thought I knew them quite well.

But then last night, and I noticed I had much more to learn. Under the direction of Anne (K.), who has been working for 15 years with OBS, Anina, Katrin and I were on duty as OBS watch from midnight until 6 a.m. We were responsible for the last checks of the equipment. And we had to finally assemble the OBS before they start their journey to the deep sea.

But wait. Before we go into details: What does an OBS do exactly? Like all other seismometers the devices measure movements or seismic waves in the ground. You can, for example, accurately record the vibrations of earthquakes. Researchers can analyze this data and thus better understand the processes that occur in an earthquake.

On land it is comparatively simple to place and recover a seismometer. Anyone who, however, looks at a world map of earthquakes (for example, on the website of our colleagues from the GFZ Potsdam), will find that many severe earthquakes occur beneath the sea. So accordingly, specialized scientists had to consider how to bring the seismometer to the seafloor and how to recover the data again. The OBS was born.

The most striking thing about the OBS are the four orange cylinders. They consist of a particularly pressure-resistant foam which provides buoyancy. An anchor, which is screwed together from parts of old railroad tracks, makes it sink to the seafloor. A releaser holds the anchor and OBS together. You remember? These are the devices which you can order by means of an acoustic signal, to open a connection. These usually work very reliably, but have given us a few problems when deploying the GeoSea-tripods. Back to the OBS.

The buoyancy bodies are fixed in a metal frame, to which the actual scientific payload is attached. First of all there is a pressure tube made of titanium, which contains the power supply and the data storage. Depending on the application, a geophone and / or a hydrophone are connected to this pressure tube. These are the actual sensors.

To ensure that everything works as reliably as possible for several years, Anne and the rest of the team conducted thorough checks on the sensors, the energy packs and every component of the 15 OBS we have on board. But the sensors and the pressure tube are only allowed to be attached to the OBS immediately before the launch. Otherwise they could be damaged on deck. That is the task of the respective OBS watch.

While doing so we had to stick to a detailed checklist. “Is the pressure tube closed with three screws?” Yes. Anina ticks the box on the protocol. Which serial number has the geophone? Anina adds it to the protocol. What is the charge status of the energy pack? Another entry on the protocol. There is plenty to observe.

Anne proves to be a patient, but also precise, teacher. In order not to lose the expensive equipment in long-term use, it is not enough to secure the pressure tube with metal clamps. They could corrode in saltwater. Therefore, there are three fastenings for almost every component: Metal clamps, cable ties made of plastic and a lanyard. Marine scientists also need some basic seafarer’s knowledge: bowline, half hitch, splicing ….

Finally, a red flag, a transmitter and a flashing light are attached to the fully assembled OBS. The transmitter and the flashing lights are activated automatically at shallow water depths. When a future expedition gives the signal to release the anchor, and the OBS surfaces again, it might be difficult to see it in rough weather. The Flag, transmitter and the strobe may prove to be helpful.

That is the reason why the flashing light is the last thing we see of the OBS after a crane of the SONNE has lowered it into the sea on starboard side. The reflections in the water are like a farewell before the device finally vanishes from our sight.

Best wishhes from the SO-Pacific,

Jan &  the whole SO244 GeoSEA-Team