Wie gefährlich ist Mikroplastik für Miesmuscheln?

Ist Mikroplastik eigentlich eine Gefahr für Meerestiere? Obwohl sich Vertreter und Vertreterinnen der Wissenschaft, der Politik, des Naturschutzes, von Behörden und wahrscheinlich auch alle anderen Menschen darüber einig sind, dass Mikroplastik – egal in welcher Menge – nicht in die Umwelt gehört, steht immer noch die Frage im Raum, wie schädlich die Mikropartikel für Lebewesen eigentlich sind. Für andere Arten von Plastikmüll und für bestimmte Organismengruppen gibt es eindeutige Belege dafür, dass das Material sie schädigt oder sogar tötet. Ein bekanntes Beispiel sind Seevögel, von denen man weiß, dass sie sich in Netzresten verfangen oder ihre Jungen mit Müllteilen füttern. Aber wie steht es eigentlich mit Mikroplastik? Schädigt es Tiere im Meer oder ist es nur eine weitere, neue Form von kleinen Schwebeteilchen, von denen im Seewasser auch natürlicherweise mancherorts sehr viele vorkommen. Diese Frage ist zentral, wenn es beispielsweise um politische Entscheidungen zum Verbot von Mikroplastik in bestimmten Produkten geht. Sie kann leider bislang nicht eindeutig beantwortet werden.

Viele Seevögel sind von Plastik im Meer betroffen. Diese Basstölpel auf dem Helgoländer Felsen verwenden sogenannte Dolly Ropes (Scheuerfäden), die Grundschleppnetze vor der Berührung mit dem Meeresboden schützen, zum Nestbau. Leider verfangen sich auch viele Tiere in diesen Fäden und verenden dann. Foto: Mark Lenz

Mikroplastik kommt bereits quasi überall im Meer vor und wir wissen von einer Vielzahl von Organismen, dass sie die Partikel aus ihrer Umwelt aufnehmen. Es gibt allerdings keine Feldstudien, die belegen, dass diese Aufnahme die Tiere auch schädigt. Solche Studien wären sehr schwierig durchzuführen, da man die Menge an Mikroplastik, denen die Tiere ausgesetzt sind, sehr genau kontrollieren muss. Dies ist nötig, um später einen beobachteten Effekt mit einer bekannten Mikroplastikbelastung in Verbindung bringen zu können. Außerdem wollen auch Forschende das Meer nicht mit Mikroplastik kontaminieren. Daher können nur Laborversuche uns weiterhelfen, die Effekte von Mikroplastik zu verstehen. In ihnen werden Tiere unter kontrollierten Bedingungen und über einen bestimmten Zeitraum hinweg Mikroplastik ausgesetzt.

Die Ergebnisse dieser Studien, von denen in den letzten Jahren sehr viele durchgeführt wurden, sind sehr unterschiedlich. In einigen wurden negative Auswirkungen von Mikroplastik dokumentiert, während in anderen keine solchen Befunde auftraten. Alle diese Studien haben allerdings eine Reihe von Schwächen, die in der Natur der Sache begründet liegen. Das Nachstellen der natürlichen Verschmutzungssituation im Labor ist nämlich ein quasi unmögliches Unterfangen.

Angespültes Mikroplastik am Strand von Haifa, Israel. Mikroplastik im Meer ist eine bunte Mischung aus Partikeln unterschiedlicher Größe, Form, Farbe und Polymerbeschaffenheit. Foto: Lukas Novaes Tump

Während Mikroplastik im Meerwasser in eher geringen Mengen vorkommt, dabei aber aus einer Vielzahl verschieden großer, divers geformter und chemisch unterschiedlicher Partikel besteht und von Tieren oft über einen langen Zeitraum aufgenommen werden, sehen Laborversuche aufgrund technischer und logistischer Beschränkungen meist ganz anders aus. Sie decken oft nur einen Zeitraum von wenigen Tagen bis wenigen Wochen ab, verwenden nur eine Art von Mikroplastik und applizieren dieses dann oft in sehr hohen Konzentrationen. Die Übertragbarkeit, der in diesen Versuchen gewonnenen Ergebnisse, auf die Umwelt ist daher oft eingeschränkt.       

Thea Hamm hat in ihrer Doktorarbeit am GEOMAR ebenfalls ein solches Experiment realisiert, und dabei versucht einiges anders zu machen. Herausgekommen ist ein Versuch zum Einfluss von Mikroplastik auf Miesmuscheln, der in seinem Umfang bislang einzigartig ist. Im vergangenen Monat hat sie ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift Science of the Total Environment veröffentlicht. Der Artikel kann hier heruntergeladen werden: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969721011554

Miesmuscheln sind eine für viele Küstenmeere sehr wichtige Tiergruppe. Sie säubern das Wasser, stabilisieren Sedimente, bilden Riffe, die einen Lebensraum für viele andere Organismen darstellen, und sind eine Nahrungsquelle für zahlreiche Tiere und auch für den Menschen. Wenn Mikroplastik sie schädigt, sollten wir das unbedingt wissen. Daher hat Thea sich in ihrer Arbeit auf Miesmuscheln konzentriert, von denen in der Kieler Förde zwei Arten, nämlich Mytilus edulis und Mytilus trossulus, in großer Zahl vorkommen. Aus drei Gründen hat sie sich dabei dafür entschieden mit sehr kleinen Exemplaren zu arbeiten, die zu Versuchsbeginn weniger als zwei Jahre alt waren. Juvenile Muscheln sind bisher nur wenig hinsichtlich ihrer Empfindlichkeit gegenüber Mikroplastik untersucht worden. Dabei könnte es sein, dass sie empfindlicher auf diesen Stressor reagieren als größere Artgenossen. Außerdem lässt sich bei ihnen leichter das Wachstum messen und sie brauchen auch weniger Platz im Labor. Letzteres ermöglicht es mit vielen Messwiederholungen zu arbeiten, was die Aussagekraft von Experimenten entscheidend erhöht.  

Miesmuscheln finden sich an vielen Küsten weltweit. Sie kommen oft in großer Zahl vor und erfüllen viele wichtige Ökosystemfunktionen. Sie können Felsen besiedeln, wie auf diesem Bild aus der Bretagne, oder auf Sandböden große Riffe bilden. Foto: Mark Lenz
Die Muscheln in Theas Versuch waren weniger als zwei Jahre alt und dementsprechend nur wenige Zentimeter groß. Muscheln dieser Größe kriechen noch viel herum und benutzen hierfür ihren Muskelfuß, den man auf diesem Bild deutlich erkennt. Foto: Thea Hamm

In ihrem Experiment hat Thea Gruppen von Muscheln im Labor unterschiedlichen Mikroplastikkonzentrationen ausgesetzt, von denen einige so niedrig waren (z.B. 15 Partikel/Liter Meerwasser), dass sie den Konzentrationen von Mikroplastik entsprechen, die zurzeit in Seewasserproben gefunden werden. Vielleicht das Entscheidendste war jedoch, dass Thea die Tiere über einen langen Zeitraum unter diesen Bedingungen hälterte. Ihr Versuch dauerte 42 Wochen und ist damit der längste der bislang überhaupt zu diesem Thema durchgeführt wurde.

Nur bei sehr hohen Partikelkonzentrationen ist eine Trübung des Wassers durch das Mikroplastik erkennbar. Dies ist eine Stammsuspension, aus der Thea kleinere Volumina abgenommen hat, um die Mikroplastikkonzentrationen in den Versuchsbecken einzustellen. Foto: Jan Steffen

Muscheln über so lange Zeit im Labor zu hältern ist schwierig und sehr arbeitsaufwendig. Neben einer guten Wasserqualität, die Thea durch einen häufigen Wasserwechsel und die genaue Überwachung der Wasserqualität realisierte, ist die Fütterung der Tiere ausschlaggebend für den Erfolg einer solchen Studie. Muscheln müssen mit einer großen Menge an Mikroalgen, die extra für diesen Zweck am GEOMAR gezüchtet werden, versorgt werden, damit sie nicht an Hunger leiden und im besten Falle sogar wachsen. Letzteres ist Thea gelungen. Die Tiere wurden so gut versorgt, dass sie ihre Längenzunahme als wichtige Antwortvariable erfassen konnte. Damit ist zudem ausgeschlossen, dass die Tiere einen Hungerstress erfahren haben. Dieser hätte den Einfluss des Mikroplastiks möglicherweise überlagert und die Ergebnisse so verfälscht.

Hier werden gerade Mikroalgen in eines der Versuchsgefäße gegeben. Die ausreichende Fütterung der Muscheln (zweimal täglich) war enorm wichtig für die Aussagekraft des Experiments. Sie ist sehr arbeitsaufwendig und einer der Hauptgründe warum es nur wenige Langzeitstudien mit Miesmuscheln gibt. Foto: Jan Steffen

Eine weitere wichtige Stärke von Theas Experiment ist die Tatsache, dass sie zwei unterschiedliche Arten von Mikroplastik verwendet hat. Zum einen waren dies Kugeln aus Polystryrol, die einen Durchmesser von 40 µm aufwiesen, und die normalerweise zum Kalibrieren von Laborgeräten wie Zellzählern verwendet werden. Diese Kugeln werden oft für Expositionsversuche mit Mikroplastik benutzt, weil sie leicht zu beschaffen und zu handhaben sind. Die zweite Art von Mikroplastik, die Thea in dem Versuch einsetzte, waren unregelmäßig geformte PVC-Partikel im Größenbereich von 11 bis 60 µm, die in ihrer Form mehr den Plastikpartikeln ähneln, die man auch im Meer findet.

So sieht unregelmäßig geformtes Mikroplastik unter dem Mikroskop aus. Dieses Bild zeigt PMMA-Partikel, die später im Versuch allerdings nicht zum Einsatz kamen. Die von Thea eingesetzten PVC-Partikel sehen aber sehr ähnlich aus. Foto: Thea Hamm

Nach dem Start des Versuchs hat Thea dann in Abständen von 6 Wochen verschiedene Antwortvariablen erfasst, die Auskunft über den Gesundheitszustand der Tiere geben. Dazu gehört beispielsweise deren Filtrationsleistung und die Produktion von Byssusfäden. Diese Proteinfäden ähneln in ihrem Aufbau menschlichen Haaren und erlauben es der Muschel sich an festen Untergründen anzuheften. Dies ist wichtig für die Tiere, da sie sonst an Orte gespült werden könnten, an denen sie nicht überleben können. Die Fäden werden von einer Drüse produziert und erodieren mit der Zeit, so dass sie regelmäßig ersetzt werden müssen. Für ihre Herstellung muss die Muscheln Energie aufwenden und so spiegelt die Produktion von Byssusfäden sehr gut wider, wie gesund eine Muschel ist. Leidet sie unter Stress, beispielsweise verursacht durch die Anwesenheit von Mikroplastik, produziert sie weniger Fäden. Am Ende des Versuchs hat Thea zudem die Wachstumsrate der Tiere und deren Körpermaßindex bestimmt.

Auf diesem Bild erkennt man die Byssusfäden sehr gut, die von den Tieren gebildet werden. Die Produktion von Byssus ist energieaufwendig und wird reduziert, wenn Muscheln unter einem Umweltstress leiden. Foto: Silja Blechschmidt

Thea fand heraus, dass selbst sehr niedrige Konzentrationen des von ihr verwendeten Mikroplastiks Änderungen in der physiologischen Leistung der Tiere hervorrufen können. Diese Effekte traten jedoch sehr spät im Versuch auf und waren von eher geringer Stärke. Zudem wurden wichtige Variablen, wie das Wachstum und der Körpermaßindex, nicht vom Mikroplastik beeinflusst. Dies legt den Schluss nahe, dass Mikroplastik – zumindest der Art wie Thea es in ihrem Versuch benutzte -, keine Gefahr für Miesmuscheln darstellt. Ihre Studie ist ein weiteres Puzzleteil auf unserem Weg zu einem umfassenden Verständnis der Effekte von Mikroplastik auf Organismen. Viele weitere werden noch nötig sein, bevor das Bild vollständig sein wird. Einen Podcast über Theas Experiment, ihre Erfahrungen in der Mikroplastikforschung und ihre Ergebnisse kann man sich übrigens hier anhören: https://expeditionindieforschung.de/2021/07/31/was-bedeutet-plastik-im-meer-fuer-die-tiere/

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