Wir wissen, dass wir (noch) nichts wissen

Nachdem wir in den vergangenen Wochen vor allem den Service-Charakter des Navigator-Blogs betont und viele Fragen zu Meeresthemen beantwortet haben, heute mal wieder ein Beitrag über uns selbst. Inklusive ein wenig Selbstkritik. Denn wir – in diesem Fall die Pressestelle des GEOMAR – haben, wenn man es genau nimmt, in dieser Woche ein wenig gegen das Lehrbuch für erfolgreiche Pressearbeit verstoßen. Was mich auf die Idee gebracht hat, hier kurz über Wissenschaft und ihre Wahrnehmung zu schreiben.

Von Dienstag bis Donnerstag trafen sich rund 100 Wissenschaftler aus ganz Europa, Russland, den USA, Kanada und Neuseeland am GEOMAR, um das Resümee eines vierjährigen Forschungsprojektes zu ziehen. In diesem Projekt ging es um die Fragen, ob die Permafrostböden der Arktis im Zuge des Klimawandels tauen, ob dann viel Methan in die Atmosphäre gelangt und ob infolgedessen der globale Temperaturanstieg noch schneller geht.

Dazu sollte man wissen: Methan ist ein weit stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid. Ein Thema also, dass viele Menschen betrifft und auch interessiert. Also haben wir aus Anlass des Abschlusssymposiums zu einem Pressegespräch eingeladen. Allerdings hatten die an dem Projekt beteiligten Wissenschaftler noch keine Antworten auf die Fragen, die sie sich im Rahmen des Projektes gestellt hatten. Denn die Forschungen zu diesem Thema sind so jung, die vorhandenen Daten so spärlich, die Methoden der beteiligten Disziplinen noch so unterschiedlich, dass es zunächst einmal „nur“ darum ging, eine belastbare Grundlage für weitere Forschungen zu finden. Dafür haben sich die Wissenschaftler mit Kollegen aus anderen Fachbereichen und Staaten vernetzt, methodische und auch politische Hindernisse überbrückt und so den Anstoß für wirklich effektive Untersuchungen in der Zukunft gegeben. Für die Projekteilnehmer war das ein großer Schritt nach vorne, sie waren begeistert von den neuen Möglichkeiten, die sich daraus ergaben. Ohne diesen Austausch an Erfahrung und Wissen würde es vermutlich noch länger dauern, bis die Forschung einen Schritt nach vorne macht.

Für einen Journalisten jedoch ist diese Vernetzung der Wissenschaftler, sagen wir es ganz offen, ziemlich langweilig. Ich weiß wovon ich spreche, ich habe früher selbst auf der anderen Seite des Pressekonferenztisches gesessen. Als Journalist brauche ich Ergebnisse, belastbare Zahlen, definitive Aussagen. “Wenn wir weiterhin so viel CO2 emittieren wie bisher, dann ist in xx Jahren der Permafrost aufgetaut und die weltweiten Temperaturen erhöhen sich um y Grad”. Solche Aussagen möchte ich als Journalist hören. Nicht: “Wir können keine Zahlen nennen, weil wir einfach noch zu wenig wissen”. Das ist keine Nachricht.

Und doch: Die Aussagen der Wissenschaftler sind ehrlich. Sie geben die Realität in diesem Forschungsfeld wieder – im  Gegensatz zu immer wieder auftauchenden, anderslautenden Meldungen, die eine wissenschaftliche Sicherheit über Methan in der Arktis vorgaukeln, die schlichtweg nicht haltbar ist. Genau deshalb ist die Aussage des (noch) Nicht-Wissens vielleicht doch eine Nachricht.

Zugegeben: Wir als Öffentlichkeitsarbeiter einer Forschungseinrichtung geraten auch immer wieder in Versuchung, wissenschaftliche Erkenntnisse als Durchbruch, als finale Erkenntnis, als neues Grundlagenwissen zu verkaufen. Schließlich möchten wir, dass über die Arbeit unserer Forscher berichtet wird. Doch keine wissenschaftliche Studie schafft unumstößliches neues Wissen. Sie sind nur Anregungen zu weiteren Diskussionen, Anlässe, um weiterzuforschen, Herausforderungen, neue Fragen zu stellen.

Immer wieder sind wir daher in dem Zwiespalt: Zuspitzen und erwähnt werden oder sachlich bleiben und unbeachtet bleiben? Der Grat dazwischen ist schmal, wie wohl alle Kolleginnen und Kollegen in Pressestellen von Forschungseinrichtungen bestätigen können. Ein altbekanntes Problem also. Der aktuelle Fall in dieser Woche ist eine gute Gelegenheit, wieder einmal darauf hinzuweisen und für Verständnis zu werben. Für die komplexen Themen der Wissenschaft einerseits, für das Bedürfnis der Journalisten und der Öffentlichkeit nach einfachen Antworten andererseits.

Umso mehr danke ich den Journalistinnen und Journalisten, die unser Einladung gefolgt sind, dass sie trotz des schwierigen Themas die Herausforderung angenommen haben.

Einige der aus dem Pressegespräch entstandenen Beiträge finden Sie hier:
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/s-h_magazin/media/shmag24947.html (bei Minute 07:00)
http://www.kn-online.de/In-Ausland/Panorama/Experten-beraten-ueber-Methanfreisetzungen-in-der-Arktis
http://www.shz.de/nachrichten/deutschland-welt/wissenschaft/experten-beraten-ueber-methanfreisetzungen-in-der-arktis-id3978576.html

Und wer sich noch einmal ein umfassendes Bild des Projektes machen will, um das es ging, hier ein Link zur deutschen Projektseite: www.geomar.de/go/pergamon

Demnächst gibt es dann auch wieder richtige (Zwischen-) Ergebnisse aus der Meeresforschung. Die nächsten Studien warten schon auf ihre Publikation in Fachzeitschriften. Auch sie werden nicht die Weltformel enthalten. Aber neue, kleine Teile, die wir dem gigantischen Wissens-Puzzle über unsere Erde hinzufügen können. Wir werden darüber berichten: auf der GEOMAR-Webseite, auf der Webseite des „Ozean der Zukunft“ und auch hier im Ocean-Navigator-Blog. Natürlich auch, sobald es etwas Neues zum Thema Methan in der Arktis gibt.

Mit besten Grüßen und ein schönes Wochenende,

Jan Steffen