Von Malizia und Mikroplastik: Meereswissenschaftler und Profisegler machen gemeinsame Sache

Boris Hermann und Dr. Toste Tanhua erklären während der Kinderuni im Dezember, wie Wissenschaft und Segelsport zusammenpassen. Boris Hermann und Dr. Toste Tanhua erklären während der Kinderuni im Dezember, wie Wissenschaft und Segelsport zusammenpassen.

Es ist Mittwochnachmittag und vor dem Audimax der CAU sieht alles nach gewöhnlichem Universitätsalltag aus. Kaum öffne ich jedoch die Türen des großen Hörsaals, ändert sich der Eindruck und mir schlägt aufgeregtes Stimmengewirr entgegen. Ich suche mir einen Platz und warte gespannt darauf, dass Johanna Krüger, Mitarbeiterin der Kieler Forschungswerkstatt, die ersten Worte an die junge Zuhörerschaft richtet. „Die alten Hasen unter euch wissen, wie wir hier in der Uni applaudieren, oder?“, schafft sie gerade noch zu fragen, bevor lautes Klopfen von den Tischen widerhallt. Spätestens als danach die Lotsen die Bühne betreten, um den Vortragenden einige Fragen stellen, sollte auch dem letzten, möglicherweise verirrten Zuhörer klar sein, dass er in der Kinderuni gelandet ist. Da es sich um die letzte Veranstaltung vor Weihnachten handelt, dürfen auch die Eltern in den Reihen des größten Hörsaals der Kieler Christian-Albrechts-Universität platznehmen und dem Vortrag lauschen, in dem es heute um „Malizia“, Klimawandel und Mikroplastik geht. Von Malizia, der Rennyacht von Boris Herrmann, und auch von den kleinen Plastikteilchen haben schon viele etwas gehört. Aber was haben diese, auf den ersten Blick so unterschiedlichen Themen gemeinsam? Eine Frage, die Meereswissenschaftler Toste Tanhua, Biogeochemiker am GEOMAR in Kiel, und Profisegler Boris Herrmann in der Kinderuni am 12. Dezember beantwortet haben.

„Das Volvo Ocean Race 2018 war Anlass für ein besonderes Projekt“, beginnen die beiden Vortragenden. Bei der als besonders schwierig eingestuften Regatta ging die Yacht „Turn the Tide on Plastic“ an den Start und lieferte sich unter Skipperin Dee Caffari gegen sechs andere Teams ein spannendes Rennen um die Welt. Doch der Rennsegler unterschied sich von den Yachten der Konkurrenten in einem entscheidenden Detail: Ausgestattet mit Sensoren und speziell angefertigten Messgeräten wurden über das gesamte Rennen CO2-Gehalt, Salinität und Temperatur des Wassers gemessen. Mithilfe von Proben des Oberflächenwassers wurde zudem der Mikroplastikgehalt auch an den entlegensten Orten bestimmt, mit erschreckenden Ergebnissen. Toste Tanhua wertete die Daten wissenschaftlich aus. Angeschoben und finanziert wurde das ungewöhnliche Projekt vom Exzellenzcluster „Future Ocean“.

„Point Nemo, habt ihr davon schon einmal gehört?“, fragt der Meereswissenschaftler und vereinzelt sind zustimmende Antworten aus dem Publikum zu hören. „Mit dem Zeichentrickfisch hat dieser Ort nichts zu tun“, lacht Toste, wird aber gleich wieder ernst. „Der Point Nemo ist der Ort, der am weitesten von jedem Kontinent im Pazifik entfernt ist. Und sogar dort haben wir Proben genommen, in denen Mikroplastik gefunden wurde“. Einige Kinder in der Reihe neben mir schauen sich betroffen an und hinter mir wird getuschelt, denn eins ist auch den kleinsten Besuchern klar: Das Plastik in den Weltmeeren ist ein ernstzunehmendes Problem. „Plastikmüll an Stränden ist nur die Spitze des Eisbergs“, erklärt Boris Herrmann weiter. Meeresströmungen befördern den Müll auch an wenig besiedelte Orte und die Kunststoffgegenstände zerfallen bei ihrer Reise durch den Ozean in immer kleinere Fragmente. „Von den Proben, die während der Weltumsegelung beim Volvo Ocean Race gesammelt wurden, waren nur sehr wenige frei von Plastikpartikeln“, berichtet das Duo auf der Bühne und veranschaulicht die wissenschaftlichen Ergebnisse anhand einer Weltkarte. Dabei erklärt Toste Tanhua, dass der gewonnene Datensatz trotz der erschreckenden Ergebnisse von größter wissenschaftlicher Bedeutung sei. „Zum ersten Mal wurden Proben in allen Meeren mit demselben Gerät und von derselben Mannschaft erhoben, das ist etwas Besonderes“. Der Wissenschaftler hat bereits mit der Veröffentlichung der Daten in wissenschaftlichen Zeitschriften begonnen, sodass nun Zeit für ein neues Projekt ist, denn das Volvo Ocean Race findet lediglich in einem dreijährigen Turnus statt. Großes Glück für Boris Herrmann, der Anfang des Jahres einen Vortrag von Toste besucht hat und den Kieler Meereswissenschaftler kennenlernte.

Ein besonders wichtiger Aspekt des Klimawandels liegt für Boris Herrmann in der Ozeanversauerung, hervorgerufen durch stetig steigende CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre. Als Profisegler, der viele Tage auf dem Ozean verbringt und sich diesem natürlicherweise verbunden fühlt, hat Boris die Chance erkannt und gemeinsam mit seinem Team und Toste Tanhua ein neues Projekt begonnen. Mit seiner Yacht Malizia hat Herrmann bereits bei der diesjährigen „Route du Rhum“ erste CO2-Messwerte mithilfe eines eigens dafür eingebauten Geräts gesammelt und ist gleichzeitig Fünfter geworden – die bisher beste Platzierung, die ein deutscher Starter bei dieser Regatta erreichen konnte. Lautes Klopfen hallt nicht zum ersten Mal am heutigen Nachmittag durch den Hörsaal, als Toste von Boris Platzierung erzählt. Kinder wie Eltern lauschen gespannt, als der Segler von der Astronautennahrung spricht, die er während der Regatten zu sich nimmt und in spektakulären Videos zeigt, mit welcher Geschwindigkeit Malizia während der Hochseerennen durch das Wasser gleitet. „Wir messen während der Rennen den CO2-Gehalt des Oberflächenwassers. Die steigenden Werte sind das, was wir als Ozeanversauerung bezeichnen“, erklärt der Segler. „Das ist vielleicht etwas schwieriger zu verstehen als Plastikpartikel im Meer, aber mindestens genauso wichtig“. Gemeinsam erklärt das Duo aus Profisegler und Wissenschaftler was Ozeanversauerung für kalkschalige Lebewesen bedeutet und wie der Klimawandel in der Erdatmosphäre mit dem Ozean und seiner Funktion als Puffer zusammenhängt.

Die nächste Regatta, die ihn um den Globus führt, steht für Boris Herrmann, seine Malizia und das neu verbaute CO2-Messgerät mit dem Vendée Globe, einem Einhandrennen, bereits in 2020 auf dem Terminkalender. Bei der Regatta wird der Segler in etwa drei Monaten die Welt umrunden und dabei Daten sammeln, die daraufhin in Kiel ausgewertet werden. Mit Fragen, Fotos und einem mitgebrachten CO2-Messgerät bringen Toste, der in seiner Freizeit ebenfalls segelt, und Boris den gebannt lauschenden und aufgeregt mitmachenden Kindern die Zusammenhänge zwischen Wissenschaft und Regatten näher. Sie veranschaulichen die Messwerte, sorgen mit spannenden Videos für glänzende Augen und diskutieren die Gründe für und Folgen vom Klimawandel. Außerdem berichtet Boris von der „My Ocean Challenge“, einem eigens vom Team der Malizia entworfenen Programm, in dem Kindern an den unterschiedlichsten Orten der Ozean, seine Relevanz im Klimawandel und die Datenerhebung mit einer Rennyacht nähergebracht wird. Auch ich bin gefesselt von dieser spannenden Symbiose aus Sport und Wissenschaft und würde am liebsten sofort den nächsten Segelkurs belegen, wäre da nicht die anstehende Masterarbeit. So muss ich mich zumindest vorerst damit begnügen, die weitere Forschung von Toste Tanhua und Boris Herrmann zu verfolgen und gespannt auf neue Videos von der nächsten Regatta zu warten.

Und wer den Vortrag verpasst hat, kann sich den hier nochmal anhören und anschauen.

http://videoserver3.rz.uni-kiel.de/futureocean/kinderwise18/OdZ_121218.mp4

Und wer sich für weitere Vorträge der Kinderuni interessiert, kann hier nach Herzenslust in den verschiedenen Themen stöbern.

https://www.futureocean.org/de/schulprogramme/kinder-_und-schueleruni.php

Hier sind noch ein paar Links für weitere Infos:

https://www.volvooceanrace.com/en/home.html

https://www.futureocean.org/de/

Silja Blechschmidt, Studentin der Biologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und wissenschaftliche Hilfskraft im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“