Buchrezension – Eine Seefahrt, die ist abwegig

Buchcover "Der Fisch in der Streichholzschachtel". Bild: Deuticke Verlag, Wien Buchcover “Der Fisch in der Streichholzschachtel”. Bild: Deuticke Verlag, Wien

Liebe Leser,
normalerweise beschäftige ich mich an dieser Stelle ja eher mit aktuellen Erkenntnissen der Meeresforschung. Hier aber nun ein kleiner Exkurs in die Literatur:

Brave Kreuzfahrer treffen auf beutehungrige Piraten des 18. Jahrhunderts. Kann das gutgehen?

Fred macht Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff durch die Karibik. Mit von der Partie ist seine Familie, für die er sich sichtlich schämt. Die Fresssucht des elfjährigen Sohnes, der merkwürde Kleidungsstil seiner allzu mageren fünfzehnjährigen Tochter: für alle Welt sichtbare Zeichen einer verfehlten Erziehung. Zudem verheimlicht er seiner Frau, die sich ein drittes Kind wünscht, seine schmerzende Wunde einer Vasektomie. Auch Freds Firma für Alarmanlagen bereitet ihm Sorgen. Dringend erwartet er eine E-Mail bezüglich eines großen Auftrags. Während der Empfang der E-Mail langsam zur Obsession wird, wünscht sich Fred in eine frühere, unbeschwertere Zeit zurück. In eine Zeit, in der er noch amourös mit Amelie Brecher verbandelt war. Jener Frau, die unerwartet als Reisejournalistin in dem Mikrokosmos des Kreuzfahrtschiffes auftaucht.
Mit solchen Problemen und Problemchen des modernen Alltagsmenschen beladen treffen Fred, die anderen Kreuzfahrtgäste und die Besatzung nach einem schweren Sturm, der Raum und Zeit durcheinander zu wirbeln scheint, aus heiterem Himmel auf Piraten. Diese haben nicht nur eigene Sorgen – ein stark beschädigtes Schiff, ein dringend benötigter Beutezug, eine hochschwangere Piratin an Bord – sie behaupten auch, sich im Jahre 1730 zu befinden. Bei den nachfolgenden Begegnungen prallen nicht nur Weltanschauungen und Traditionen aufeinander, es verschwimmen auch die Grenzen der Realität. Sind die Piraten echt? Welches Jahr ist es denn wirklich? Und was hat es mit dem seltsamen Mond auf sich? Als schließlich auch noch das Kreuzfahrtschiff zu sinken beginnt und seine Tochter an Bord der Piraten landet, beschließt Fred zu handeln.
Martin Amanshauser ist selber Reisejournalist und hat Erfahrungen mit Seereisen. Auch als Romancier (u.a. „Alles klappt nie“, „NIL“, „Chicken Christl“) hat er sich einen Namen gemacht und präsentiert hiermit sein neuestes Werk.
Das Ergebnis ist ein gelungen absurder, wenn auch stellenweise etwas langatmiger Roman. Gerade die seitenlangen Beschreibungen des modernen Lebens aus Sicht eines Piraten aus dem 18. Jahrhundert hätten stark gekürzt werden können. Erfreulicherweise verzichtet Amanshauser dabei zumindest auf allzu platte Gesellschaftskritik.
Ein weiterer Kritikpunkt ist sicherlich auch die Sprache der Piraten. Bei allem Bemühen um inhaltliche historische Genauigkeit wirken die Notizen des schriftführenden Piraten dann doch allzu modern. Auch der Ausgang der Erzählung ist nicht ganz gelungen: Trotz Andeutungen wird die wild konstruierte Situation nicht vollständig aufgelöst und der Leser wird mit seinen Fragen weitestgehend alleine gelassen.
Insgesamt ist „Der Fisch in der Streichholzschachtel“ aber ein unterhaltsamer Roman, der nicht nur Seereisende und Piratenfans begeistern wird.
Martin Amanshauser „Der Fisch in der Streichholzschachtel“, 576 Seiten, Deuticke Verlag Wien, € 21,90