Navigators Wochenbericht: Klimageschichte im Schlamm

Durchweichte Handschuhe, schlammbeschmierte Arbeitskleidung: So kann Forschung auf See auch aussehen. Foto: J. Steffen, GEOMAR Durchweichte Handschuhe, schlammbeschmierte Arbeitskleidung: So kann Forschung auf See auch aussehen. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Der Himmel ist grau verhangen, daran ändert auch die steife Brise aus Südost nichts. Die Lufttemperatur liegt bei 3° C. Nicht gerade Traumbedingungen für eine Seefahrt. Vor allem, wenn man auf See im Schlamm wühlen will. Immerhin: Von oben kommt kein Wasser. Und als erfahrener Küstenbewohner habe ich mich mit entsprechend dicker Kleidung gewappnet. Also alles kein Problem. Ich freue mich am Montagmorgen einfach darüber, mal wieder an Bord gehen zu können. Eine schöne Abwechslung zu Schreibtisch und Computer. Eine Tagesfahrt mit der ALKOR in die Kieler Bucht steht an. Das Ziel ist der „Kieler See“ zwischen Kiel Leuchtturm, Bülk und Laboe. Wer jetzt einwendet, dort liege kein See, sondern nur DIE Ost-See, hat natürlich recht. Aber das war nicht immer so. Vor rund 8000 Jahren war die Ostsee viel kleiner als heute. Die Kieler Förde war ein trockenes Tal, das die Eismassen der jüngsten Eiszeit hinterlassen hatten. An seinem Ausgang lag ein Süßwassersee. Doch wann sich das Klima und die Umweltbedingungen hier wie genau geändert haben, wann die Ostsee diesen See genau überflutet hat, das wollen einige Kollegen aus der Forschungseinheit Paläo-Ozeanographie herausfinden. Dafür fahren sie heute mit der ALKOR raus.

Der Meeresboden ist das größte Klimaarchiv der Erde. Staub, Pflanzen, Tiere – alles, was sich im oder auf dem Meer befindet, sinkt irgendwann auf den Grund. Dort lagert sich das Material langsam, Schicht für Schicht, ab. Jede einzelne Schicht enthält Informationen über Umwelt- und Klimabedingungen der jeweiligen Epoche. Die Kunst ist nur, diese Schichten freizulegen und zu untersuchen.

An Land ist das relativ einfach. Dort kann man ein Loch graben und sich an dessen Wänden die Schichtung des Erdbodens ansehen. Oder im Gebirge Gesteinsschichten untersuchen, die im Laufe der Erdgeschichte von tektonischen Kräften freigelegt wurden.

Unter Wasser müssen Forscher anders vorgehen. Eine Methode sieht so aus: Man nehme ein Kunststoffrohr von etwa 10 Zentimeter Durchmesser, ein Metallrohr mit einem geringfügig größeren Durchmesser und ein schweres Metallgewicht. Dann schiebe man das Kunststoffrohr in das Metallrohr und setze die Gewichte ans obere Ende. Fertig ist das sogenannte Schwerelot. An einem Stahlseil lässt man es von einem Forschungsschiff aus in die Tiefe. Am Meeresboden angekommen, drücken die Gewichte die Rohre in das Sediment. Jetzt hievt die Winde des Forschungsschiffs das Lot inklusive der darin gefangenen Sedimente wieder an Bord.

Doch halt. Warum rutschen die Sedimente am unteren Ende nicht wieder aus dem Rohr heraus? Dafür ist ein sogenannter Kernfänger verantwortlich. Das ist eine auf das untere Ende gesetzte Metallhülse, an der innen viele nach oben gerichtete Metalllamellen befestigt sind. Dringt das Lot ins Sediment ein, geben sie den Weg frei. Wird von oben an dem gefüllten Lot gezogen, versperren sie den Weg. Einfach und effektiv.

Die weiteren Arbeitsschritte hier in Bildern:

Der Sedimentkern wird zu Wasser gelassen und zum Meeresboden abgeviert. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Der Sedimentkern wird zu Wasser gelassen und zum Meeresboden abgefiert. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Mit Sediment gefüllt wird er wieder an Bord geholt. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Mit Sediment gefüllt wird er wieder an Bord geholt. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Der Kernfänger am unteren Ende wird entfernt. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Der Kernfänger am unteren Ende wird entfernt. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Das Kunststoffrohr wird  aus dem Schwerelot herausgezogen und...

Das Kunststoffrohr wird aus dem Schwerelot herausgezogen und…

... zu bereit stehenden Böcken getragen. Fotos: J. Steffen, GEOMAR.

… zu bereit stehenden Böcken getragen. Fotos: J. Steffen, GEOMAR.

Auf dem Achterdeck erfolgt die weitere Verarbeitung des fünf Meter langen Kerns. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Auf dem Achterdeck erfolgt die weitere Verarbeitung des fünf Meter langen Kerns. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Hier wird er beschriftet...

Hier wird er beschriftet…

... und schließlich in handliche ein-Meter-Stücke zerschnitten. Fotos: J. Steffen, GEOMAR

… und schließlich in handliche ein-Meter-Stücke zerschnitten. Fotos: J. Steffen, GEOMAR

Diese einzelnen Sektionen werden im Nasslabor der ALKOR noch genauer beschriftet und luftdicht verklebt. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Diese einzelnen Sektionen werden im Nasslabor der ALKOR noch genauer beschriftet und luftdicht verklebt. Foto: J. Steffen, GEOMAR

In Holzkisten verpackt können die Proben schließlich ins Labor an Land transportiert werden, wo die genauen Analysen folgen. Foto: J. Steffen, GEOMAR

In Holzkisten verpackt können die Proben schließlich ins Labor an Land transportiert werden, wo die genauen Analysen folgen. Foto: J. Steffen, GEOMAR

Die Methode ist ein Standardverfahren für geologische und paläo-ozeanographische Forschungen am Meeresboden. Sie wird in der Ostsee von der ALKOR aus genauso durchgeführt wie im Pazifik von großen Forschungsschiffen wie der SONNE oder in polaren Gewässern von der POLARSTERN aus. In der Ostsee dauert es zum Glück nur wenige Minuten, bis ein Kern vom Meeresboden geborgen ist. In den Ozeanen bei mehreren tausend Metern Wassertiefe kann es durchaus ein, zwei Stunden dauern, bis ein einzelner Kern wieder an Deck ist. Wenn man also irgendwann in wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder in den Medien hört oder liest “Diese Studie beruht auf der Untersuchung von Sedimentkernen…”, dann sind diese Kerne höchstwahrscheinlich wie hier beschrieben gewonnen worden.

Was die Bilder auch ganz gut zeigen: Bis die Proben wirklich im Labor sind, kann Meeresgeologie dreckige Schwerarbeit sein. Aber sie bringt Spaß! Auch wenn das Wetter besser sein könnte als an diesem Montag 🙂

Die wissenschaftliche Feinarbeit folgt natürlich in den Laboren an Land. Dort können die Kerne durchleutet, exakt vermessen, beprobt und mikroskopisch untersucht werden. Die Kolleginnen und Kollegen werden die Kalkschalen fossiler Kleinorganismen herausfiltern, datieren, die Arten bestimmen und die Überreste weiter analysieren. Das geht hin bis zu den Messungen bestimmter Isotopenverhältnisse in Massenspektrometern, die zum Beispiel etwas über die einstige chemische Zusammensetzung des Wassers, über Wassertemperaturen oder damalige Strömungsverhältnisse aussagen.

Doch so weit sind die Kerne aus dem “Kieler See” noch nicht. Wir werden das Thema aber weiter verfolgen. In der kommenden Woche berichten wir beispielsweise auf www.geomar.de über eine andere Art von Klimaarchiv. In diesem Zusammenhang werden wir hier einige der Analysemethoden, die in den Laboren zur Anwendung kommen, erklären.

Bis dahin ein schönes Wochenende,

Jan Steffen

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