Navigators Wochenbericht: Ohne Diskussion keine Wissenschaft

Schwächelt der Golfstrom oder nicht? Diese Darstellung zeigt eine Momentaufnahme der Oberflächenströmung im Nordatlantik anhand der Oberflächentemperaturen im Ozeanmodell ORCA12. Simulation und Darstellung: Ozeanmodellierungsgruppe GEOMAR Schwächelt der Golfstrom oder nicht? Diese Darstellung zeigt eine Momentaufnahme der Oberflächenströmung im Nordatlantik anhand der Oberflächentemperaturen im Ozeanmodell ORCA12. Simulation und Darstellung: Ozeanmodellierungsgruppe GEOMAR

Wissenschaftliche Diskussionen, die bis in die breite Öffentlichkeit ausstrahlen – eigentlich ist es genau das, was wir uns als Wissenschaftskommunikatoren wünschen. Deshalb war diese Woche für uns eine gute Woche. Aber sie hat auch die Fallstricke und Probleme der Wissenschaftskommunikation gezeigt. Was ist geschehen?

Am Montag erschien in der renommierten Fachzeitschrift Nature Climate Change eine Studie (Rahmstorf et. al. 2015, http://dx.doi.org/10.1038/nclimate2554) , die Indizien für eine Abschwächung der Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC) präsentierte. Die was? Nun ja, das große Strömungssystem im Nordatlantik, das Nordeuropa mit viel Wärmeenergie versorgt. Der bekannteste Teil davon ist der Golfstrom. Aha, der Golfstrom wird also schwächer. Das ist eine Aussage, die Aufmerksamkeit erregt. So ein Szenario haben ja schon Frank Schätzing in seinem Roman „Der Schwarm“ und Roland Emmerich in seinem Katastrophenfilm „The Day after Tomorrow“ durchgespielt. Zwar würde kein vernünftig denkender Mensch diese fiktiven Horrorszenarien für bare Münze nehmen. Sie sind gut gemachte Unterhaltung. Klar. Um jedweden Missverständnissen vorzubeugen, weisen die Kollegen in der Pressestelle des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) in ihrer Pressemitteilung zur Studie ausdrücklich darauf hin, dass „die Bilderwelt von Hollywood-Filmen wie ‘The Day After Tomorrow’ […] wirklichkeitsfern“ sei. Trotzdem – solche populären Mythen spielen im Unterbewusstsein natürlich eine Rolle, wenn in Redaktionen eine Pressemitteilung mit dem Titel „Golfstromsystem verliert an Kraft“ ankommt. In diesem Fall hat das hervorragend funktioniert: In ganz Deutschland und international berichteten Zeitungen, Radiosender und Fernsehsendungen: „Der Golfstrom wird schwächer“.

Nun ist es aber so, dass diese Studie in der Fachwelt nicht ohne Widerspruch blieb. Ausgerechnet Martin Visbeck, Sprecher des „Ozeans der Zukunft“ und Leiter der physikalischen Ozeanographie am GEOMAR, äußerte sich in Interviews kritisch zur Studie, bei der Stefan Rahmstorf Leit-Autor war (beide gehören zu den Gründern der KlimaLounge auf SciLogs)

Was ist hier passiert? Gönnt der eine Forscher dem anderen die Aufmerksamkeit nicht? Oder zweifelt Visbeck am Klimawandel? Ein Streit unter Fachkollegen? Nein. Was sich hier abspielt ist Wissenschaft. Ganz einfach.

Denn die funktioniert so: Eine Gruppe von Wissenschaftlern (in diesem Fall das PIK bzw. die Arbeitsgruppe um Stefan Rahmstorf) geht einer Frage nach, hat eine Idee, wie man sie beantworten kann und nutzt dafür bestimmte Daten (in diesem Fall aktuelle Oberflächentemperaturen des Atlantik sowie rekonstruierte Oberflächendaten der vergangenen 1000 Jahre und ein bestimmtes Klimamodell).

Auf der anderen Seite betreibt die Kieler Forschungseinheit um Martin Visbeck seit etwa 20 Jahren Messstationen an wichtigen Stellen des Golfstroms. An diesen Stationen sind noch keine Trends zu einer Abschwächung der AMOC zu erkennen. Bei ihren Beobachtungen nutzen die Kieler Forscher nicht nur die Oberflächentemperaturen des Atlantiks, sondern auch Tiefendaten. Dafür reichen die Datenreihen lange nicht so weit in die Vergangenheit, wie die Daten der Gruppe um Stefan Rahmstorf. Zusätzlich nutzen Kieler KollegInnen teilweise andere Modelle des Ozeans als die Arbeitsgruppe um Stefan Rahmstorf für die aktuelle Studie.

Jetzt könnte man fragen: Wem soll ich denn nun glauben? Oder am Ende niemandem? Doch das ist die falsche Frage. Denn sie ignoriert, wie Wissenschaft funktioniert. Keine einzelne Studie hat die allumfassende Antwort auf so grundlegende Fragen wie die Entwicklung des Golfstroms (bzw. der AMOC). Jede Arbeitsgruppe bearbeitet bestimmte Fragen mit bestimmten Methoden, Kollegen kritisieren die Schwachpunkte der Methoden oder der Daten-Interpretationen, darauf aufbauend werden die Studien verfeinert. Kurz gesagt: These, Gegenthese, Synthese. Der Schweizer Klimaforscher Gian-Kasper Plattner hat es in der Podiumsdiskussion zum Thema Sonne und Klimawandel in der vergangenen Woche schön zusammengefasst. Er sagte dort: „Wir Wissenschaftler sind untereinander die schärfsten Kritiker. Denn jeder möchte die besten Ergebnisse haben. Deshalb kritisieren wir immer die Schwachstellen in den Arbeiten der Fachkollegen. Aber nur durch diese gegenseitige Kritik kommt Wissenschaft insgesamt voran.“

Auch Martin Visbeck kritisiert die Studie von Stefan Rahmstorf nicht grundlegend. „Ich finde die Herangehensweise sehr spannend. Und ich bin mir sicher, die Studie bringt uns weiter, weil sie uns auf neue Ideen bringt“, sagte er mir, „aber ich würde sie noch nicht als starken Beleg für eine Abschwächung es Golfstroms sehen, so wie es in der PIK-Pressemitteilung steht. Denn es gibt auch Indizien, die in eine andere Richtung weisen“.

Das ist der Punkt, an dem es für uns als Wissenschaftskommunikatoren spannend wird. Sind die Kollegen in der PIK-Pressestelle übers Ziel hinausgeschossen? Haben sie zu starke Behauptungen aufgestellt? Ich denke nein. Sie weisen extra darauf hin, dass die Nature Climate Change-Studie nichts mit oben bereits erwähnten Katastrophenszenarien zu tun hat. Und ihre Überschrift »Golfstromsystem verliert an Kraft«? Ist sie zu reißerisch? Auch das bestreite ich. Es ist schließlich ihre (und unsere) Aufgabe, Aufmerksamkeit zu erregen. Eine andere Überschrift wie »Studie liefert Indizien für Abschwächung der AMOC – Messungen kommen zu anderen Ergebnissen« hätte vielleicht dazu geführt, dass über diese neuen Ergebnisse überhaupt nichts in die Öffentlichkeit gelangt wäre. Dass ein großer Teil der Medien die Überschrift recht unkritisch mit »Golfstrom wird schwächer« übernimmt, ist nicht die Schuld der PIK-Pressestelle. Einige Wissenschaftsredaktionen haben schließlich bewiesen, dass es auch anders geht (Beispiele: Tagesspiegel, ORF, Bayern2 (bei 6:25 min)). Sie haben die Aussage hinterfragt und damit ein Stück Wissenschaftsalltag in die Öffentlichkeit getragen: Diskussion.

Übrigens bedeuten diese wissenschaftlichen Diskussionen nicht, dass es überhaupt keine gesicherten wissenschaftlichen Grundlagen gibt. Denn aus dem ständigen Wechselspiel von  These und Gegenthese werden mit der Zeit jene Erkenntnisse herausgefiltert, die so oft kritisch betrachtet und immer wieder von vielen Wissenschaftlern als richtig befunden wurden, dass sie als gesichert gelten können. Zu diesen gemeinsamen Grundlagen, über die nach langen Diskussionen mittlerweile ein breiter Konsens herrscht, gehört zum Beispiel, dass Kohlendioxid ein Treibhausgas ist, seine Konzentration in der Atmosphäre in den vergangenen 150 Jahren aufgrund menschlicher Aktivitäten stark zugenommen hat und diese Zunahme zu Veränderungen im globalen Klima führt. Auch wenn Wissenschaftler wie in dem vorliegenden Fall noch über Details der Auswirkungen diskutieren, bestreiten sie nicht diese Grundlagen. Eigentlich traurig, dass man das immer wieder betonen muss. Aber es gibt ja immer noch Menschen, die an eine große Verschwörung glauben (oder zumindest so tun) und Forschern und Forscherinnen wüste (natürlich anonyme) Beschimpfungsmails schicken, wenn sie öffentlich diesen wissenschaftlichen Konsens vertreten. Auch das ist diese Woche (mal wieder) geschehen…

So, das wäre eigentlich mehr als genug für einen einzelnen Wochenbericht, oder? Aber die Woche hatte tatsächlich noch mehr zu bieten. Deshalb zum Ausklang noch ein paar schöne Höhepunkt in einer kurzen Presseschau:

– Das Tauchboot JAGO ist derzeit im Bayerischen Walchensee im Einsatz. Darüber berichteten unter anderem die Süddeutsche Zeitung und der Münchener Merkur.

– Am Donnerstag und Freitag hatte Kiel hohen Besuch. Der EU-Kommissar für Fischerei, Umwelt und Meerespolitik Kermanu Vella und die Generaldirektorin für Fischerei und Meeresangelegenheiten (DG MARE) besuchten das GEOMAR anlässlich der Kick-off Conference of Maritime Stakeholder Platform in the Baltic Sea Region. Darüber berichtete unter anderem der NDR (bei 00:18:12). Weitere Informationen auch auf der Facebook-Seite von Karmenu Vella. Am Dienstag, 31.3., wird der Besuch auch Thema bei einem Facebook-Chat mit dem EU-Kommissar sein.

Dr. Peter Linke, Leiter des GEOMAR TLZ (Mitte), zeigt Commissioner Karmenu Vella (4.v.r.), der Europaabgeordneten Ulrike Rodust den Tiefseecrawler VIATOR. Ganz rechts GEOMAR-Direktor Professor Peter Herzig. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Dr. Peter Linke, Leiter des GEOMAR TLZ (Mitte), zeigt Commissioner Karmenu Vella (4.v.r.), der Europaabgeordneten Ulrike Rodust den Tiefseecrawler VIATOR. Ganz rechts GEOMAR-Direktor Professor Peter Herzig. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Dr. Peter Linke, Leiter des Technik- und Logistikzentrums am GEOMAR (links) erklärt EU-Kommissar Karmenu Vella (3.v.r.) und der Europaabgeordneten Ulrike Rodust Tiefseetechnik im TLZ. Foto: Jan Steffen, GEOMAR

Dr. Peter Linke, Leiter des Technik- und Logistikzentrums am GEOMAR (links) erklärt EU-Kommissar Karmenu Vella (3.v.r.) und der Europaabgeordneten Ulrike Rodust Tiefseetechnik im TLZ. Foto: Jan Steffen, GEOMAR

Mit Spaß bei der Sache: Dr. Peter Linke (GEOMAR, links) und EU-Kommissar Karmenu Vella vor ROV PHOCA im Technik- und Logistikzentrum des GEOMAR. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Mit Spaß bei der Sache: Dr. Peter Linke (GEOMAR, links) und EU-Kommissar Karmenu Vella vor ROV PHOCA im Technik- und Logistikzentrum des GEOMAR. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Das war es dann aber auch. Mal sehen was die nächste Woche bringt.

Immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel wünscht

Jan Steffen