Wo ist das ganze Plastik? – Ein erster und ein zweiter Blick auf den nordatlantischen Müllstrudel

Jeweils 2 Personen beobachten gleichzeitig die Wasseroberfläche neben dem Bug des Schiffes. Nicht immer ist die See dabei so ruhig wie auf diesem Bild. Foto: Jon Roa Jeweils 2 Personen beobachten gleichzeitig die Wasseroberfläche neben dem Bug des Schiffes. Nicht immer ist die See dabei so ruhig wie auf diesem Bild. Foto: Jon Roa

Die dritte Woche unserer Reise beginnt und wir sind mit unseren Probennahmen besser als ursprünglich gedacht vorangekommen. So gut sogar, dass wir eine weitere Station ins Arbeitsprogramm aufnehmen werden. Alle Geräteeinsätze haben gut funktioniert, nur unser Multi-Corer, der dazu dient, mit Hilfe von Stechrohren Sedimentproben aus der Tiefsee zu holen, hatte Probleme mit der Beschaffenheit des Meeresbodens in unserem Arbeitsgebiet. Aber dazu später mehr.

Fangen wir erst einmal oben an: Auf jeder Station, die wir mit dem Forschungsschiff FS POSEIDON ansteuern, sammeln wir Material ein, das an der Meeresoberfläche treibt. Dafür wird ein Netz mit einer rechteckigen Öffnung von 70 x 40 cm Größe in einen kleinen Katamaran eingehängt und hinter dem Schiff hergezogen.

Der Katamaran mit zwei großen Aluminiumrümpfen ermöglicht es, ein Netz genau an der Wasseroberfläche zu ziehen. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Der Katamaran mit zwei großen Aluminiumrümpfen ermöglicht es, ein Netz genau an der Wasseroberfläche zu ziehen. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Das Netz mit der rechteckigen Öffnung ist zentral zwischen den Rümpfen des Katamarans aufgehängt. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Das Netz mit der rechteckigen Öffnung ist zentral zwischen den Rümpfen des Katamarans aufgehängt. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Die obere Kante des Netzes befindet sich dabei über der Wasseroberfläche und die untere darunter. Das Schleppen des Katamarans erfolgt mit einer Geschwindigkeit von 4 Knoten, was in etwa 7,5 km/h entspricht. Dies geschieht auf jeder Station insgesamt dreimal und zwar jeweils über eine Strecke von 2,5 km. Daher werden bei jedem dieser Trawls 1750 m2 Meeresoberfläche befischt. Diese Fläche kann jedoch kleiner oder größer werden, wenn das Netz mit oder gegen den Strom gezogen wird. Um dies zu berücksichtigen, und um die tatsächlich befischte Fläche berechnen zu können, wird vor dem Ausbringen ein Strömungsmesser am Netz befestigt. Das treibende Material sammelt sich während des Fischens in einem Beutel am Ende des trichterförmigen Netzes und wird nach jedem Einsatz entnommen und zur Aufbewahrung in ein Gefäß mit 96% Alkohol überführt.

Der Katamaran-Trawl im Einsatz. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Der Katamaran-Trawl im Einsatz. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
So sieht eine Probe aus, nach dem sie aus dem Beutel am Ende des Netzes entnommen wurde. Foto: Grace Walls
So sieht eine Probe aus, nach dem sie aus dem Beutel am Ende des Netzes entnommen wurde. Foto: Grace Walls

Eines hat uns bei diesen Probennahmen überrascht: Das Meeresgebiet in dem wir uns befinden zählt eigentlich zu den blauen Wüsten, d.h. es gibt hier eine geringe Produktivität und wenig Biomasse in Form von Plankton und Fisch. Trotzdem kommt bei jedem Oberflächentrawl einiges an Material zusammen. Es sind vor allem Büschel oder abgerissene Teile der Braunalge Sargassum, die allerdings nicht aus diesem Gebiet stammen, sondern mit den Meeresströmungen hierher getrieben wurden. Und es findet sich leider auch viel Plastik. Foto 5 zeigt die Menge an Plastikpartikeln, die sich in einem Katamaran-Trawl fand, und dieses Bild ist durchaus typisch. Vor allem zeigt es nur die großen Partikel, die man beim schnellen Durchsehen mit dem bloßen Auge in der Probe findet, und nicht die kleineren, die wir wohl erst später bei einer genaueren Untersuchung entdecken werden. Es sind in der Hauptsache Fragmente, die aus dem Zerfall von großem Plastikmüll entstanden sind, und einige Fasern, die vermutlich von Fischernetzen und Leinen stammen.

Diese Menge an Plastikpartikeln wurde in einer einzigen Oberflächenprobe bei einer schnellen Durchsicht des Materials gefunden. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Diese Menge an Plastikpartikeln wurde in einer einzigen Oberflächenprobe bei einer schnellen Durchsicht des Materials gefunden. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Diese Funde zeigen, dass wir uns tatsächlich in einem ozeanischen Müllstrudel befinden. Aber sieht man das eigentlich wenn man auf das Meer hinausblickt? Gleicht der Atlantik südlich der Azoren einer Müllhalde? Die Antwort ist ganz klar „Nein“. Auf den ersten Blick sieht man überhaupt keinen Müll.

Der nordatlantische Müllstrudel auf den ersten Blick. Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Erst bei genauem Hinsehen entdeckt man kleine Plastikpartikel auf der Wasseroberfläche. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Der nordatlantische Müllstrudel auf den ersten Blick. Wie Sie sehen, sehen Sie nichts. Erst bei genauem Hinsehen entdeckt man kleine Plastikpartikel auf der Wasseroberfläche. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Erst wenn man genauer an der Bordwand entlang nach unten schaut und auf das achtet, was auf der Meeresoberfläche treibt, erkennt man, dass zwischen den allgegenwärtigen Algenfragmenten auch kleine Plastikpartikel driften. Auch große Müllteile wie beispielsweise Kisten oder Flaschen sieht man durchaus von Zeit zu Zeit vorbeitreiben aber sie sind eher selten. Um einen Eindruck von der Belastung dieses Seegebiets mit großen Müllteilen zu bekommen, beobachten wir das Meer regelmäßig und systematisch von Bord aus. Jedes Mal wenn wir uns von einer Station zur nächsten bewegen, auf den sogenannten Transits, beobachten wir für mehrere Stunden am Tag die Meeresoberfläche auf beiden Seiten des Schiffes. Dazu stehen immer zwei Mitglieder der wissenschaftlichen Crew auf dem Vordeck der FS POSEIDON und beobachten die Wasseroberfläche in einem Streifen von 10 m Breite neben der Bordwand.

Jede Stunde wechseln diese Müllwachen, damit es nicht zu ermüdend wird – oder zu heiß, denn die Sonne brennt ganz schön in diesen Breiten. Wir sehen dabei regelmäßig größere Objekte aber selten mehr als eins pro Stunde. Und das bei einer Fahrtgeschwindigkeit von 6 bis 9 Knoten.

Große Müllteile sieht man ebenfalls hin und wieder vorbeitreiben. Sie sind aber nicht besonders häufig. Der Müllstrudel besteht in der Hauptsache aus sehr kleinen Partikeln. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Große Müllteile sieht man ebenfalls hin und wieder vorbeitreiben. Sie sind aber nicht besonders häufig. Der Müllstrudel besteht in der Hauptsache aus sehr kleinen Partikeln. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Aber zurück zu unserer Datenerhebung: Auch unter der Wasseroberfläche nehmen wir Proben entlang eines horizontalen Transektes und zwar jeweils in 10 m, 100 m und 300 m Wassertiefe. Dafür werden Bongo-Netze hinabgelassen und dann in der entsprechenden Tiefe hinter dem Schiff hergezogen. Diese Netze heißen so, weil sie aus zwei trichterförmigen Säcken bestehen, die an zwei nebeneinanderliegenden Ringen befestigt werden. Die Anordnung der Ringe erinnert an eine Bongo-Trommel. Bei diesen Netzen beträgt die Maschenweite ebenfalls 300 µm und sie haben einen Öffnungsdurchmesser von 60 cm. Sie werden bei einer Geschwindigkeit von 2 Knoten jeweils für 30 Minuten gezogen. Bei einem dieser Trawls filtern die Netze ein Wasservolumen von knapp 2 Millionen Litern. Das entspricht in etwa dem Inhalt eines 50 m-Schwimmbeckens. Auch diese Menge kann variieren, je nachdem ob das Netz mit oder gegen den Strom gezogen wird, und auch hier erlaubt ein Strömungsmesser eine entsprechende Korrektur. In den Bongo-Netz-Proben haben wir bislang nur ein einziges, mit dem bloßen Auge erkennbares Stück (potentielles) Plastik gefunden. Aber das bedeutet nicht, dass nicht eventuell kleinere Plastikfragmente in ihnen enthalten sind, die wir erst bei unseren Untersuchungen am GEOMAR entdecken werden. Sie könnten sich vor allem in den Tieren befinden, die wir mit dem Netz gefangen haben. Dabei handelt es sich vor allem um kleine planktonische Krebstiere, wie zum Beispiel Garnelen oder Ruderfußkrebse.

Eine Garnele der Gattung Acanthephyra. Sie gehört zu den pelagischen Krebstieren, die wir mit dem Bongo-Netz fangen. Foto: Thea Hamm
Eine Garnele der Gattung Acanthephyra. Sie gehört zu den pelagischen Krebstieren, die wir mit dem Bongo-Netz fangen. Foto: Thea Hamm

Eine der zentralen Fragen unseres Forschungsvorhabens ist ja, ob die Organismen, die die Wassersäule des offenen Ozeans bewohnen, eine Rolle beim Transport des mikroskopisch kleinen Plastiks in die Tiefsee spielen. Befindet sich Plastik in den Mägen dieser Krebse, von denen viele jeden Tag aus tieferen Wasserschichten Richtung Oberfläche wandern wo sie fressen, dann wäre das ein Beleg für eine biologische „Pumpe“, die Mikroplastik in tiefere Wasserschichten befördern kann.
Schließlich beproben wir auch das unterste Stockwerk des Ozeans: den Boden der Tiefsee. Dieser liegt in dem Seegebiet, in dem die FS POSEIDON sich zurzeit befindet, meist in einer Tiefe von 3000 m. Diese Bereiche können mit den Winden an Bord des Schiffes gerade noch erreicht werden. Unser ursprünglicher Plan war es, Bodenproben mit einem Kastengreifer und mit einem Ring aus Stechrohren, der als Multi-Corer bezeichnet wird, zu nehmen. Die Probennahme mit dem Kastengreifer hat auch bislang sehr gut funktioniert.

Der wuchtige Kastengreifer wird von der Crew wieder an Bord genommen. Kein leichtes Manöver. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Der wuchtige Kastengreifer wird von der Crew wieder an Bord genommen. Kein leichtes Manöver. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Das Sediment, das wir aus 3000 m Tiefe nach oben befördern, ist hell, sehr feinkörnig und ausgesprochen fest. Letzteres ist allerdings ein Problem für den Multi-Corer. Sein Gewicht reicht nicht aus, um die Stechrohre in dieses feste Sediment zu treiben. Daher waren alle Rohre, die wir bislang aus der Tiefe wieder hochgeholt haben, leer. Dieses Problem war vor Fahrtbeginn leider nicht abzusehen und nach etlichen erfolglosen Versuchen haben wir die Beprobung mit dem Multi-Corer nun aufgegeben. Wir werden sie wohl auch nicht wieder aufnehmen, denn es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass sich in unserem Arbeitsgebiet noch anderes Sediment finden lässt.

Die Tiefsee ist ein hartes Pflaster. Für den Multi-Corer gilt deshalb: Dabei sein ist alles. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Die Tiefsee ist ein hartes Pflaster. Für den Multi-Corer gilt deshalb: Dabei sein ist alles. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Die Fotos 13 und 14 zeigen den Blick in einen geöffneten Kastengreifer. Aus diesem werden Stechrohre genommen, deren Inhalt, aufgegliedert nach Tiefenhorizonten, dann im Labor in Kiel auf Mikroplastik untersucht wird. Das Sediment in einem zweiten Kastengreifer, den wir an jeder Station nehmen, wird schichtweise abgetragen und jede Schicht durchgesiebt.

Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Aus dem Kastengreifer werden zunächst Stechrohre mit Sediment entnommen. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Aus dem Kastengreifer werden zunächst Stechrohre mit Sediment entnommen. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Der Inhalt der Stechrohre wird nach Tiefenhorizonten aufgeteilt und diese werden dann einzeln in Glasgefäße überführt. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Der Inhalt der Stechrohre wird nach Tiefenhorizonten aufgeteilt und diese werden dann einzeln in Glasgefäße überführt. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Dazu benutzen wir Edelstahlsiebe mit Maschenweiten von 500 und 1 000 µm. Das Siebgut werden wir ebenfalls mit ans GEOMAR nehmen, um es auf Organismen und auf Mikroplastik zu untersuchen. Bislang sind uns bei einer schnellen Durchsicht der Sedimentproben unter dem Binokular noch keine Partikel aufgefallen, bei denen es sich um Plastik handeln könnte. Allerdings muss man dabei auch bedenken, dass der Ausschnitt des Tiefseebodens, den wir mit dieser Methode betrachten können, sehr klein ist. Die Chance, Mikroplastik zu übersehen, das auf dem Tiefseeboden lagert, ist daher sehr groß.
Die Sedimentfallen, die wir am 22. August ausgebracht haben, konnten wir am 27. August übrigens wieder erfolgreich bergen. Wie das Ausbringen und Einholen der Fallen genau abläuft, werde ich im nächsten Blog beschreiben.

Jetzt möchte ich noch einmal kurz auf die die Bewohner des Ozeans eingehen, die uns bei unseren Arbeiten begegnen. Damit meine ich jetzt nicht die Planktonorganismen, die wir mit unseren Netzen fangen, sondern die größeren Tiere, die wir meist nur von weitem und leider auch nur sehr kurz zu Gesicht bekommen. Tatsächlich sieht man wenig größere Tiere, wenn man durch die blauen Weiten der Sargassosee fährt. Die häufigsten und auffälligsten sind die fliegenden Fische, die das Schiff aufscheucht, und die dann zum Teil bis zu 100 m durch die Luft gleiten, um sich in Sicherheit zu bringen. Sie sind die einzigen größeren Lebewesen, die wir ununterbrochen sehen, seit wir Ponta Delgada verlassen haben. Seevögel sieht man hingegen ausgesprochen selten. Wir hatten an zwei Tagen Begleitung durch einen Basstölpel, der versucht hat, die fliegenden Fische zu fangen, die das Schiff aus dem Wasser treibt. Auch Sturmtaucher haben wir gesehen, aber sonst nur: Wasser, Wasser, Wasser.

Dieser Basstölpel hat das Schiff eine Zeitlang begleitet, um sich die fliegenden Fische zu schnappen, die von Zeit zu Zeit vor dem Bug aus dem Wasser schießen. Nicht immer war er erfolgreich. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Dieser Basstölpel hat das Schiff eine Zeitlang begleitet, um sich die fliegenden Fische zu schnappen, die von Zeit zu Zeit vor dem Bug aus dem Wasser schießen. Nicht immer war er erfolgreich. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Nachts wird es da manchmal spannender. Wenn wir bei Dunkelheit arbeiten, lockt die Schiffsbeleuchtung und die Aktivität im Wasser schon mal Besucher aus der Tiefe an. Am häufigsten sind Kalmare, die im Schein der Lampen um das Schiff flitzen. Viele sind sehr klein, aber hin und wieder sieht man auch große Exemplare von gut 50 cm Länge. Außerdem haben wir Goldmakrelen gesehen, die mit ihren blauen Rücken und gelben Flossen Farbe ins dunkle Wasser bringen. Einmal, als wir noch in der Nähe der Azoren waren, tauchte sogar ein Hammerhai von gut 3 m Länge neben dem Schiff auf und interessierte sich kurzzeitig für den Katamaran mit dem Oberflächennetz.

Wir sind gespannt was uns in den verbleibenden 2 Wochen noch alles aus der Tiefe besuchen kommt.

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