Navigators Wochenbericht: Wissenschaftler im Kameralicht und spannende Vorträge

Pressekonferenz zur Simulation des möglichen Wegs des Flugzeugwrackteils auf La Reunion. Foto: Jan Steffen, GEOMAR Pressekonferenz zur Simulation des möglichen Wegs des Flugzeugwrackteils auf La Reunion. Foto: Jan Steffen, GEOMAR

Wissenschaftler umringt von Kameras und Mikrofonen – kein alltägliches Bild.  Vor allem wenn man bedenkt, dass der interviewte Kollege darauf spezialisiert ist, Ozeanströmungen im Computer zu simulieren. Das Thema ist sonst eher  schwer zu vermitteln. Ozeanographen, die statt an Deck eines Forschungsschiffes Wind und Wellen zu trotzen vor ihren Computern sitzen, scheinbar unendliche Datenreihen in virtuelle Modelle einfüttern, um nach Wochen oder gar Monaten Rechenzeit auf Supercomputern noch mehr Zahlenkolonnen zu erhalten – das klingt weder aufregend noch ist es bildstark. Eigentlich. Doch wenn sich die Theorie mit der Praxis verbindet, dann zeigt sich plötzlich auch dem Laien, wie wichtig und spannend dieser Wissenschaftszweig ist.

In diesem Fall haben Professor Arne Biastoch und sein Kollege Dr. Jonathan Durgadoo in einem Computermodell des Indischen Ozeans simuliert, woher das Flugzeugwrackteil gekommen sein könnte, das Ende Juli auf der Insel La Réunion gefunden worden war und das mutmaßlich zur vermissten Boeing 777 von Flug MH370 gehörte. Einen Auftrag hatten sie dafür nicht. Sie trieb wissenschaftliche Neugier und der Wunsch, eventuell etwas zur Lösung des Geheimnisses um Flug MH370 beizutragen.

Den ersten Anstoß dazu gaben ebenfalls Medienanfragen. Als das Wrackteil Ende Juli auf La Réunion gefunden wurde, stand das Telefon bei uns in der Pressestelle nicht mehr still. Viele Journalisten wollten wissen: Kann das sein? La Réunion liegt doch tausende von Meilen entfernt vom aktuellen Suchgebiet. Die Anfragen trafen uns mitten in der Haupturlaubszeit. Wer von den Kolleginnen und Kollegen nicht auf einer Expedition war, genoss freie Zeit mit Familie oder Freunden. Da war es ein Riesenglück, dass ausgerechnet Arne Biastoch zu diesem Zeitpunkt in der Forschungseinheit “Theorie und Modellierung” die Stellung hielt. Mit ihm konnten wir nicht nur irgendeinen Ozeanographen als Ansprechpartner vermitteln, sondern sogar einen, der sich im Indischen Ozean gut auskennt.

Seine erste Einschätzung war: Ja, das kann sein. Es gibt im Indik starke Strömungen, die Treibgut in 16 Monaten einmal quer über den Ozean transportieren können. Aber als Wissenschaftler war er mit einer “über den Daumen”-Antwort nicht zufrieden. Also bereitete er zusammen mit Jonathan Durgadoo eine Rückwarts-Simulation vor, um das mögliche Herkunftsgebiet des Flugzeugteils zu ermitteln. Sie verwendeten dafür eines der besten zur Verfügung stehenden Ozeanmodelle. Allerdings nutzt die Kieler Arbeitsgruppe dieses Modell für Klimasimulationen, das heißt für die Modellierung von Vorgängen, die sich über Jahre oder sogar Jahrzehnte abspielen. Für eine realistische Simulation des Indischen Ozeans in den vergangenen 16 Monaten benötigten sie dagegen reale Daten aus dieser Zeit. Die erhielten Arne Biastoch und Jonathan Durgadoo von Kollegen aus Frankreich – da flossen mal eben mehrere hundert Gigabyte Daten nach Kiel.

Was die beiden noch alles bedenken mussten und welche Startvoraussetzungen sie gewählt haben, aber auch welche Grenzen solch eine Modellierung hat – das können sie am besten selbst erzählen. Nach mehreren Wochen Rechenzeit haben wir die Ergebnisse der Modellierung am Dienstag in einer Pressekonferenz vorgestellt. Und das Interesse war natürlich enorm. Zum Glück hat die Online-Redaktion des NDR die gesamte Pressekonferenz live ins Internet gestreamt. Das Video ist jetzt über die NDR-Mediathek abrufbar.

Großes Medieninteresse für Ozeanmodellierer - eher eine Seltenheit. Foto: Jan Steffen, GEOMAR

Großes Medieninteresse für Ozeanmodellierer – eher eine Seltenheit. Foto: Jan Steffen, GEOMAR

Wie die Journalisten die PK erlebt haben – oder wie zumindest ein Journalist die PK erlebt hat – das kann man auch online nachlesen: im Blog des NDR-Redakteurs Jan Müller-Tischer.

Zusätzliche Relevanz erhielt das Thema übrigens Ende dieser Woche, als die französische Staatsanwaltschaft bestätigte, dass das Wrackteil auf La Réunion tatsächlich zu MH370 gehört. Wir sind selbst gespannt, wie sich das weiter entwickelt.

Auch sonst war die Woche bewegt, denn wir sind nebenbei in der Schlussphase für die Ausgabe 3 unseres Magazins GEOMAR News und bereiten mehrere Veranstaltungen in der kommenden Woche vor. Dazu zwei Tipps: Am Dienstag hält Prof. Dr. Heidrun Kopp einen öffentlichen Vortrag über “Neue Wege in der Erdbebenforschung“. Und am Mittwoch spricht Prof. Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) über das “Menscheitserbe Meer“. Auch das sind spannende und brandaktuelle Themen!

In diesem Sinne wünsche ich erst einmal ein schönes Wochenende und vielleicht sehen wir uns bei einem der Vorträge.

 

Jan Steffen