Versenktes Gift – Podiumsdiskussion zum Thema Chemiewaffen in der Ostsee

Podiumsdiskussion zum Thema "Versenktes Gift". Foto: (c) GREEN SCREEN Podiumsdiskussion zum Thema “Versenktes Gift”. Foto: (c) GREEN SCREEN

Wie sicher sind wir als Ostseeanwohner eigentlich vor der Bedrohung durch die nach dem zweiten Weltkrieg im Meer versenkten chemischen Waffen? Am Mittwochabend suchten geladene Experten in Eckernförde nach Antworten.

Eckernförde – Mittwochabend hat im Rahmen des „Green Screen“- Naturfilmfestivals in Eckernförde unter dem Titel “Eckernförder Gespräche” eine Podiumsdiskussion zu dem Thema Chemiewaffen im Meer stattgefunden. Zwischen und nach Sequenzen des Films „Versenktes Gift – Wie Chemiewaffen das Meer verseuchen“ erläuterten Experten aus Wissenschaft und Politik was für Gefahren uns als Menschen, die in oder an der Ostsee leben oder arbeiten und auch der Flora und Fauna, drohen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Ralph Hohenschurz-Schmidt.

Ein Filmausschnitt lieferte zunächst die wichtigste Basisinformation: Nach dem zweiten Weltkrieg sind enorme Mengen Chemiewaffen von den Alliierten auf Schiffe geladen und dann in verschiedenen Meeresgebieten weltweit versenkt worden. Besonders im Kattegat und Skagerrak lagern enorme Mengen an chemischer Munition, bestückt insbesondere mit dem Kampfmittel Senfgas. Dieser Stoff kann bei Menschen schwerste Hautschäden hervorrufen und schließlich zum Tod führen. „Viele der Chemiewaffen sollten ursprünglich im Nordatlantik, weiter entfernt von der besiedelten Küste verklappt werden. Da der Weg in die Ostsee gerade für die sowjetische Regierung jedoch wesentlich kürzer war, sind viele der Kampfstoffe dort gelandet“, erläuterte anschließend Andrzej Jagusiewicz, Chiefinspector für Umweltschutz in Polen.

Dass wir heute von der Existenz dieser unterseeischen Chemiewaffenhalden wissen, ist, laut dem polnischen Chiefinspector, mehr zufällig entstanden. „Eigentlich gab es ein Geheimhaltungsabkommen zwischen den Alliierten, das bis zum Jahre 2017 nicht über die Versenkungen gesprochen werden sollte. Da jedoch die Nord Stream-Pipeline quer durch die Ostsee gebaut werden sollte, wurde das Schweigen gebrochen“, erklärt Jagusiewicz auch den nicht ganz geraden Verlauf der Pipeline. „Die Stellen, an denen die Chemiewaffen versenkt wurden, mussten natürlich umgangen werden.“

Dabei handelt es sich, warnten Jagusiewicz und Claus Böttcher, Referent für Munition im Meer im Umweltministerium in Kiel, um „tickende Zeitbomben“. Mit der Zeit korrodierten immer mehr der äußeren Hüllen und die Kampfmittel träten aus. Akute Gefahr drohe, so Claus Böttcher, nicht nur Fischern, die versehentlich Klumpen von Senfgas oder anderer Kampfstoffe in ihren Netzen haben, sondern auch Spaziergängern und Touristen an den belebten Stränden: „Der letzte große Unfall, der bekannt wurde, hatte einen eigentlich erfahrenen Fossiliensammler zum Opfer. Er steckte einen großen Klumpen vermeintlichen Bernsteins in seine Hosentasche, ohne zu merken, dass es sich um Phosphor handelte“. Tourismusmanagern riet er deshalb zur Ehrlichkeit und Aufklärung und rief dazu auf, jetzt zu handeln, bevor die Waffen nicht mehr aufgespürt werden könnten. „Wenn die Metallhülle erst weggerostet ist, finden wir die chemischen Stoffe nicht wieder“, sagt Böttcher.

Aber nicht nur für Menschen drohen Gefahren. So machte Dr. Matthias Brenner, früherer Mitarbeiter des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven, seit kurzem angestellt an der Universität Rostock, darauf aufmerksam, dass auch Auswirkungen auf tierische Ostseebewohner möglich sind. „Wir haben im Rahmen unserer CHEMSEA-Studie herausgefunden, dass Dorsche, die im Bornholmbecken in unmittelbarer Nähe der Chemiewaffenlagerstätten leben und Eier ablegen, einen signifikant schlechteren Gesundheitszustand haben, als Dorsche aus anderen Gebieten. Dies direkt mit den chemischen Stoffen dort in direkten Zusammenhang zu bringen, ist natürlich schwierig, aber die Korrelation ist schon sehr auffällig“, so der Meeresbiologe. „Wir stehen allerdings erst am Anfang unserer Forschung. Dies war bisher die erste Studie dieser Art und beschränkte sich nur auf chemische Waffen. Aber auch konventionelle Sprengkörper könnten Auswirkungen auf Meeresorganismen haben“.

Bei der Diskussion um die Entschärfung der Bomben wurde auch der Einsatz von unterseeischen Robotern diskutiert, um die Gesundheit von Menschen nicht unnötig zu gefährden. Erwähnt wurden hierbei die Entwicklungen von Dr. Warner Brückmann, der am GEOMAR eben diese testet. Der Einsatz der Roboter wurden als zwar derzeit noch kostenintensiv, aber zukunftsträchtig gelobt.

Einig waren sich alle Experten darin, dass eine internationale Zusammenarbeit in diesem heiklen und drängenden Thema unbedingt notwendig sei. „Die Mühlen der Politik mahlen allerdings langsam, also haben sie Geduld“, sagte Claus Böttcher lächelnd.

Wer die Podiumsdiskussion verpasst hat, sich aber dennoch für das Thema interessiert, hat noch eine Chance den Film in voller Länge zu sehen: Am morgigen Samstag um 11:30 Uhr wird der Film im Rahmen des Festivals in Eckernförde gezeigt.

Wer mehr über den Zustand der Munitionsbelastung der deutschen Meeresgewässer wissen möchte, wird hier fündig.

Yasmin Appelhans