Fahrtleiterleben

Es ist 6:40 und der Wecker klingelt. Den Klingelton habe ich auf ‚Sonar’ gestellt. Das passt zum Aufstehen auf einem Schiff. Die METEOR schaukelt leicht in der tropischen Passatdünung. Gefühlt mitten in der Nacht stehe ich auf.  Voller Neugier und ich gehe vom Schlafzimmer zum den Bildschirmen in meinem Büro. Sind alle CTD und Netzstationen in der Nacht gut gelaufen? Machen wir gute Fahrt? Alles im ‚grünen’ Bereich?

Die Teilnehmer auf dem Forschungsschiff lassen sich grob in zwei Gruppen aufteilen: Die Besatzung und die Wissenschaft. Der ‚Chef der Besatzung’ und des Schiffes überhaupt ist der Kapitän. Rainer trägt die Verantwortung für das Schiff und die Sicherheit aller an Board. Ihm unterstehen die Offiziere für den navigatorischen Betrieb, der Leitende Ingenieur für den Betrieb der Maschine und Schiffstechnik, der Bootsmann und die Matrosen für die Arbeiten an Deck, und der Servicebereich mit Küche und Stewards.

Der ‚Chef der Wissenschaft’ ist der Fahrtleiter. Er ist verantwortlich für die Abwicklung des wissenschaftlichen Programms an Board, entscheidet über die Fahrtroute und den Einsatz der Geräte in enger Absprache mit dem Kapitän.

Nach dem schnellen Blick über die Monitore habe ich mein Sportzeug angezogen. Mein Schlafzimmer hat einen großen Schrank, einen Stuhl und ein Fenster mit Blick auf das Meer. Draußen ist es schon hell und ich sehe vereinzelte Stratuswolken über dem tiefblauen Meer. Vom Schlafzimmer aus geht es über den Flur zum Badezimmer. Den Blick in den Spiegel spare ich mir zu so früher Stunde. Aber der Gang zu Klo ist unabdingbar. Mit einem lauten Zischen verschwindet das Wasser aus dem Klo. Schiffe haben eine Unterdruckanlage für das Abwasser. Das spart Frischwasser und reduziert das Volumen an Schmutzwasser. Neben dem Badezimmer ist mein Arbeitszimmer. Es gibt einen großen Schreibtisch mit den Monitoren, eine Schrankwand für Bücher, Radio, Fernseher, einen Kühlschrank und eine Sitzgruppe mit Ecksofa, Tisch und Stühlen.

Ein kurzer Blick auf den Monitor zeigt die Fahrgeschwindigkeit mit 10.8kn an. Gut, wir kommen zügig voran und die nächste CTD ist in einer knappen Stunde.

Ein Stockwerk tiefer ist das ‚gelbe’ Deck mit vielen Kammern für Wissenschaftler und Crew. Dort gibt es den Fitnessraum. Ich benutze gerne das Rudergerät. Man könnte auch Fahrrad fahren, Gewichte heben und an anderen Maschinen seine Muskeln bilden. 4000m rudern schaffe ich in 20 Minuten. Das sollte genug sein, damit das gute und reichhaltige Essen nicht ansetzt und gleichzeitig der Kreislauf fit bleibt.

Danach geht es unter die Dusche, rasieren, fertig machen für den Tag. Der Stationsplan wird ergänzt und als pdf-File auf den allgemeinen Computerserver gestellt und 5-fach ausgedruckt. Der Drucker ist unten auf dem ‚roten’ Arbeitsdeck. Von dort verteile ich den Plan im Tracermesslabor, dem Registrierraum für die CTD. Einer kommt an Deck für die Matrosen und ein weitere im Geolabor am Eingang zum Schiff.

Seit 7:15 gibt es Frühstück. Die ‚Messe’ befindet sich 1 Decks unterhalb des ‚roten’ Decks. Dort riecht es lecker aus der Kombüse nach Omelett und anderen warmen Speisen. Ich öffne die Türe zur Messe und grüße die Kolleginnen und Kollege mit ‚Guten Morgen’. Frisch gebackenen Brötchen liegen dort, Obst und vieles mehr. Ich mag Müsli mit Joghurt und Bananen am liebsten. Leider sind die Bananen schon lange aus. Frische Sachen halten sich nicht ewig auf dem Schiff. Der Steward zeigt mir einen freien Platz am Tisch und schenkt mit schwarzen Tee ein. Nach wenigen Tagen weiß er genau was wir gerne mögen. „Heute wie immer kalt?“, fragt er. Ich nicke mit einem freundlichen Lächeln.

Dann geht es zurück auf das Arbeitsdeck der METEOR. Ich mache eine kleine Runde und grüße die Matrosen und den Bootsmann. Die sind alle sehr freundlich und hilfsbereit, man kennt die Namen und auch so manche Geschichte. Wir allen kennen das Arrangement: Ohne Matrosen keine Forschung und ohne zufriedene Forscher keinen Job auf dem Forschungsschiff. Die CTD Wache bereitet gerade die Sonde für den nächsten Einsatz vor. Draußen an Deck scheint schon die Sonne und trocknet die Hartholzbohlen. Ich stelle mich an die Reling und schaue über den blauen Ozean. Ein schöner Ausblick am Anfang des Tages.

Es ist 8:20 und ich mache mich auf den Weg zur Brücke ein Deck oberhalb der Fahrtleiterkammer. In 10 Minuten ist dort Morgenbesprechung. Dort treffen sich der Kapitän, Meteorologe, Leitender Ingenieur, Erste Offizier, Doktor und der Wissenschaftlich-Technische Dienstleiter. Wir haben beschlossen das Wetter nach hinten zu stellen. Heute gibt es fast nichts zu besprechen. Heinz kündigt an, dass am Dienstag vielleicht das Internet für ein paar Stunden nicht laufen wird. Es gibt Wartungsarbeiten und software updates beim Satellitenbetreiber.

Am Ende erklärt uns Carola das Wetter. Wir haben Glück und das Wolkenband liegt nördlich von uns. Auch die Wellen werden unter 2m Höhe bleiben. Ich erwarte keine Behinderungen im Forschungsprogramm.

Gegen 8:45 Uhr bin ich zurück an meinem Schreibtisch und lese die e-mails, die über Nacht eingetroffen sind. Die METEOR hat eine Standdatenleitung über eine große Satellitenantenne. Es geht zwar langsam, aber immerhin ist man nicht von dem Rest der Welt abgeschnitten. Wir können vier Tageszeitungen lesen und die Tageschau und Tagesthemen ansehen. Zwei wichtige mails sind dabei, die ich noch bearbeiten muss. Ich markiere sie mit einem rotem Haken und sie gesellen sich zu den anderen 50 unbearbeiteten mails. Die können noch ein wenig warten. Denn eigentlich bin ich ja auch nicht im Kieler Büro. Für den Schiffsbetrieb müssen kleine Berichte geschrieben werden. Auf dem Datenserver schaue ich ob es neue plots gibt. Die Nachtwache hat wie immer schon die Daten gesichtet und die Abbildungen aktualisiert. Ich überlege noch wie man die Stationsfolge optimieren kann um Wind, Abstand zwischen den Bio-Stationen und das Tagesprogramm zu optimieren. Aber gegen Ende der Reise gibt es weniger Spielraum.

Um 10:00 Uhr ist Kaffeepause. In der Messe stehen Kannen mit Kaffee und Tee. Ab 10:20 geht die Arbeit weiter. Die Crew ist auf die Minute pünktlich. Die Wissenschaftler eher verquatscht oder schon gleich zurück in die Labore zur Arbeit.

Um 10:30 Uhr bin ich im Konferenzraum gefragt. Wie an jedem Morgen der letzten halte ich eine Vorlesung für die Studenten. „Introduction to Physical Oceanography“ heißt die Reihe, die ich in ein paar Wochen auch in Kiel halten werde. Heute war das Thema mixed-layer, die Deckschicht der Ozeane. Gestern haben wir gemeinsam die windgetriebene Zirkulation der Äquatorialen Gebiete erarbeitet. Das passte bestens zu dem, was wir hier gerade sehen.

Um 11:15 Uhr Mittagszeit. Wir versuchen pünktlich zum Essen zu kommen, damit noch genug Zeit für die Crew ist den Abwasch zu machen bevor die Mittagspause beginnt. Es riecht schon wieder so lecker im Treppenhaus. Auf dem Weg zu Messe stecke ich noch kurz meinen Kopf in die Kombüse. ‚Mahlzeit’ rufe ich laut und ‚vielen Dank Mike’ für das gute Essen. Es gibt immer Salat meist Fleisch und Kartoffeln mit Gemüse. Heute ist Donnerstag und da gibt es zum Nachtisch Eis mit Sahne. Donnerstag ist ‚Seemannssonntag’ und das Essen besonders gut. Nach dem Essen trifft man sich an Deck. Die Sonne brennt herunter und wohlige Wärme durchdringt unsere Körper. Die Klimaanlage hält das Schiff kühl.

Ich muss noch dringend ein Gutachten schreiben und einen Bericht durchsehen. Das kurze Tagebuch führen und meine Teile des Fahrtberichts zusammensuchen. Mit Toste planen wir schon die nächsten Reisen. Die dritte Vermessungsreise mit der METEOR im Juni 2015 und danach wollen wir ein Experiment vor der Küste von Peru durchführen. Wenn alles nach Plan läuft werden wir auf dem neuen Forschungsschiff SONNE den Tracer im November 2015 aussetzen.

15:00 Uhr Zeit für den Kaffee. Heute gibt eine richtige Sahnetorte. Ach ja Seemannssonntag. Hätte ich mir doch denken können. Beim Kaffee treffen wir uns im Kreis der Kollegen. Heute ist auch Carola dazu gekommen. Wir schnacken über die Arbeit an Board und tauschen Geschichten von See aus. Geschichten haben insbesondere die älteren Semester von uns viele. Rudi, unser Techniker, hat schon mehr als 15 Reisen auf der METEOR hinter sich.

15:30 Uhr. Heute ist ein wissenschaftlicher Vortrag. Tobias Hahn berichtete über seine Messungen an Board. Er betreut eine Messapparatur, die ständig den Partialdruck von CO2  zwischen Luft und Ozean misst. Damit kann man die Aufnahmen des Klimagases CO2 bestimmen. Er hat auch einen neuen Sauerstoffsensor mitgebracht und bei einigen der CTD Stationen in die Schöpfer gehängt.

Um 16:30 Uhr gehe ich nochmal in das Büro. Emails lesen und noch ein Telefonat mit Kiel führen.

17:15 Uhr. Zeit zum Essen. Man bekommt das Gefühl man isst ständig an Board. Wahrscheinlich auch zu viel. Auf dieser Reise ist es das Essen sehr gut. In der Kombüse ist gute Stimmung. Das hilft allen. Ich nehme ein Brot mit Käse und frisches Gemüse. Oder vielleicht doch noch ein kleines Sparerib mit Pommes dazu. Nur so zum probieren. Man lebt nur einmal …

Nach dem Essen laufe ich noch einmal durch alle Labore. Im Geolabor wird Wasser gefiltert. Judith, Arvind und Lisa wechseln sich ab. Der Arbeitsplatz dort ist besonders. Man hat fast immer ‚Gesellschaft’ und muss sich natürlich auch ständig irgendwelche ‚netten Sprüche’ anhören. Daneben liegt das Gleiterlabor. Zwei Gleiter konnten wir nicht einsetzen, sie haben ein kleines Leck entwickelt und müssen wahrscheinlich zum Hersteller zurück. Florian wertet gerade die Schiffsadcp-daten aus. Das sind Strömungsmessungen, die wir bei fahrendem Schiff machen können.

19:30 Uhr. Heute hat Toste für uns ein paar Bilder von seinem Segeltörn zusammengestellt. Er hat mit einer ganzen Reihe von Freunden seine Segelyacht von Seattle (USA) bis nach Kiel überführt. Es gab viele Geschichten und tolle Bilder zu sehen. Morgen Abend ist zur selben Zeit das ‚Results from last weeks science’ meeting. Alle offiziellen Veranstaltungen sind auf Englisch. Wir haben Kolleginnen aus Griechenland und Russland dabei und einen Spanier und Nuno von den Cap Verdischen Inseln. Danach trifft man sich oft noch in der Bar der METEOR. Phase 10, Trivial Pursuit und Poker sind beliebt. Dazu gibt es ein Bier, Wein oder Cola. Ich trinke Pfefferminztee.

Um 23:00 ist Bettzeit für mich. Im Büro schaue ich mir noch im Web die Nachrichten an. Immer noch gibt es keine gute Lösung für die Unruhen in der Ukraine. Auch das wahrscheinlich im Indischen Ozean verschollene Flugzeug ist noch nicht gefunden. Aber die Australischen Kollegen haben wahrscheinlich eindeutige Pings vom Flugschreiber gehört. Wird es wieder einen Einsatz für das GEOMAR Tauchfahrzeug ABYSS zusammen mit den Kollegen aus Woods Hole geben? Ein kurzer Anruf nach Deutschland und dann bin ich froh wenn ich im Bett liege und die Augen zu machen kann. „Tiger an Deck“ heißt das Buch. Es liegt neben meinem Bett. 10 Seiten habe ich bisher geschafft. Ich vermute, auch diesmal werde ich das Buch fast ungelesen wieder mit nach Deutschland zurück nehmen.

Text: Martin Visbeck