FS Sonne, 18. Januar 2015, 19° 27.06′ N 64° 11.82′ W

Der Epibenthosschlitten (EBS) am Meeresgrund / The Epibenthic Sledge (EBS) at the bottom of the sea. ©Nele Heitland Der Epibenthosschlitten (EBS) am Meeresgrund / The Epibenthic Sledge (EBS) at the bottom of the sea. ©Nele Heitland

Schönheiten aus der Tiefsee

Die meisten Leute denken in der Tiefsee sei nix los. Es ist dunkel und kalt und es gibt nicht viel Futter. Hier erwartet man keine große Vielfalt an aufregenden Lebewesen und die Tiere, die sich dort angesiedelt haben, werden auch selten als atemberaubend und wunderschön beschrieben, sondern eher als unscheinbar bis irgendwie skurril: monstermäßige Fische mit langen spitzen Zähnen, ne Menge Würmer und Asseln die zumeist nur im Boden rumkriechen und Seegurken, die sich wie fette, stachelige Würstchen im Zeitlupentempo über den Boden wälzen. Die meisten Tiere sind farblos und blind und glänzen nicht mit besonders aufregenden Verhaltensweisen. Auf diesem Schiff habe ich jemanden getroffen, der die Tiere der Tiefsee als Waisenkinder der Evolution bezeichnet hat und so mögen sie einem auf den ersten Blick vielleicht vorkommen. Aber ich finde sie werden damit gnadenlos unterschätzt. Ganz ehrlich, im Regenwald überleben kann doch jeder! Es ist warm, es ist sonnig, Essen und Getränken fallen quasi vom Himmel und die einzige Kunst besteht darin sich bei dem ganzen Getummel nicht gegenseitig auf die Füße zu treten. Da ist man ja geradezu gezwungen sich ein farbenprächtiges Federkleid oder ein wunderschön gemustertes Fell zuzulegen und aufwändige Balztänze zu erlernen, um überhaupt noch aufzufallen. Die reichen dann auch mal für ein Titelblatt im Geokalender oder einen Auftritt in einer BBC Doku oder sogar um auf T-Shirts fürs Tierpark Merchandising gedruckt zu werden. Zebra-T-Shirts, Tiger-T-Shirts, Papageien-T-Shirts werden einem an jeder Ecke nachgeschmissen… aber als hier letztens auf dem Schiff jemand berichtet hat, dass er für seinen Neffen ein T-Shirt mit einem Anglerfisch drauf gekauft hat, war das Erstaunen riesengroß, wo man denn sowas kriegen kann, denn der Markt an Kindern deren Lieblingstier kein Delfin sondern ein Anglerfisch ist, ist der T-Shirt Industrie vermutlich zu klein.

Ich finde, dagegen muss man was tun und Expeditionen wie diese hier sind der Grundstein um die Tiere der Tiefsee etwas bekannter zu machen und die Aufmerksamkeit auf ihre faszinierenden Eigenschaften und ihre vielleicht manchmal etwas eigenwillige Schönheit zu lenken. Die meisten Tiere, die wir mit unseren Geräten an Bord holen, sind für das bloße Auge kaum zu erkennen und können nur durch das Bino entdeckt und bestaunt werden. Aber gerade mit dem EBS (Epibenthosschlitten) werden auch viele der größeren Tiere, die in und auf dem Sediment leben, mit an die Oberfläche gebracht. Beim Waschen und Sortieren der Proben fallen uns dann immer wieder kleine Schätze in die Hände, wie stachlige Seesterne oder geschwungene Schlangensterne, filigrane Ruderfußkrebse oder hübsch geformte Muschelschalen. Diese Tiere werden mit Pinzetten direkt am Siebtisch auf Eis gepackt um sie dann zu fotografieren, bevor sie an die Biochemie oder Genetik weitergegeben werden. Allein schon auf diesen Fotos kann man ohne Mikroskop so viele wunderschöne Details mit bloßem Auge erkennen, die einem bewusst machen, dass selbst in der kargen Tiefsee die Evolution eine atemberaubende Vielfalt an einzigartigen Lebewesen geschaffen hat, die mindestens genau so schön sind, wie ihre Verwandten an Land und das obwohl sie sich noch nicht mal gegenseitig sehen können. Ein Glück, dass wir als Forscher mit unserer Arbeit dazu beitragen können, die Schönheit der Tiefsee an die Oberfläche zu bringen und zu zeigen, welche Wunder die Evolution selbst an den scheinbar lebensfeindlichsten Orten noch hervorbringen kann.

Nele Heitland, Masterstudentin Biologie, Uni Hamburg


[English]

Beauties from the deep sea

Most people think that there is not much going on in the deep sea. It’s dark and cold and there’s not much food. Here one expects no great variety of exciting creatures and animals that have settled there are also rarely described as breathtaking and beautiful, but rather as inconspicuous to somehow bizarre: monster even fish with long, sharp teeth, a lot of worms and isopods mostly digging in the soil and sea cucumbers looking like fat, prickly hot dogs rolling across the ground in slow motion. Most animals are colorless and blind and do not shine with particularly exciting behaviors. On this ship, I met someone who has called the animals of the deep sea the orphans of evolution and so they may appear at first sight. But I think they are massively underrated. Honestly, everybody can survive in the rainforest! It’s warm, it’s sunny, food and beverages seem to fall from heaven, and the only trick is not to step on each other’s toes at all the hubbub. No surprise that animals evolve a colorful plumage or a beautifully patterned coat and elaborate courtship dances to gain at least some attention amongst all the others. That is sufficient sometimes to be portrayed on the title of a Geo-Calender or to get a performance in a BBC documentary or to even be printed on T-shirts for zoo merchandising. Zebra t-Shirts, Tiger t-Shirts, Parrot t-shirts can be found at every corner … but as lately someone reported on the ship that she bought a t-shirt with a frogfish for his nephew, the surprise was huge, where you can get something like that, because children whose favorite animal is not a dolphin but a frogfish are rare and probably too few for the t-shirt industry.

I think, it’s unfair and we have to do something about it. That is why these expeditions are so important to finally draw attention to the fascinating properties and maybe sometimes a little unconventional beauty of the animals of the deep sea. Most of the animals that we bring on board with our gear are very tiny and can only be discovered with the help of the binocular. But especially with the EBS (epibenthic sledge) we can also salvage many of the larger animals that live in and on the sediment. When washing and sorting the samples one can find little treasures now and then such as spiny starfish or curved brittle stars, filigree copepods or pretty shaped shells. These animals are picked with forceps directly on ice in order to take pictures before they are passed to the biochemistry or genetics. Just in these photos you can see without a microscope so many beautiful details which make you aware that even in the barren deep sea evolution has created a breathtaking variety of unique creatures that are at least as beautiful as their relatives on land even though they cannot even see each other. Luckily, we as researchers can contribute with our work to bring the beauty of the deep sea to the surface and to show the wonders that evolution creates even in the seemingly most hostile places.

Nele Heitland, Masterstudent Biology, Uni Hamburg

Copepode (Ruderfußkrebs) aus der EBS-Probe / Copepod from the EBS sample. ©Ulrike Minzlaff

Copepode (Ruderfußkrebs) aus der EBS-Probe / Copepod from the EBS sample. ©Ulrike Minzlaff

Zeichnung von See- und Schlangenstern aus der EBS-Probe / Drawing of a starfish and brittle star from the EBS sample. ©Nele Heitland

Zeichnung von See- und Schlangenstern aus der EBS-Probe / Drawing of a starfish and brittle star from the EBS sample. ©Nele Heitland

Pteropode (Flügelschnecke) aus der EBS-Probe / Pteropod (Winged snail) from the EBS sample. ©Ulrike Minzlaff

Pteropode (Flügelschnecke) aus der EBS-Probe / Pteropod (Winged snail) from the EBS sample. ©Ulrike Minzlaff

2 thoughts on “FS Sonne, 18. Januar 2015, 19° 27.06′ N 64° 11.82′ W

  1. Jetzt sehe ich es auch, dass so ein Ruderfußkrebs mit diesem “Fächer” von Füßen ( bitte um Entschuldigung für meine völlig unwissenschaftliche Ausdrucksweise) eine wirkliche Schönheit ist. Die Zeichnungen erzählen viel mehr von der Schönheit der Seesterne, als ein Foto es je könnte ( stell sie dir mal als Stoffdruck vor). Das Lesen dieses Beitrags war ein Genuss, weil er mich als Nichtwissenschaftlerin nicht nur gut unterhalten, sondern mir eine Brücke in Eure Welt geschlagen hat. Du hast uns die Schönheit der Schöpfung mit deinen Augen sehen lassen und aus kleinem Krabbeletwas aus dem Schlamm wurden für mich Kostbarkeiten. Vielen Dank!

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