Wissenschaft kennt keine Grenzen

Banner an der Zufahrt zum Helmholtz-Zentrum Dresden Rossendorf. Banner an der Zufahrt zum Helmholtz-Zentrum Dresden Rossendorf.

Ja, ich habe Vorurteile und denke in Stereotypen. Wie jeder Mensch. Ohne Generalisierungen kämen wir alle in einer hochkomplexen Welt nicht zurecht. Wir benötigen Verallgemeinerungen, um die vielen Informationen um uns herum irgendwie zu ordnen. Wichtig ist aber, sich dessen bewusst zu sein und die eigene Weltsicht immer wieder zu hinterfragen. Sonst werden wir engstirnig und schaden letztendlich uns und anderen.

Eines meiner Vorurteile war: Jeden Montag werden in Dresden Ausländer und Journalisten verbal – und manchmal auch physisch – attackiert. Wenn es an Montagen dort so aussieht, kann die Stadt an anderen Tagen ebenfalls kein angenehmer Ort sein. Diese Woche hatte ich Gelegenheit, dieses Vorurteil zu überprüfen. Denn ich war auf Dienstreise in Dresden.

Alle sechs Monate treffen sich die Online-Redakteure der Helmholtz-Gemeinschaft, um Erfahrungen auszutauschen und sich über neue technische, rechtliche und kreative Entwicklungen in der Welt des Internets auszutauschen. Gastegber des Herbsttreffen 2015 war das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR).

Da die Dresdener Altstadt während unseres Besuchs wieder Bühne für einen Pegida-Aufmarsch werden sollte, haben unsere Gastgeber schon im Vorfeld das geplante Abendprogramm in einen anderen Stadtteil verlegt. Fremdenfeindliche und offen rassistische Propaganda wie in der Woche zuvor wollten sie uns nicht antun.

Finsteres Dresden? Derzeit ist die Stadt leider vor allem wegen der ausländerfeindlichen Aufmärschen von Pegida in den Medien.

Finsteres Dresden? Derzeit ist die Stadt leider vor allem wegen der ausländerfeindlichen Aufmärschen von Pegida in den Medien.

Vor diesem Hintergrund bin ich zugegeben mit einem äußerst unguten Gefühl nach Dresden gefahren. Ich hätte es besser wissen sollen. Schließlich kenne ich die Aktion #Ich bin Dresden (https://www.facebook.com/hashtag/ichbindresden?source=feed_text&story_id=963940400343952), die zeigt, dass die zehn- bis zwanzigtausend Pegida-Unterstützer auch in Dresden in der Minderheit sind und eben nicht “das Volk” repräsentieren. Auch die wissenschaftlichen Einrichtungen wie die TU Dresden, das Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG, hier ein Link zur Facebook-Seite) oder eben das HZDR setzen sich schon lange für Weltoffenheit ein. Doch die wöchentlichen Fernsehbilder entfalten leider eine gewisse Macht.

Als ich mit einem GEOMAR-Kollegen am Sonntag in Dresden ankam, haben wir uns abends auf Sightseeing-Tour begeben. Frauenkirche, Schloss, Zwinger – wir folgten der typischen Touristenroute. Und anstatt Pegida-Spuren zu entdecken, fielen mir viele “Dresden ist weltoffen”-Plakate ins Auge, zum Beispiel an Museen und an der Semper-Oper. Während am Montagabend dann tatsächlich tausende Pegida-Anhänger die Altstadt nutzten, um für einen von dumpfer, unreflektierter Angst genährten nationalen Egoismus zu demonstrieren, erkundeten wir unter fachkundiger Führung die Dresdener Neustadt und trafen dabei Menschen, die mit der eingeschränkten Weltsicht der Pegida-Demonstranten bestimmt nichts am Hut haben. Es war gut mit eigenen Augen zu sehen, dass es ein anderes Dresden als das der Nachrichten gibt. Mein Dresden-Bild ist zum Glück wieder facettenreicher.

Zum Glück zeigt auch die Mehrheit in Dresden ihre Meinung - online und im Straßenbild (bitte Bild anklicken)

Zum Glück zeigt auch die Mehrheit in Dresden ihre Meinung – online und im Straßenbild (bitte Bild anklicken)

Trotzdem sollte man die montäglichen Vorgänge in der Dresdener Altstadt nicht verharmlosen. Auf dem Weg in die Neustadt haben wir sie gesehen, die aufmarschierenden Anhängerinnen und Anhänger von Pegida. Sie sind eine Minderheit, doch eine gefährliche. Immerhin handelt es sich um einige tausend Menschen, die lieber Mitmenschen opfern würden als ihr eigenes Wohlleben und die eigenen Vorurteile. Und sie kommen nicht nur aus Dresden und Umgebung, sondern aus dem gesamten Bundesgebiet (jedenfalls den mitgebrachten Flaggen und Plakaten nach zu urteilen).

Jetzt könnte man fragen, was dieses Thema im OceanNavigator-Blog zu suchen hat. Hier geht es doch um (Ozean-)Wissenschaftskommunikation. Ja. Genau darum geht es. Denn auch die Wissenschaft leidet unter Pegida. Die Kolleginnen und Kollegen aus Dresden berichteten beispielsweise, dass es immer schwieriger werde, exzellente Wissenschaftler aus dem Ausland zu rekrutieren. Klar: Eine Topwissenschaftlerin oder ein Topwissenschaftler wird es sich derzeit zweimal überlegen, ob sie oder er eine Stelle in Dresden annimmt, wenn gleichzeitig Angebote aus anderen Städten vorliegen. Wie gesagt, die Fernsehbilder der fremdenfeindlichen Demonstrationen sind mächtig.

Deshalb engagieren sich die wissenschaftlichen Einrichtungen in Dresden gegen Pegida. Und deshalb unterstützt auch die Helmholtz-Gemeinschaft dieses Engagement. Außerdem ist ein enges, sich selbst nicht hinterfragendes Weltbild wie jenes, das bei Pegida-Kundgebungen propagiert wird, grundsätzlich wissenschaftsfeindlich.  Wissenschaft muss offen sein, Fragen stellen, sich selbst kritisieren, diskutieren, um Neues zu entdecken. Wissenschaft kennt keine Grenzen. Das ist der Weg, der in die Zukunft führt. Angst, Vorurteile und Ausgrenzung führen höchstens in eine furchtbare Vergangenheit.

Jan Steffen