Heute mal was anderes: Mikroplastik bei 33°N

Die wissenschaftliche Crew von POS536. Foto: Mark Lenz Die wissenschaftliche Crew von POS536. Foto: Mark Lenz

Eigentlich passt mein Blog auf den ersten Blick gar nicht so recht in diesen Kanal, denn es geht in ihm nicht um Kiel oder Schleswig-Holstein, sondern um den Atlantik südlich der Azoren. Trotzdem möchte ich hier von unserer Expedition berichten, denn viele Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind in das Vorhaben involviert – und es geht um Mikroplastik.
Unsere Expedition trägt das Kürzel DIPLANOAGAP und das steht für Distribution of Plastics in the North Atlantic Garbage Patch. Es geht also um die räumliche Verteilung von Mikroplastik im Nordatlantischen Müllstrudel. Unter diesem Titel wurde im August vergangenen Jahres ein Antrag auf Nutzung des deutschen Forschungsschiffes POSEIDON gestellt, der im Januar 2019 vom Bundesministerium für Forschung und Bildung genehmigt wurde. Eine Crew von 11 WissenschaftlerInnen und TechnikerInnen hat nun die Möglichkeit 3 Wochen lang im offenen Ozean Proben zu nehmen, um zu untersuchen wieviel Mikroplastik sich mittlerweile an der Oberfläche, in der Wassersäule und auf dem Meeresboden befindet.

Das Logo unserer Expedition, die die Fahrtnummer POS536 trägt. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Das Logo unserer Expedition, die die Fahrtnummer POS536 trägt. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Aber der Reihe nach. Warum wurde dieser Forschungsantrag gestellt? Hierzu ein bisschen Theorie: Man schätzt, dass ca. 60% des Kunststoffmülls, der in die Meere gelangt, so leicht ist, dass er längere Zeit an der Wasseroberfläche treiben kann. Von diesem Material werden wiederum ca. 60% von Wind und Strömungen auf den offenen Ozean hinausgetragen. Dort akkumuliert dieses Material in großen Strömungswirbeln, die man deswegen mittlerweile auch Müllstrudel nennt. Einer dieser großen Strömungswirbel wird vom Golfstrom angetrieben und umschließt die Sargassosee, die sich von den Bermuda-Inseln aus weit in den Nordatlantik hineinerstreckt. Sie hat ihren Namen von den Büscheln treibender Braunalgen der Gattung Sargassum, die man in diesem Seegebiet sehr häufig findet.

Diese treibenden Algen-Büschel sind von Bord aus häufig zu sehen.Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Diese treibenden Algen-Büschel sind von Bord aus häufig zu sehen.Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Genau wie die driftenden Braunalgen sammelt sich aber auch treibender Plastikmüll in der Sargassosee und für das Gebiet südlich der Azoren wurden in früheren Studien bereits erhöhte Konzentrationen an Plastikteilen beobachtet. Dass hier Müll im Meer schwimmt ist also schon bekannt, trotzdem umgibt die Müllstrudel immer noch ein großes Geheimnis. Sie wachsen nämlich nicht so schnell wie sie eigentlich müssten. Jedes Jahr gelangen viele Millionen Tonnen Plastik in die Meere, trotzdem sind die Müllmengen, die an der Meeresoberfläche beobachtet werden, in den letzten 15 Jahren nur sehr langsam gewachsen. Ein Teil des Mülls, der ins Meer gelangt, scheint also einfach zu verschwinden. Um dieses Paradox zu erklären, werden vor allem zwei Theorien angeführt: Die eine besagt, dass ein Teil des Mülls in sehr kleine Teile zerfällt und dann schlicht und einfach von Schiffen oder Flugzeugen aus nicht mehr gesehen werden kann.

Zudem soll Plastikmüll in die Tiefe absinken und sich am Meeresboden ablagern. Es gibt also vermutlich nicht nur einen horizontalen Transport von Plastikmüll an der Meeresoberfläche, der das Plastik von den Küsten weg in Richtung offene See trägt, sondern auch einen vertikalen Transport, der es in die Tiefsee hinab befördert.
Warum aber sollte Plastikmaterial, das eigentlich leichter ist als Seewasser, absinken? Auch hierfür gibt es mehrere Erklärungen: Zum einen wird Plastik im Meer von Bakterien, Algen und Tieren besiedelt. Dadurch kann es so schwer werden, dass es beginnt abzusinken. Außerdem können kleine Plastikteile von Meerestieren verschluckt und wieder ausgeschieden werden. Eingebettet in deren Kotpillen sinkt das Plastik dann in Richtung Tiefsee. Schließlich können kleine Plastikteile auch in Aggregate aus organischem Material eingeschlossen werden. Diese entstehen auf natürliche Weise und sind auch als Meeresschnee bekannt. Auch sie sinken, wenn sie eine bestimmte Größe und ein bestimmtes Gewicht erreicht haben, in die Tiefe.
Soweit die Theorie, aber was sagt die Praxis? Stimmt das alles oder passiert vielleicht doch etwas ganz anderes mit dem Plastik? Wir wissen es noch nicht. Es gibt bislang nämlich nur sehr wenige Daten über die Verteilung von Plastik im offenen Ozean. Gerade über das ozeanische Mikroplastik, also Plastikpartikel, die kleiner sind als 5 mm, ist sehr wenig bekannt. Wir wissen beispielsweise nicht, ob man es tatsächlich häufig im Boden der Tiefsee finden kann und ob es in den Mägen der Meeresbewohner landet, die in den riesigen Räumen zwischen der Oberfläche und dem Meeresgrund leben. Um genau dies zu untersuchen sind wir mit der FS POSEIDON an den nördlichen Rand der Sargassosee gefahren.

Das Arbeitsgebiet befindet sich südwestlich der Azoren am nördlichen Rand der Sargassosee. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Das Arbeitsgebiet befindet sich südwestlich der Azoren am nördlichen Rand der Sargassosee. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Was wir dafür brauchen sind jede Menge Geräte und vor allem eine erfahrene Schiffsmannschaft, die uns bei den zum Teil schwierigen Arbeiten unterstützt. Hier ein kurzer Blick auf unseren Gerätepark: Um die Meeresoberfläche zu beproben, haben wir einen sogenannten Katamaran-Trawl dabei, der von Bord aus ins Meer gelassen werden kann, und der dann für eine bestimmte Zeit hinter dem Schiff hergezogen wird.

Der Katamaran-Trawl wird von Deck aus ins Meer gelassen.Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Der Katamaran-Trawl wird von Deck aus ins Meer gelassen.Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Nach dem Aussetzen wird der Katamaran für eine bestimmte Zeit hinter dem Schiff hergezogen. Dabei wird Material von der Meeresoberfläche abgesammelt. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Nach dem Aussetzen wird der Katamaran für eine bestimmte Zeit hinter dem Schiff hergezogen. Dabei wird Material von der Meeresoberfläche abgesammelt. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Ein Netz, das zwischen den Kufen des Katamarans hängt, fischt dabei treibendes Material von der Oberfläche des Ozeans ab. Um die Wasserschichten unter der Oberfläche zu untersuchen, haben wir verschiedene engmaschige Netze im Gepäck, die in verschiedenen Tiefen horizontal durch das Wasser gezogen werden können. Sie sollen Plastikpartikel und Planktonorganismen, die vielleicht Mikroplastik in ihren Mägen haben, einsammeln. Die Netze haben eine Maschenweite von 300 µm.

Vor und nach dem Einsatz müssen die Netze gründlich gespült werden. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Vor und nach dem Einsatz müssen die Netze gründlich gespült werden. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Um noch feinere Partikel aus dem Wasser zu filtern, werden Unterwasserpumpen vom Schiff aus in vorher festgelegte Tiefen hinabgelassen. Sie saugen Meerwasser durch einen feinen Filter, der anschließend, wenn die Pumpen wieder an Bord sind, auf Plastikpartikel untersucht wird. Konstruktiv noch etwas aufwändiger sind die driftenden Sedimentfallen, die wir im Atlantik aussetzen und die dann unabhängig vom Schiff im Meer treiben. Sedimentfallen sind im Prinzip nach oben offene Rohre, in die absinkende Partikel hineinrieseln und sich am Boden der Rohre sammeln.
Sie werden häufig eingesetzt, um zu untersuchen, wieviel Material in einem Seegebiet in einer bestimmten Zeit auf den Meeresboden absinkt. In diesem Material befinden sich (siehe oben!) mittlerweile sehr wahrscheinlich auch Mikroplastikpartikel. Nun kann man bei den Wassertiefen, die hier vorherrschen, nicht einfach Sedimentfallen auf den Meeresboden stellen. Sie müssen an einem Driftkörper befestigt werden, der dann einige Tage im Meer treibt. Anschließend werden die Fallen wieder eingesammelt, um zu untersuchen, wieviel Mikroplastik sich eventuell in den Röhren gesammelt hat. Damit wir die Fallen in den endlosen Weiten des Atlantiks auch wieder finden können, sind sie mit einem GPS-Sender ausgestattet. Er ermöglicht es, die Fallen zu jeder Zeit zu orten

Diese Röhren sind Teil der Sedimentfalle. Sie werden vor dem Aussetzen geöffnet, damit Partikel in die Röhren hineinfallen können. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Diese Röhren sind Teil der Sedimentfalle. Sie werden vor dem Aussetzen geöffnet, damit Partikel in die Röhren hineinfallen können. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Die Sedimentfalle wird für das Aussetzen vorbereitet. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Die Sedimentfalle wird für das Aussetzen vorbereitet. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Beim Aussetzen wird die relativ lange Konstruktion langsam ins Wasser gelassen. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Beim Aussetzen wird die relativ lange Konstruktion langsam ins Wasser gelassen. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Schließlich – und jetzt kommen wir zu den großen Brocken – haben wir zwei Geräte dabei, die es ermöglichen Sedimentproben vom Meeresboden zu nehmen. Das erste Problem hiermit ist, dass der Meeresboden 3 km unter uns liegt. Man braucht also ein entsprechend langes Windenseil, um den Boden überhaupt erreichen zu können. Dann müssen die Geräte – es handelt sich um einen Kastengreifer und um einen Ring mit mehreren Stechrohren – zudem sehr schwer sein, damit sie überhaupt in das relativ feste Tiefseesediment eindringen können. Das Aussetzen und Einholen dieser großen Geräte erfordert das ganze Können der Schiffscrew und ist eine der schwierigsten Aufgaben auf unserer Fahrt.

Im Hintergrund sieht man den Ring mit den Stechrohren. Es handelt sich um einen sogenannten Multi-Corer. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Im Hintergrund sieht man den Ring mit den Stechrohren. Es handelt sich um einen sogenannten Multi-Corer. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Alle Proben, die während der Fahrt mit den genannten Geräten genommen werden, werden nach unserer Rückkehr nach Kiel auf Mikroplastik untersucht. Dies kann nicht bereits an Bord geschehen, denn man benötigt Spektroskope, um die winzig kleinen Partikel sicher als Plastik identifizieren zu können. Die Schiffsexpedition ist daher nur der erste Teil dieses Projekts und wird gefolgt von einer aufwändigen Laboranalyse. Was wir aber schon machen können ist, zumindest einige Proben unter dem Mikroskop zu betrachten, um zu schauen, ob sie ‚verdächtige‘ Partikel enthalten.
Hier noch ein paar Rahmendaten zu unserer Fahrt. Die Expedition startete am 17. August im Hafen von Ponta Delgada auf den Azoren und endet am 12. September in Malaga, Spanien.

Die FS POSEIDON im Hafen von Ponta Delgada auf den Azoren. Foto: Mark Lenz/GEOMAR
Die FS POSEIDON im Hafen von Ponta Delgada auf den Azoren. Foto: Mark Lenz/GEOMAR

Während der Fahrt werden an insgesamt 9 Stationen Proben genommen. Ich werde in den nächsten Wochen regelmäßig auf Oceanblogs über den Verlauf der Fahrt und die Forschungsarbeiten im Atlantik berichten. Im nächsten Blog gegen Ende dieser Woche wird es unter anderem um das Arbeiten an Bord und um unsere ersten Eindrücke vom Probenmaterial gehen. Außerdem werde ich verraten, ob wir die Sedimentfallen wiedergefunden haben, die am 22. August ausgesetzt wurden. Ach ja, und ich berichte von nächtlichen Besuchern aus den Tiefen des Atlantiks.

Die aktuelle Position der FS POSEIDON kann man übrigens hier erfahren: https://www.sailwx.info/shiptrack/shipposition.phtml?call=DBKV.

Ein wöchentlicher Fahrtbericht in englischer Sprache findet sich auf den Seiten des GEOMAR.

2 thoughts on “Heute mal was anderes: Mikroplastik bei 33°N

  1. Its Good effort by GEOMAR Teams to find out transport and flux of MPs, and type of polymers from surface to Deep sea. These baseline results are significant to understand the microplastic pollution in global oceans and identify potential threats to deep sea biota.

  2. I have been informed from Erik regarding this interesting project. I am enthusiastic to follow the output and especially from microbiological side, if any novel microbes are there or not. I am novel microbes hunter and surely you will get something from the Atlantic ocean.

Schreibe einen Kommentar zu Appalanaidu Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert