Die weiße Pracht aus der Tiefsee

Von Silke Glogowski und Jonas von Reumont

Fischer und Wissenschaftler wissen seit mindestens drei Jahrhunderten, dass Korallen auch in den kalten und dunklen Bereichen der Meere existieren. Der norwegische Bischof Erich Pontopiddan (1698 – 1764) beschrieb schon früh die von Fischern entdeckten Kaltwasserkorallen als “Meeresgemüse” und glaubte an Medizin aus diesen Korallen. Er beschrieb und zeichnete 1755 als erster eine schneeweiße Art, deren Polypen sich üppig wie eine Blüte entfalten. Carl von Linné gab der Art, die nicht nur in weißer Farbe, sondern auch in Gelb-, Orange- und Rosatönen vorkommt, 1758 ihren Namen Madrepora pertusa (=Lophelia pertusa). Zahlreiche Funde während der britischen Challenger-Expedition zur Erforschung der Tiefsee (1872-1878) ließen früh erahnen, dass Lophelia pertusa rund um den Globus vertreten ist.

Dunkel, kalt und nährstoffreich

Inzwischen haben Wissenschaftler Lophelia pertusa in fast allen Ozeanbecken gefunden. Anders als die tropischen Korallen findet man Sie sogar in den hohen Breiten, etwa vor Nord-Norwegen oder weit südlich von Neuseeland. Auch im Golf von Cádiz und vor Mauretanien vor NW-Afrika haben Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel  Lophelia pertusa entdeckt und untersucht. In der Region des Agadir Canyons sind wir nun erneut auf der Suche nach bisher unentdeckten Kaltwasserprovinzen. Im Golf von Cádiz und vor Mauretanien befinden sich die Korallen zwischen 500 und 900 Metern Wassertiefe. In diese Tiefen dringt kein Tageslicht. Anders als die meisten bekannten tropischen Korallen besitzen Kaltwasserkorallen keine Zooxanthellen als Symbionten, die sie mittels Photosynthese in ihrer Ernährung unterstützen könnten. Sie filtern Plankton und andere Nährstoffe aus dem Wasser und gedeihen daher besonders gut in Regionen in denen starke Strömungen große Futtermengen herbei transportieren. Mit Wassertemperaturen zwischen 4 und fast 14 Grad Celsius ist die Toleranzspanne von Lophelia pertusa zwar relativ weit, überwiegend trifft man sie aber zwischen 6 bis 8 Grad an.

Ist da wer? Wenn ja, warum?

In der bisher wenig erkundeten Region des Agadir-Canyons wollen wir die kontrollierenden Faktoren zur Formation von Kaltwasser-Korallen untersuchen. Diese Arbeiten stellen ein wichtiges Bindeglied zwischen den bereits genannten Provinzen im Golf von Cádiz und vor Mauretanien dar. Ein anderer Aspekt der Arbeiten ist die Untersuchung der Kaltwasser-Kolonien auf mögliche Zerstörung durch Schleppnetzfischerei. Schleppnetze sind ein großes Problem, denn Kaltwasserriffe sind ein wichtiger Lebensraum und „Kindergarten“ für viele Fischarten und bedürfen eines besonderen Schutzes.

Im Rahmen vorausgegangener Ausfahrten konnten vereinzelt hügelartige Strukturen in einer Tiefe von etwa 700 Metern identifiziert werden. Die größten dieser Hügel sind bis zu 500 Meter breit, 20 Meter hoch und bieten durch ihre Exponiertheit potentiell gute Bedingungen für Kaltwasser-Korallen. Unsere Arbeit umfasst die Suche nach entsprechenden Strukturen unter Zuhilfenahme seismischer und hydroakustischer Systeme, die Bergung von Bodenproben und die Erfassung der regionalen Hydrographie, der physikalischen und chemischen Beschaffenheit und Veränderlichkeit der umgebenden Wassermassen. Hierdurch ist sie ein schönes Beispiel für interdisziplinäre wissenschaftliche Praxis.

Viele Hügel und ein erster Erfolg!

Am 2. Oktober lieferten das bordeigene Multibeam und Parasound (Systeme zur Kartierung der Meeresbodenoberfläche und zur Darstellung oberflächennaher Strukturen im Untergrund) Informationen über ein überraschend weitläufiges Hügelfeld in etwa 700 Metern Wassertiefe im nördlichen Bereich des Agadir Canyon Systems. Könnte es sich um besiedelte Strukturen handeln? Hoffnung und auch ein wenig Begeisterung über den Fund machten sich breit.

 

Abb_2Agadir Canyon und ein neu entdecktest Hügelfeld

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Großkastengreifer

Schnell konnten wir uns auf einen Hügel für die Probenahme einigen und der Brücke das nächste Reiseziel mitteilen. Während des Transits wurde der Großkastengreifer (GKG) für den Einsatz vorbereitet. Dieses Gerät „stanzt“ einen großen Quader (50x50x60cm) aus dem Meeresboden und ermöglicht die Beprobung der ungestörten Oberfläche und Sedimente darunter. Nach der Positionierung des Schiffes wurde der GKG zu Wasser gelassen und auf die Reise in 700 Metern Tiefe geschickt. Nach dem Bodenkontakt, während des Hievens, stieg die Spannung mit jedem Meter Stahlseil, den die Winde zurück auf die Trommel spulte. Dann eine kleine Sensation! Der Kasten des Greifers war voll und unten am Verschluss lugten abgescherte Korallenfragmente hervor. Ohne einen Blick auf den tatsächlichen Inhalt des Kastens geworfen zu haben, war klar: Der erste Einsatz ist eine Punktlandung, was für ein Erfolg! Nachdem das Gerät zurück an Deck und gelascht war, konnten wir den Kasten öffnen. Wunderschöne und vor allem auch lebende Exemplare von Lophelia pertusa lagen auf dem kleinen Ausschnitt des Meeresbodens, der jetzt vor uns stand.

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Kaltwasserkorallen im GKG

Nun galt es, die hydrographische Umwelt zu erfassen in der Lophelia pertusa am Ort der Probenahme existieren kann. Was braucht die Koralle zum Leben? Hier kommt uns ein Multitalent zu Hilfe. Die CTD-Sonde misst simultan Parameter wie die Temperatur, die Dichte, den Salz- und den Sauerstoffgehalt des Wassers. Eine die Sonde umgebende, kranzförmige Anordnung von Wasserschöpfern ermöglicht zusätzlich die Entnahme von Wasserproben in definierten Tiefen. Im Labor können die Wasserproben später mit Hinblick auf Nährstoffe, Kohlenstoff und bestimmte Isotope untersucht werden. Der Einsatz der CTD bildete den Abschluss eines überaus erfolgreichen Arbeitstages. Das Programm wird fortgesetzt…

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CTD-Rosette

Die CTD-Sonde misst simultan Parameter wie die Temperatur, die Dichte, den Salz- und den Sauerstoffgehalt des Wassers. Eine die Sonde umgebende, kranzförmige Anordnung von Wasserschöpfern ermöglicht zusätzlich die Entnahme von Wasserproben in definierten Tiefen.