Der Matilda-Effekt

von Lilly Rosenkranz

***English version below***

Geschlechtergerechtigkeit & Forschungskultur: Dimensionen des Matilda Effekts

Grundlegend für wissenschaftliche Arbeit ist Kollaboration. Wissensbestände werden aufgebaut und erweitert, vielfältige Blickwinkel und Beiträge verbessern die Qualität der Wissensbestände. Die Anerkennung der Leistungen ermöglicht ihre Weiterentwicklung und den Fortbestand des Wissens. Historisch gibt es jedoch blinde Flecken innerhalb des kollaborativen Verständnisses von Forschung. Das Geschlecht der Wissenschaftler:innen stellt dabei eine der Dimensionen dar, die zur Entstehung dieser blinden Flecken beigetragen haben. Darum soll es heute gehen.

Trotz ihrer auch maßgeblichen Beiträge zu prämierten Forschungen wurden daran beteiligte Wissenschaftlerinnen historisch häufig nicht ausgezeichnet. Ihr Beitrag zur Forschung blieb unsichtbar und geriet somit in Vergessenheit, und dies ist kein Einzelfall. Im Jahr 1993 gibt die Historikerin Margaret Rossiter mit Rückbezug auf ein Pamphlet der US-amerikanischen Frauenrechtlerin und Soziologin Matilda Joslyn Gage, dem Phänomen einen Namen: Der Matilda-Effekt.

Das Problem besteht nicht darin, dass sie keine namensträchtigen Auszeichnungen erhalten. Die Anerkennung der Arbeit der Wissenschaftlerinnen geht schon im Kleinen verloren. Die Gründe dafür  können vielfältig sein. Historisch war es Frauen nicht möglich als Autorinnen aufzutreten. Die Wissenschaftlerinnen nahmen keine führenden Positionen in der Wissenschaft ein und übernahmen zusätzlich zu ihren Assistenzstellen die Sorgearbeit im Privaten allein. Auch wurden Frauen in Kooperationen mit männlichen Wissenschaftlern nicht für die Bedeutung ihres Arbeitsanteils gewürdigt, die Anerkennung für bedeutende Bestandteile wurde den männlichen Wissenschaftlern erbracht. Weil sie schon auf dem Weg hin zu außergewöhnlicher Forschung ausgeblendet und vergessen werden, endete die Weiterentwicklung in der Wissenschaft für Wissenschaftler:innen in den Leerzeichen zwischen den Namen ihrer männlichen Kollegen.

Daraus zeichnet sich neben der systematischen Benachteiligung von Frauen auch ein Wissenschaftsverständnis ab, das wissenschaftlichen Fortschritt als die Leistung von Einzelpersonen statt der einer Gemeinschaft versteht.

Auch heute, trotz wichtiger Fortschritte im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit in der Forschung und einem steigenden Anteil von Wissenschaftlerinnen auf allen Karrierestufen, gibt es den Matilda-Effekt weiterhin. Er wird durch den Gender Citation Gap beschrieben. Eine aktuelle Studie der Universität Passau beschäftigt sich mit dem Matilda-Effekt in der Humangeographie und wird in diesem Jahr veröffentlicht.

Die Initiative Lost Women of Science erzählt im Podcast-Format vergessene Geschichten von Wissenschaftlerinnen, die in ihren Forschungsbereichen grundlegende Durchbrüche erreicht haben, dafür jedoch keine angemessene Anerkennung erhielten und von jungen Frauen, die Karrieren in STEM angehen. Das Team hat unterschiedliche Formate verwirklicht, Interessierte finden darunter sowohl kurze Formate von 30 Minuten (‚Shorts‘) als auch ganze Staffeln mit jeweils bis zu fünf Episoden. Inhalt aller Formate ist der Versuch der Rekonstruktion der Lebensgeschichten und bedeutender Werke von Wissenschaftlerinnen. Die drei veröffentlichten Staffeln erzählen die Geschichten von Dorothy Andersen, Klára Dán von Neumann und Yvonne Y. Clark. Der Podcast beleuchtet dabei verschiedene Phasen des Vergessens und greift die professionelle und auch persönliche Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler:innen auf.

Zur weiteren Information:

https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/02/diskriminierung-der-matilda-effekt-wie-frauen-in-der-wissenschaft-unsichtbar-werden?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.lostwomenofscience.org/

https://www.lostwomenofscience.org/resources-categories/general

English version

Gender Equity & Research Culture: Dimensions of the Matilda Effect

Collaboration is fundamental to scientific work. Knowledge assets are built and expanded, diverse perspectives and contributions improve the quality of knowledge assets. The recognition of achievements enables their further development and the persistence of knowledge. Historically, however, there are blind spots within the collaborative understanding of research. The gender of scientists is one of the dimensions that have contributed to the creation of these blind spots. This is what we will focus on today.

Despite their significant contributions to award-winning research, women scientists involved in it have historically often not been awarded prizes. Their contribution to research remained invisible and was thus forgotten, and this is not an isolated case. In 1993, the historian Margaret Rossiter, referring to a pamphlet by the US women’s rights activist and sociologist Matilda Joslyn Gage, gave the phenomenon a name: The Matilda Effect.

The problem is not that they do not receive nameable awards. It is that the recognition of the work of women scientists is already being lost in small ways. The reasons for this can be manifold. Historically, it was not possible for women to emerge as authors. Women scientists did not take leading positions in science and, in addition to their assistantships, took on the care work in private on their own. Also, in collaborations with male scientists, women were not recognised for the importance of their share of the work; the credit for significant components was given to the male scientists. Because they are already sidelined and forgotten on the way to exceptional research, advancement in science for male and female scientists ended in the blanks between the names of their male colleagues.

In addition to the systematic discrimination against women, this also reveals an understanding of science that sees scientific progress as the achievement of individuals rather than that of a community.

Today, despite important advances in gender equity in research and an increasing proportion of women scientists at all career levels, the Matilda Effect still exists. It is described by the Gender Citation Gap. A current study by the University of Passau deals with the Matilda Effect in human geography and will be published this year.

The Lost Women of Science initiative tells forgotten stories in podcast format of women scientists who have made fundamental breakthroughs in their fields of research but have not received adequate recognition for it and of young women who are tackling careers in STEM. The team has produced a variety of formats, including both short 30-minute formats (‘shorts’) and entire seasons of up to five episodes each. The content of all formats is an attempt to reconstruct the life stories and important works of women scientists. The three published seasons tell the stories of Dorothy Andersen, Klára Dán von Neumann and Yvonne Y. Clark. The podcast highlights different phases of forgetting and addresses the professional and personal significance of collaboration between scientists.

For further information

https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2023/02/diskriminierung-der-matilda-effekt-wie-frauen-in-der-wissenschaft-unsichtbar-werden?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

https://www.lostwomenofscience.org/

https://www.lostwomenofscience.org/resources-categories/general