AL499 – Unter dem Binokular

Sonnenstrahlen fallen durch die weit geöffneten Bullaugen und die See ist spiegelglatt. Ein perfekter Tag, um die gesammelten Proben der letzten Tage unter dem Binokular und dem Mikroskop unter die Lupe zu nehmen. Im Gegensatz zu Mikroskopen haben Binokulare zwei statt nur einem Okular und eine geringere Auflösung. Das bedeutet, dass unter einem Mikroskop eine stärkere Vergrößerung des Forschungsobjektes möglich ist.

Die See ist fast spiegelglatt. Foto: Sirin Schulz/GEOMAR

Dank der ruhigen See konnten die Studierenden gestern unter optimalen Bedingungen testen, ob sie beim Mikroskopieren seekrank werden und sind so für ihre nächste Forschungsreise vorbereitet.

Christine Gawinski, Master Studentin am GEOMAR, sitzt im Labor und sieht sich eine Probe aus einem der Netze an, die am Morgen aus dem Wasser gezogen wurden. Sie trägt einen weißen Laborkittel und schiebt die Partikel in der Petrischale mit einer Pinzette hin und her.

In der Petrischale befinden sich mikroskopisch kleine Organismen. Foto: Sirin Schulz/GEOMAR

Indem sie vorsichtig an den Rädchen rechts und links am Binokular dreht, stellt sie die Schärfe und die Nähe des Objektes ein. In der Wasserprobe befinden sich winzige Planktonorganismen, die Christine identifizieren möchte. Sie dreht ein wenig an einem der Rädchen und sagt: „Ich suche nach den Eiern und Larven der arktischen Relikt-Qualle Mertensia ovum.“ Nacheinander betrachtet sie Proben aus verschiedenen Wasserschichten. „Für mich ist interessant in welcher Tiefe die Organismen vorkommen“, erklärt sie mir und fügt hinzu: „Das ist wichtig für uns, damit wir in diesen Tiefen mit einem neuen Kamerasystem diese fragilen Organismen beproben können. Eine derzeit noch nicht weit verbreitete Alternative zum Quallen Zählen am Bino mit schwappenden Proben.“

Neben ihr sitzt Cornelia Jaspers, die Fahrtleiterin dieser Forschungsreise, und erklärt Christine worauf sie achten muss, um die kleinen Quallen zu erkennen: „Die Larven der Mertensia erkennst du an ihren Flimmerhärchen, die in bunten Farben schimmern, wenn das Licht auf sie fällt.“ Ich werfe auch einen Blick durch das Binokular. In der Petrischale tummeln sich hunderte winzige Organismen, die im Wasser hin und hertreiben. Ich sehe eine Vielfalt an Lebewesen mit den unterschiedlichsten Formen und Bauweisen. Für mich ist es schwer signifikante Unterschiede zwischen den Organismen zu erkennen.

Christine Gawinski und Cornelia Jaspers am Binokular. Foto: Sirin Schulz/GEOMAR

„Da haben wir eine“, sagt Cornelia und erklärt mir: „Die arktische Relikt-Qualle Mertensia gehört zu den Rippenquallen.“ Diese kleine Qualle zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich in der Ostsee direkt nach ihrer Geburt vermehrt. Diese durchsichtigen, ein bis zwei Millimeter großen Tiere werden in der Ostsee nicht größer. „Wir haben auf 13 Monitoring Reisen in der Ostsee mehrere 1000 Tiere untersucht, aber nie welche gefunden, die größer als drei Millimeter waren.“ Trotz ihrer geringen Größe produzieren sie ein bis zwei Eier am Tag. Diese Eier genügen, um den Bestand aufrecht zu erhalten. „Das ist verblüffend“, sagt Cornelia, „aber unsere Modellberechnungen haben gezeigt, dass es aufgrund ihrer hohen Sterblichkeit für die Quallen sinnvoller ist, sich so früh wie möglich zu vermehren, anstatt zwei bis drei Wochen zu wachsen und dann mehrere 1000 Eier zu produzieren. Deswegen suchen wir auch nach ihren Eiern. Diese sind wunderhübsch und man kann die kleinen Larven kurz vor dem Schlupf dabei beobachten wie sie in ihrer Eischale umherschwimmen.“

Ich finde es faszinierend, dass Cornelia die Larven und Eier unter den vielen Organismen identifizieren und von den anderen Tierchen unterscheiden kann. Ich versuche noch einmal die kleinen Lebewesen unter dem Binokular zu erkennen und werde dabei glücklicherweise nicht seekrank.

Sirin Schulz