Fahrtleiterleben.

Es ist 6:40 und es klingelt der Wecker. Die METEOR schaukelt leicht. Es ist warm und gemütlich unter der Bettdecke. Ich könnte noch liegen bleiben, so ein paar Minuten nur… Aber dann gewinnt die Neugier und ich gehe zum Bildschirm in mein Büro. Wie weit sind die Arbeiten in der Nacht vorangekommen? Machen wir gute Fahrt? Alles im ‚grünen’ Bereich?

Die Teilnehmer auf dem Forschungsschiff lassen sich grob in zwei Gruppen aufteilen: Die Besatzung und die Wissenschaft. Der ‚Chef der Besatzung’ und des Schiffes überhaupt ist der Kapitän. Michael trägt die Verantwortung für das Schiff und die Sicherheit aller an Board. Ihm unterstehen die Offiziere für den navigatorischen Betrieb, der Leitende Ingenieur für den Betrieb der Maschine und Schiffstechnik, der Bootsmann und die Matrosen für die Arbeiten an Deck, und der Servicebereich mit Küche und Stewards.

Der Chef der Wissenschaft ist der Fahrtleiter. Er ist verantwortlich für die Wissenschaft an Board, entscheidet über die Fahrtroute und das Messprogramm in enger Absprache mit dem Kapitän. Denn nicht alles was wir uns in der Forschung wünschen lässt sich technisch oder sicher an Bord umsetzen.

Ich bin dann doch gleich aufgestanden und habe das Sportzeug angezogen. Mein Schlafzimmer hat einen großen Schrank, einen Stuhl und ein Fenster mit Blick auf das Meer. Draußen ist es schon hell und ich sehe weiße Schaumkronen auf dem tiefblauen Meer. Vom Schlafzimmer aus geht es über den Flur zum Badezimmer. Den Blick in den Spiegel spare ich mir zu so früher Stunde. Aber der Gang zum Klo ist unabdingbar. Mit einem lauten Zischen verschwindet das Wasser aus dem Klo. Schiffe haben eine Unterdruckanlage für das Abwasser. Das spart Spülwasser und reduziert Schmutzwasser. Neben dem Badezimmer ist mein Arbeitszimmer. Es gibt einen großen Schreibtisch mit den Monitoren, eine Schrankwand für Bücher, Radio, Fernseher, einen Kühlschrank und eine Sitzgruppe mit Ecksofa, Tisch und Stühlen.

Ein kurzer Blick auf den Monitor zeigt die Fahrgeschwindigkeit mit 10kn an. Gut, wir kommen voran.

Ein Stockwerk tiefer ist das ‚gelbe’ Deck mit vielen Kammern für Wissenschaftler und Crew. Dort gibt es den Fitnessraum. Wie jeden Morgen entscheide ich mich für das Rudergerät. Man könnte auch Fahrrad fahren, Gewichte heben und an anderen Maschinen seine Muskeln bilden. 4000m rudern schaffe ich in 20 Minuten. Das sollte genug sein, um das gute Essen umzusetzen und gleichzeitig fit zu bleiben.

Danach geht es unter die warme Dusche, rasieren, fertig machen für den Tag. Seit 7:15 gibt es Frühstück. Die ‚Messe’ befindet sich 4 Decks unterhalb der Fahrtleiterkabine. Dort riecht es lecker aus der Kombüse nach Omelett und anderen warmen Speisen, vielleicht sogar schon Sachen für das Mittagessen. Ich öffne die Türe zur Messe und melde mit lauten ‚Guten Morgen’ meine Ankunft an. Frisch gebackenen Brötchen liegen dort, Obst und vieles mehr. Ich mag Müsli mit Joghurt und Bananen am liebsten. Leider sind ab heute die Bananen aus. Frische Sachen halten sich nicht ewig auf dem Schiff. Die Stewardess zeigt mir einen freien Platz am Tisch der Offiziere und schenkt mir schwarzen Tee ein. Nach wenigen Tagen weiß sie genau was wir gerne mögen. „Darf es noch etwas Warmes sein?“, fragt sie. Ich verneine wie immer mit einem freundlichen Lächeln. Dann hätte ich heute morgen länger rudern müssen.

Eine Etage höher sind die Labore und das Arbeitsdeck der METEOR. Ich mache eine kleine Runde und grüße die Matrosen und den Bootsmann. Die sind alle sehr freundlich und hilfsbereit, man kennt die Namen und auch so manche Geschichte. Und jeder weiß wie es geht: Ohne Matrosen keine Forschung und ohne zufriedene Forscher keinen Job auf dem Forschungsschiff. Die CTD Wache bereitet gerade die Sonde für den nächsten Einsatz vor. Im Labor hängt der von mir geschriebene Stationsplan. Die Nacht lief es gut, wir haben über eine Stunde an Zeit gewonnen. Draußen an Deck scheint die Sonne und trocknet die Hartholzbohlen. Der Wind nimmt sichtbar zu.

Es ist 8:20 und ich mache mich auf den Weg zur Brücke ein Deck oberhalb der Fahrtleiterkammer. In 10 Minuten ist dort Morgenbesprechung. Dort treffen sich der Kapitän, Meteorologe, Leitender Ingenieur, Erste Offizier, Doktor und der Wissenschaftlich-Technische Dienstleiter. Hartmut der Meteorloge fängt an. Er hat keine guten Nachrichten. Windstärke 8-9 ist angesagt und ein Blick aus dem Fenster bestätigt, das seine Sturmvorhersage, die er schon vor drei Tagen gemacht hat, heute pünktlich eintreffen wird. Danach bin ich an der Reihe und erkläre kurz das wissenschaftliche Programm. Noch eine CTD fahren und dann Kurs auf das nächste Arbeitsgebiet nehmen. Eigentlich wollten wir hier noch ein Netzhol machen. Aber das schlage ich angesichts der Windvorhersage gar nicht erst vor. Vielleicht Morgen Abend, wenn der Wind vorübergehend nachlässt. Michael, der Doktor, berichtet, dass alle Seekrankheitspflaster vergeben wurden. Aber die ‚Einsteiger’ (also wir) hatten ja schon genug Gelegenheit, sich an das Schaukeln des Schiffs zu gewöhnen und werden auch ohne weitere Pflaster klar kommen. Tabletten hat er noch. ‚Aber die helfen nicht wirklich’ spricht er aus Erfahrung.

Gegen 8:45 Uhr bin ich zurück an meinem Schreibtisch und lese die e-mails, die über Nacht eingetroffen sind. Die METEOR hat eine Standdatenleitung über eine große Satellitenantenne. Es geht zwar langsam, aber immerhin ist man nicht ganz von dem Rest der Welt abgeschnitten. Zwei wichtige mails sind dabei, die ich noch bearbeiten muss. Ich markiere sie mit einem roten Haken und sie gesellen sich zu den anderen 105 unbearbeiteten mails. Die können noch ein wenig warten. Denn eigentlich bin ich ja auch nicht im Büro … Als nächstes übertrage ich die Positionen des Schiffs in mein Planungsprogram. Früher hatte ich das auch schon mal automatisiert. Aber die Zeit meine eigenen Programme umzuschreiben habe ich nicht. Also wird es ‚zu Fuß’ gelöst. Geht auch ganz prima.

9:00 Uhr und ich bin im Konferenzraum gefragt. Wie an jeden Morgen der letzten Tage findet eine Vorlesung für die Studenten statt. Ich setze mich gerne dazu und kann so von den Kollegen lernen. Heute trägt Nadine aus Südafrika vor. Ihre Spezialität sind Fischlarven und sie fischt diese am meisten in Strandnähe. Wie die meisten Meeresbiologen hat sie tolle Fotos und hat eine inspirierende Vorlesung gehalten. Am liebstem würden wir jetzt alle Fischlarven studieren. Zumindest für die nächsten Stunden…

10:00 Uhr ist Kaffeepause. In der Messe stehen Kannen mit Kaffee und Tee und auch eine Schale Obst ist immer in der Nähe. Ab 10:20 geht die Arbeit weiter. Die Crew ist da auf die Minute pünktlich. Die Wissenschaftler eher verquatscht oder schon gleich zurück in die Labore zur Arbeit.

10:30 Uhr Treffen im Fahrtleiterbüro der leitenden Wissenschaftler. Die sechs Wachführer und Arne und Tim sind gekommen und wir besprechen die kommenden Tage. Ich verteile die Kapitel für den Fahrtbericht. Den versuchen wir noch bis zum Ende der Reise fertig zu bekommen. Jeder schreibt etwas über die Geräte, für die er verantwortlich ist. Ich mache die allgemeinen Teile. Wir erörtern die Situation mit dem nahenden Sturm. Weiterhin bemerken wir mit etwas Sorge, dass sich Gruppen an Board herausbilden. Deutsche und Afrikaner separieren sich. Das finde ich nicht gut und so schlage ich vor einen ‚Kammerabend’ einzuführen. Die Studenten der afrikanischen Doppelkammern laden die Deutschen zu sich ein und versuchen etwas afrikanische Atmosphäre zu vermitteln. Freizeit mit ‚Ansage’. Auch das darf der Fahrtleiter manchmal.

Danach eine Stunde die Berichte aufdatieren, emails beantworten. Eigentlich wollte ich noch die Fotos von den letzten zwei Tagen runterladen und bearbeiten. Der Wind nimmt zu. Habe schon 20 m/s auf der Anzeige gesehen. Zum Glück kommt er von achtern und die letzte CTD haben wir gerade noch geschafft, bevor es zu windig wurde. Draußen tobt die See und die Wellen erreichen beeindruckende Höhen. Schnell noch ein paar Kurzfilme drehen.

11:15 Uhr Mittagszeit. Wir sollen pünktlich zum Essen kommen, damit noch genug Zeit für die Crew ist den Abwasch zu machen bevor die Küche Mittagspause hat. Es riecht schon wieder so lecker. Auf dem Weg zu Messe stecke ich noch kurz meinen Kopf in die Kombüse. ‚Mahlzeit’ rufe ich laut und ‚vielen Dank Rainer’ für das gute Essen. Es gibt immer Salat meist Fleisch und Kartoffeln mit Gemüse. Heute ist Donnerstag und da gibt es zum Nachtisch Eis mit Sahne. Donnerstag ist ‚Seemannssonntag’ und das Essen besonders gut. Um 12:00 bin ich zurück in der Kammer. Eigentlich gehe ich nach dem Essen gerne eine Runde über Deck. Aber heute sind alle Türen geschlossen. Die Windsee spült immer mal wieder einen kräftigen Schwall Wasser über das Arbeitsdeck. Da ist es zu gefährlich für uns an Deck zu sein. Aber zum Glück können wir auf den höheren Decks rausgehen.

Ich muss noch dringend ein Gutachten fertig machen und einen Brief durchsehen. So gegen 14:00 Uhr gehe auf die Brücke. Heike hat Wache. Sie ist die einzige Frau in der Nautik auf dieser Reise. Es gibt einen Espresso mit Milch und wir klönen über das Wetter, die Seefahrt und wie lange sie noch an Board sein wird. Sie ist zuständig für die Sicherheit auf der METEOR und kontrolliert gerade mit dem Auszubildenden die Arbeitsgurte. Zurück im Büro mache ich Listen für die praktischen Übungen. Ab morgen bringen wir den Studenten bei, wie man Zooplankton bestimmt, salinometriert oder Ozeanmodellläufe auswertet. Die Gruppen dürfen nicht zu groß sein. Sonst passen wir nicht in die kleinen Labore.

15:00 Uhr Zeit für den Kaffee. Heute gibt eine richtige Sahnetorte. Ach ja Seemannssonntag. Hätte ich mir doch denken können. Beim Kaffee treffe ich den Doktor und wir reden über Namibia und unseren kleinen Ausflug am Ende der Reise 2010 auf den Kapverdischen Inseln. Seefahren hat auch immer viel mit Geschichten erzählen zu tun. Und davon gibt es auch auf der METEOR viele. Heute morgen berichtete Peter der Bootsmann, dass er vor vielen Jahre bei Windstärke 9 mal ein sinkendes Schiff verlassen musste. Die Rettungsboote bekamen sie nicht mehr sicher zu Wasser. Nur noch eine Rettungsinsel. Vier seiner Kollegen starben bei dem Unglück.

15:30 Uhr. Jetzt geht meine Vorlesung los. Heute erzähle ich etwas über Akustik im Ozean. Was sind Schallwellen? Wer und was macht alles ‚Krach’ unter Wasser? Wie werden Schallwellen in der Ozeanographie benutzt? Nur die Tonbeispiele der Walgesänge kann man nicht gut hören. Das Schiffsgeräusch ist immer da. Eigentlich nimmt man es nicht mehr wahr. Aber wenn man etwas Leises hören muss wird man dran erinnert.

Um 16:30 Uhr gehe ich nochmal in das Büro. Die Wellen da draußen sind unglaublich hoch. 4-5 Meter hatte Hartmut vorhergesagt. Er hat eigentlich immer Recht. Dazu Streifen mit blauen Himmel und Sonne. Ozean ‚blau weiß’. Sieht eigentlich wunderschön aus. Wie gut, dass wir hier keine Messungen machen wollten. Das wäre auf keinen Fall möglich gewesen.

17:15 Uhr. Zeit zum Essen. Man bekommt das Gefühl man isst ständig an Bord. Wahrscheinlich auch zu viel. Auf dieser Reise ist das Essen sehr gut. In der Kombüse ist gute Stimmung. Der Koch und der Kochsmaat verstehen sich. Das hilft allen. Ich nehme ein Brot mit Käse und frisches Gemüse. Oder vielleicht doch noch ein kleines Stück gebratenes Hühnchen mit Pommes dazu. Nur so zum probieren. Man lebt nur einmal …

Nach dem Essen laufe ich noch einmal durch alle Labore. Wir müssen noch die Datenverarbeitung des LADCP besprechen. Diesmal sollen die CTD Daten so formatiert werden, dass man sie mit EXCEL lesen kann … Graus … ein physikalischer Ozeanograph meiner Generation würde MATLAB oder ähnliches vorziehen. Heutige Studenten sind eher mit EXCEL aufgewachsen. Aber die Biologen und Afrikaner sind doch eher in EXCEL zuhause. Ich gehe noch mal auf der Brücke vorbei. Der erste Offizier hat Wache. Tilo möchte wissen ob wir noch Kühlfracht von Mauritius nach Deutschland schicken wollen. ‚Wir diskutieren das noch’, antworte ich. Denn angeblich ist das Schicken von Kühlproben mit Trockeneis von dort nicht sicher und vielleicht lassen wir die Proben in einem der großen Kühlschränke an Board bis die METEOR vor Weihnachten wieder Walvis Bay erreicht.

19:30 Uhr. Meine Kammer füllt sich für den Afrika-Abend. Auch die Senior-Scientists treffen sich heute Abend. Draußen tobt noch der Sturm, das Schiff schaukelt etwas und man muss das Weinglas auf die Rutschmatte stellen. Schöne Bilder hat Nadine aus Südafrika mitgebracht. Und sogar echten Süd-Afrikanischen Wein beim Steward im Store aufgetrieben. Dazu gibt es Salzstangen und Chips. Irgendwie könnte das auch der Deutsche Abend gewesen sein. Wir haben interessante Gespräche und die Zeit fliegt dahin. Um 22:00 lösen wir die Runde auf. Alle gehen doch noch mal an der Messe vorbei in die Bar der METEOR. Dort spielen René und Jefim Gitarre. Wir haben Glück diese Reise. Es wird oft selber Musik gemacht. Die Stimmung ist prima. Wir klatschen nach jedem Lied. Ich trinke Pfefferminztee. Um 23:00 ist Bettzeit für mich. Im Büro schaue ich mir noch im Web die Nachrichten an. Immer noch kein Haushalt in den USA. Meine amerikanischen Freuden tun mir Leid. Aber auch wir merken den ‚government shutdown’. Es gibt keine Chlorophylldaten der Amerikanischen Satelliten mehr in Echtzeit. Die NASA hat alle Webserver abgeschaltet. Das ist schade, denn diese Daten hätten uns gut bei der Stationsplanung helfen können. Naja heute ist Sturm da, also wäre eh nichts möglich gewesen. Ein kurzer Anruf nach Deutschland und dann bin ich froh wenn ich im Bett liege und die Augen zu machen kann. „Tiger an Deck“ heißt das Buch. Es liegt neben meinem Bett. 5 Seiten habe ich bisher geschafft. Ich vermute, auch dieses mal werde ich das Buch fast ungelesen wieder mit nach Deutschland zurück nehmen.

Martin Visbeck (chief scientist)

2 thoughts on “Fahrtleiterleben.

  1. Hallo Martin,

    sehr interessant. Wir Landratten haben uns immer schon gefragt, was Ihr auf See den ganzen Tag so macht 🙂 Jetzt freuen wir uns auf mehr Berichte vom Leben an Bord!
    Beste Grüße aus der Heimat,

    Jan

  2. …das klingt alles sehr interessant, besonders die Beschreibung der Klospülung und die Vorstellung von dir auf dem Rudergerät, BEVOR du in den Spiegel geschaut hast 😉

    Aber, Martin: Pfefferminztee abends in der Bar ?! Darüber würde ich gelegentlich doch noch mal nachdenken!

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